Zukünftige Klassiker: Polestar 1
Leuchtturm, konkurrenzlos
Er ist faszinierend, irgendwie, der Polestar 1. Breit und flach hat er etwas von einem Hot-Rod. Und ja, er kommt dem geneigten Betrachter bekannt vor, was aber nicht weiter wundert, denn schon sein optisches Vorbild, das ebenfalls von Thomas Ingenlath gezeichnete Volvo Concept Coupé von 2013, war ein absoluter Blickfang. Auch schon wieder acht Jahre her, Wahnsinn, wie die Zeit vergeht. Auch der Polestar 1 ist ja eigentlich kein neues Auto mehr, er wurde schon 2017 vorgestellt, kam 2019 auf den Markt, Ende 2021 läuft die Produktion nach 1500 Exemplaren aus – die finale Sonderedition kommt in Mattgold.
Unser Proband ist allerdings: weiss. Und stand dann auf einer Autobahn-Raststätte einmal neben einem mattschwarzen Exemplar. Böse, das schwarze Ding – doch dann verschwinden die schönen Formen, die Eleganz ist dahin, er ist dann pure Aggressivität, der Polestar 1. Was durchaus passen könnte zu einem Wagen, der ja immerhin über 609 PS Systemleistung aus ingesamt vier Motoren verfügt. Tut es aber nicht, der Polestar 1 ist trotz gigantischer Leistung von einem Sportwagen so weit entfernt wie Schweden von China. Ausser natürlich, man betrachtet Längsdynamik, Drag-Racing, auch als sportliche Disziplin. 4,2 Sekunden von 0 auf 100 km/h, wer es genau wissen will. Und ja, es ist ihm absolut zuzutrauen.
Aber beginnen wir von vorne. Wir haben es hier eigentlich mit einem Volvo zu tun, der Polestar 1 sitzt auf der bekannten SPA-Plattform, scalable product architecture, welche die Schweden seit 2014 mit Erfolg und für reichlich unterschiedliche Fahrzeuge produzieren. Auch die Technik ist eigentlich bekannt, auch aus Göteborg kommen Plug-in-Hybride mit dem bekannten 2-Liter-4-Zylinder-Turbo. Der Polestar kommt allerdings aus Chengdu in China (es ist auch ziemlich prominent zu lesen: Made in China), in der heftigsten Konfiguartion bisher darf der Benziner 309 PS leisten, dazu kommen noch zwei Elektro-Motoren mit umgerechnet je 116 PS für jedes Hinterrad sowie ein integrierter Startergenerator mit nochmals 68 Pferden. Macht dann insgesamt 609 ebendieser. Und ein maximales Drehmoment von 1000 Nm, so quasi ab Stillstand. Die elektrische Energie wird in einem 34-kWh-Akku gespeichert, was dem Schweden, sorry, Chinesen eine theoretische Reichweite von 124 rein elektrischen Kilometern ermöglichen soll. Und damit wir das auch gleich noch hinter uns haben: die maximale Ladeleistung liegt bei 50 kW, mit Wechselstrom bei 11 kW. Von fast 0 auf 100 Prozent dauerte es an unseren so feinen «Juice Booster» etwas mehr als fünf Stunden.
Zur Verfügung stehen vier Fahrmodi, Pure für rein elektrisch (und ja, dann gehen so ziemlich genau 100 Kilometer – man kann sich den (immensen) Stromverbrauch selber ausrechnen), bei Hybrid kommt dann der Verbrenner mit dazu, wenn man Leistung fordert, den Unterschied zwischen 4WD und Power konnten wir nicht spüren, dann läuft der 4-Zylinder immer mit (und tönt wie in allen Volvo auch eher: bescheiden). Positiv ist: Man kann den Modus je nach Stimmung wählen. Fühlt man sich als Gutmensch, dann wird es Pure sein, will man Thor’s Hammer auspacken, dass halt Power (oder 4WD). Auch nur mit Strom geht es schon gut vorwärts (bis maximal 160 km/h), die volle Packung haut den Polestar dann sehr linear und sehr, sehr flott auf bis zu 250 km/h. In dieser sehr linearen Kraftentfaltung liegt aber auch das Problem: das ist alles cool und auch flott, aber faszinierend ist anders. Was sicher auch daran liegt, dass es halt nicht tönt.
Und an den fast 2,4 Tonnen Leergewicht. Die uns ein Rätsel sind. Gut, die SPA-Plattform baut ein typisches, auch sehr stabiles Stahl-Chassis auf. Auf das eine ebenfalls sehr steife Karbon-Karosse aufgesetzt wird. Das sollte ja eigentlich Gewicht sparen, macht es aber augenscheinlich nicht – und sorgt dafür, dass der Wage komische Geräusche von sich gibt, Knarzen, Knacken; wenn die Strasse nicht so gut, hat man manchmal Angst, dass etwas wegbricht. Die 21-Zöller sorgen auch nicht unbedingt für besseren Komforteindruck. Was uns auf eine Besonderheit des Polestar kommen lässt: Zug- und Druckstufe der Ohlins-Dämpfer würden sich von Hand justieren lassen. Nein, wir haben es nicht versucht, obwohl man es vorne relativ einfach geht; für die Feineinstellung an der Hinterachse braucht es hingegen einen Wagenheber. Eine Spielerei – uns wäre mehr gedient gewesen, wenn der Polestar ganz allgemein etwas komfortabler abgestimmt gewesen wäre. Auch das Ansprechverhalten von Bremsen und Lenkung lassen sich verstellen, wir fühlten uns am wohlsten mit der direktesten Stufe. Die 8-Gang-Automatik versieht ihren Dienst so zurückhaltend, dass man manchmal das Gefühl hat, das Getriebe sei stufenlos.
