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Fahrbericht Alfa Romeo Giulia GTA/GTAm

Published in radical-mag.com

Anleitung zum Glücklichsein

Es könnte sein, dass dieser Bericht etwas gar emotional ausfallen wird. Logisch, Alfa Romeo und GTA, das ist sowieso eine gute Geschichte. Aber vielleicht noch wichtiger war: ein schöner Frühlingstag in Italien, zum ersten Mal seit ewig wieder auf einer abgesperrten Strecke, ein Automobil, das wir sowieso sehr hoch einschätzen. Endlich wieder einmal der Geruch von Benzin und Gummi, richtiger Lärm. ein Fahrzeug, das wir auch berühren können, nicht nur virtuell kennenlernen sollen, das Prozedere mit Helm, Handschuhen und neu auch Maske. Oh ja, es war ein guter Tag, danke dafür.

Als sich Alfa Romeo vor gut einem Jahr die GTA/GTAm zum 110. Geburtstag schenkte, dann waren wir, hmm, etwas enttäuscht. Gut, 100 Kilo weniger sind in der heutigen Zeit nicht falsch. Aber 30 Pferdchen mehr, 540 statt 510 im Vergleich zum QV, das schafft ja jeder Hinterhof-Tuner allein durch ein sanft angepasstes Mapping; in der Schweiz rollte jedes zweite SUV mit mehr Power an den Start. Doch wenn man dann tiefer geht, die Details studiert, dann bekommt man das mit, was die Italiener immer schon ausgezeichnet hat: Liebe. Diese feine, einzigartige Liebe zum Detail – und dem Produkt. Andere Hersteller schrauben mit unendlichem Bufget einfach ein Riesen-Luftleitwerk an den Wagen und verdoppeln den Hubraum oder die Anzahl der Turbos.

Einverstanden, der grösste Teil der zusätzlichen Pferde kommt von der neuen Abgasanlage von Akrapovic. Aus Titan. Hinten mittig. Grossartig, auch in den Tonlagen (dazu dann noch mehr). Doch Alfa Romeo hat dem 2,9-Liter-V6 auch neue Pleuel spendiert, eine deutlich verbesserte Ölkühlung. Zwar liegt die spezifische Literleistung jetzt bei 187 PS pro Liter Hubraum, doch das Triebwerk soll jetzt standfester sein, vor allem bei hohen Leistungen. Und ja, ein Leistungsgewicht von 2,82 Kg/PS ist für eine viertürige Limousine so schlecht auch nicht, genau wie die 3,6 Sekunden für den Sprint von 0 auf 100 km/h. Und das ohne Allradantrieb.

Die Gewichtseinsparung erfolgt vor allem über eine extensive Verwendung von Carbon. Die vorderen und hinteren Kotflügel, die hinteren Radhäuser und der mächtige Diffusor hinten bestehen aus diesem sündhaft teuren Material, bei GTAm kommen da noch ein paar weitere Erleichterungen dazu, grossartige Schraubstöcke von Sabelt etwa (auch Sitze genannt), der Ausbau der Rücksitzbank (wird durch einen Käfig aber wieder kompensiert). Doch auch am Fahrwerk haben die Italiener ein paar Pfunde gefunden, die ungefederten Massen konnten verringert werden. Dafür gibt es jetzt rundum 20 Zöller – mit Zentralverschluss und Mischbereifung. Allein schon diese «Kleinigkeit» ist ein absolutes «Habenmuss», macht die böse Giulia halt auch optisch zum ganz grossen Kino. Beim GTAm kommt noch ein manuell verstellerbarer Heckflügel dazu, der zusammen mit dem ebenfalls verstellbaren Frontsplitter individuelle Aerodynamik-Einstellungen ermöglicht; das Aero-Paket, das auch einen verkleideten Unterboden und zusätzliche Be- sowie Entlüftungsschlitze enthält, wurde in Zusammenarbeit mit den Schweizer Spezialisten von Sauber Engineering erarbeitet. Bei der Abstimmung des Fahrwerks waren auch die beiden Formel-1-Piloten Kimi Räikkönen und Antonio Giovinazzi (ausnahmsweise) ganz vorne dabei.

