Fahrbericht Maserati Bora
Ganz schön unterschätzt
Eigentlich hätte ich es ja wissen müssen. Doch dann fuhr ich wieder einmal etwas übermotiviert einen Berg hoch, war da vor der Kurve vielleicht etwas zu schnell, latschte etwas gar heftig auf die Bremse – und es katapultierte mich fast aus dem Sitz durch die Frontscheibe. Einverstanden, das ist jetzt sanft übertrieben, aber es ist halt schon heftig, wie der Maserati Bora bremst. Also, er bremst jetzt auch nicht besser als andere Sportwagen der 70er Jahre, doch weil da halt eine Citroën-Hydraulik-Anlage verbaut ist, ist das mit der Dosierung eine Gratwanderung. Das hat man schnell im Griff, kann den Italiener mit dem französischen Hochdruck-System auch ganz fein verlangsamen, doch wenn man es vergisst, dann; es sollen sich unvorbereitete Beifahrer*innen schon den Kopf angeschlagen haben.
1968 hatte Citroën Maserati übernommen – warum, das wurde nie so richtig klar. Die Franzosen setzten den Franzosen Guy Malleret als Maserati-Chef ein, der rief bald schon Chefkonstrukteur Giulio Alfieri in sein Büro – und bestellte einen Mittelmotorwagen. Damit hatte Alfieri zwar Erfahrung, er hatte schon mehrere Rennwagen in dieser Bauweise konstruiert, er sah in der Umgebung von Modena, bei Lamborghini, De Tomaso und auch Dino, dass dieses Konzept durchaus strassentauglich war. Malleret war anscheinend der Meinung, dass sich solch ein Mittelmotor-Fahrzeug durchaus auch mit vier Sitzen realisieren lassen würde, doch das schliesslich für die weitere Entwicklung gewählte Konzept, intern als Tipo 117 bezeichnet, hatte dann nur zwei Sitze. Dass es aber deutlich geräumiger ausfiel als sämtliche italienischen Konkurrenten, sogar über einen 300 Liter fassenden Kofferraum verfügte, könnte durchaus etwas mit den Vorstellungen und Wünschen des damaligen Maserati-Chefs zu tun gehabt haben.
Es war jetzt nicht der ganz konsequente Leichtbau für einen Sportwagen, den Alfieri da betrieb. Allein schon der 4,7-Liter-V8 war ein grober Mocken, obwohl er erstaunlich kompakt baute. Doch das Chassis des neuen Maserati bestand aus massiven, viereckigen Stahlrohren, dazu gab es für den längs eingebauten Motor, Getriebe (hinter dem Motor angeflanscht, fünf Gänge, von ZF) und die hinteren Einzelradaufhängungen (an Dreieckslenkern, im Gegensatz zu den früher bei Maserati üblichen Starrachsen) einen Hilfsrahmen, der mit geräuschisolierenden Gummiblöcken vom Hauptrahmen getrennt wurde. Darauf aufgesetzt wurde eine von Italdesign/Giorgetto Giugiaro gezeichnete Stahlblech-Karosse, die bei Officine Padane in Modena hergestellt wurde. Mindestens 1400 Kilo schwer war der Maserati Bora, der 1971 auf dem Genfer Salon vorgestellt wurde – heute fast schon lächerlich, aber damals schon deutlich schwerer als die Konkurrenten. Immerhin war die Klimaanlage serienmässig.
Überhaupt, der Komfort. Während man sich in andere Sportwagen jener Jahre mehr so hineinzwängt (und dann vor allem: herausschält), setzt man sich in den Bora einfach rein, problemlos. Obwohl der Wagen auch nur 1,13 Meter hoch ist. Doch das Konzept ist clever: der Sitz steht fest, dafür lassen sich das Lenkrad und die Pedale (über das gleiche Hochdruck-System wie die oben erwähnten Bremsen) auf Knopfdruck verstellen. Auch die 2,6 Meter Radstand helfen da selbstverständlich. Trotzdem wirkt der 4,34 Meter lange und 1,77 Meter breite Maserati heute ausserordentlich kompakt, fast wie ein Spielzeug.
Weil die Amerikaner die Emissionsvorschriften immer weiter verschärften, erhielt der Bora 1973 den 4,9-Liter-V8, wie er auch im Ghibli eingebaut war. Das gab dann 10 PS mehr und etwas mehr Durchzugskraft, doch die Fahrleistungen verbesserten sich nur unwesentlich. Aber eine Zeit von deutlich unter sieben Sekunden für den Paradesprint von 0 auf 100 km/h sowie eine Höchstgeschwindigkeit von 280 km/h machten die Bora zu den gröbsten Geschützen unter den italienischen Sportwagen. Es war nicht die theoretische Spitzenleistung, die ihn so begehrenswert machte, sondern die Lockerheit, mit der er das Fahrvergnügen aus dem Ärmel schüttelte. Ein Miura und auch ein Daytona von Ferrari mochten ihm auf dem Papier Sekundenbruchteile abnehmen, aber der Bora war viel einfacher zu fahren, machte deutlich weniger Lärm, war fast schon komfortabel. Und, abgesehen von der manchmal etwas zickigen Citroën-Technik, auch zuverlässig: der V8 aus Modena war auf die Langstrecke ausgelegt, nicht auf Höchstleistung. Aber klar, acht Zylinder vermitteln halt nicht die gleiche Faszination wie deren zwölf.
Unser Exemplar stammt aus dem Jahr 1973 und wurde ursprünglich in die USA ausgeliefert; als der Maserati 2003 in die Schweiz importiert wurde, wurde die Front von den unschönen amerikanischen Stossstangen befreit, erhielt wieder die viel schönere europäische Schnauze. Das mag nun die Originalitätsfetischisten stören, die europäischen Bora erhielten den 4,9-Liter-V8 erst 1976, aber am Schluss zählt doch das Resultat – und das ist auch dank der Lackierung in «Rame Metallizzato» überragend.
Ein Verkaufserfolg war der Bora allerdings nicht, zwischen 1971 und 1978 wurden nur 530 Exemplare (oder vielleicht auch 571) gebaut, davon waren 235 Stück mit dem grösseren Motor ausgestattet. In der Schweiz kostete der Maserati stolze 82’500 Franken, das waren doch 8500 Franken mehr als für einen Ferrari 365 GTB/4 Daytona. Aber der Modenese war besser ausgestattet – und liebevoller verarbeitet. Es gibt schon (gute) Gründe, weshalb die Maserati-Gemeinde lächelnd nach Sant’Agata und Maranello schaut.
Während die Bremse nur gestreichelt werden will, erfordert die Kupplung einen ziemlich heftigen Kraftaufwand. Der erste Gang liegt unten rechts, ansonsten lässt sich das ZF-Getriebe mit zwar harter Hand, aber gut schalten. An Durchzugskraft fehlt es dem Bora wahrlich nicht, auch wenn man sich von modernen Sportwagen natürlich ganz andere Drehmoment-Wände gewohnt ist. Der V8 brummt bis etwa 3000/min schön tief, wird auch bei höheren Drehzahlen nie italienisch hektisch, sondern entfaltet seine Wirkung schön linear, auch akustisch. Nicht nur deshalb ist er auch heute noch eine ausgezeichnete Wahl, sondern auch, weil die Preise noch so einigermassen vernünftig sind. Und acht Zylinder im Unterhalt viel weniger aufwendig als derer 12.
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