Das Fahrverhalten selber ist wenig sportlich. Positiv zu vermerken ist, dass der Polestar quasi null Wankbewegungen macht, dass er gut ausbalanciert ist und folglich eine Ewigkeit stabil bleibt – um dann relativ unvermittelt über die Vorderachse zu gehen. Da staunt man dann schon. Aber eben, dann ist man schon sehr flott in der Biegung, was aber nur bedingt zum Charakter des Fahrzeugs passt, das Polestar selber ja auch als Gran Turismo sieht. Gut zur Langstrecke passen auch die bequemen Sitze (die erfreulich tief liegen; die Batterie muss nicht darunter eingebaut werden, sondern geht kompakt in den Mitteltunnel), zumindest jene vorne; hinten ist es eher etwas für beinamputierte Eichhörnchen (ein Zitat aus einer älteren «auto revue»). Und ja, der Kofferraum ist auch kümmerlich, 143 Liter – dafür gibt es dort hinter einem Schauglas jede Menge oranger Kabel zu bewundern. Warum? Keine Ahnung. Die Platzverhältnisse sind für ein 4,59 Meter langes, 1,96 Meter breites und 1,36 Meter hohes Fahrzeug nicht wirklich berauschend. Andererseits: ein aktueller Porsche 911 hat ähnliche Ausmasse – und auch nicht mehr Platz. Und nochmals andererseits: Der Polestar steht als Leuchtturm, er ist einzigartig und konkurrenzlos.
Das ist er auch bei seinem Verbrauch: Auf dem Papier sind es nur gerade 1,1 Liter auf 100 Kilometern. Es gehen auch weniger, wie wir schon geschrieben haben, denn mit seinem für einen Plug-in-Hybriden so einzigartigen Konzept mit der grossen Batterie schafft er diese durchaus rein elektrisch. Ist die Batterie leer (im Charge-Modus kann sie übrigens über den Benziner wieder aufgeladen werden, was aber nicht wirklich energieeffizient ist, oder besser: rein gar nicht), dann hat der 2-Liter-Turbo allerdings grossen Durst, schluckt auch bei zurückhaltender Fahrweise mehr als 10 Liter (was wir von anderen Volvo ja auch kennen). Da fragt man sich dann manchmal schon, weshalb ein so modernes Fahrzeug derart verschwenderisch mit den Ressourcen umgeht, sowohl mit dem Strom wie auch mit dem Sprit.
Mit einem Preis von 165’000 Franken (inkl. 2500 Franken Reservierungsgebühr) ist der Polestar doch eher offensiv eingepreist. Einverstanden, 609 PS gibt es jetzt nicht allerorten, bei Porsche kosten weniger Pferde schon deutlich mehr, aber trotzdem: innen ist der Polestar halt so, wie man das auch von einem XC60 kennt. Das bedeutet zwar, dass das Bediensystem schwedisch gut durchdacht ist, viel über den grossen Touchscreen passiert, die Assi-Systeme «state of the art» sind (ausser der viel zu nervöse Auffahrwarner, der Kurven und links abbiegende Fahrzeuge nicht wirklich versteht), aber für so viel Heu würde man doch schon etwas mehr Exklusivität erwarten (und einen funktionierenden Gurtspanner, siehe: Bilder). Gut, da ist schon viel inbegriffen, eine wirklich grandiose HiFi-Anlage von Bowers & Wilkins zum Beispiel; Aufpreis bezahlt man nur noch für die matte Lackierung (dafür: reichlich).
Und so bleibt am Schluss ein doch etwas zwiespältiger Eindruck: Irgendwie wird man das Gefühl nicht los, dass es etwas schnell gehen musste bei der Entwicklung, dass da noch mehr möglich gewesen wäre. Aber in ein paar wenigen Jahren werden wir zurückblicken und denken: Wahnsinn, dass damals so etwas noch möglich war. Und deshalb erklären wir den Polestar 1 zu einem zukünftigen Klassiker (auch wenn wir etwas Sorge haben, dass Reparaturen kompliziert und teuer sein werden und wohl nicht alle seine Systeme/Steuergeräte für die Ewigkeit gemacht sind). Denn: Ja, er ist irgendwie faszinierend.
Mehr Volvo/Polestar haben wir in unserem Archiv. Und wir haben noch weitere zukünftige Klassiker, den Lamborghini Gallardo und, wohl eher überraschenderweise, einen Audi R8.
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