Und bei diesem Fahrwerk passiert dann doch Erstaunliches. Der GTA/GTAm wurde – wie die aktuellen Formel 1 – «steiler» gestellt. Man sieht das von aussen, der Wagen kauert tiefer auf der Vorderachse, ist hinten etwas höher. Das ermöglicht, in Verbindung mit neu kalibrierten, noch schnelleren elektronischen Dämpfern, etwas mehr Federweg. Was man dann beim Fahren spürt: die Giulia fühlt sich relativ» weich an, fast schon komfortabel. Und bewegt sich doch keinen Millimeter aus der Spur. Wenn der QV eine ganz kleine Schwäche hatte, ein ganz sanftes Untersteuern, so haben die Ingenieure dies dem GTA/GTAm komplett ausgetrieben. Die schon vorher wahrscheinlich beste Lenkung auf dem Markt ist noch einmal präziser geworden, sie fühlt sich zwar einigermassen leichtgängig an, doch sie setzt bei ausgezeichneter Rückmeldung von der Strasse auch geringste Bewegung perfekt um. Und auch wenn man den Alfa einigermassen grob über die Curbs haut, so quittiert der Wagen das mit einem Lächeln. Apropos Lächeln: Auf dem Track von Balocco hat es doch einige böse Ecken – und einige schöne Kurven, die wunderbar aufmachen. Wie die beiden Alfa Romeo da rauskommen, voll, treibt dem Fahrer ein breites Grinsen ins Gesicht. Auch wie die 8-Gang-Automatik, die mit kaum wahrnehmbarer Schubkraftunterbrechung die nächste Welle reinhaut, ist eine wahre Freude. Leistung satt, Geräuschentwicklung herzerwärmend. Und: Es ist dies wieder eines dieser Fahrzeuge, die dem Fahrer ziemlich schonungslos aufzeigen, dass der Grenzbereich beim Piloten liegt, nicht beim Auto.

Den vielleicht grössten Unterschied zum QV spürt man, wenn alle Helferlein ausgeschaltet sind. Denn während das Serienmodell da schon ziemlich bald und ziemlich heftig hinten kommt (sich dabei aber ja wunderbar beherrschen lässt), bauen GTA/GTAm da irgendwie noch zusätzlichen Grip auf. Das liegt sicher an den speziell für dieses Fahrzeug entwickelten Reifen, Michelin Cup 2, aber auch am verbesserten, erleichterten Fahrwerk. Doch wahrscheinlich ist man schneller mit ESP, das sehr viel zulässt, nur bei wirklich abrupten Lastwechseln und beim zu brutalen Beschleunigen aus sehr engen Kurven an seine Grenzen stösst. Doch auch da liegt es mehr am Fahrer als am Wagen – je feiner man die Klinge führt, desto mehr wird man belohnt. Was übrigens auch für die Bremsen gilt: die überarbeiteten Brembo-Teile packen extrem zu, daran muss man sich zu Beginn etwas gewöhnen. Hat man dann aber Vertrauen gefasst, dann muss man erst deutlich später in die Eisen (die selbstverständlich aus Carbon/Keramik bestehen) als es das Kleinhirn signalisiert.

Schreiben wir es so: Man muss sich fahrerisch auf einem sehr hohen Niveau bewegen, damit man das volle Potenzial von GTA/GTAm wirklich auskosten kann. Und man wird es eh nur auf dem Track wirklich erleben können, im Alltag ist reicht der QV mehr als nur locker. Aber die auf 500 Stück limitierten GTA/GTAm sind nicht nur reine Track-Tools, sie können alles, was der QV kann, halt eben auch. Und verfügen zudem über die grossartigen Felgen mit dem Schnellverschluss. Und die Akrapovic-Anlage, die im Leerlauf eher ruhiger ist als das Vierrohr-Geröhre des QV, auch nicht so wild knallt, wenn man in den Begrenzer dreht, aber das vielleicht schönste Tonbild abgibt, das es derzeit für Geld zu kaufen gibt, tief, sonor, ein wahrer Genuss, für den es sich unbedingt lohnt, den Helm auszuziehen. Der «Tontechniker» versicherte uns, dass bei den beiden von uns gefahrenen Prototypen sämtliche Reglementierungen eingehalten wurden, dass sich je nach Land und Verwendungszweck schon noch etwas an den Dezibeln geschraubt werden kann. Nach oben, versteht sich.

Ob GTA oder GTAm, ach, wir wissen es doch auch nicht; auf den Runden in Balocco konnten wir jetzt fahrdynamisch keinen entscheidenden Unterschied herausarbeiten. Der GTAm ist als Zweiplätzer und mit dem wilden Flügelwerk natürlich noch etwas heftiger, auch die Polycarbonat-Scheibchen hinten sind etwas näher am originalen GTA von einst, aber wer das auf der Rennstrecke in den einen oder anderen Zehntel Vorsprung umwandeln kann, der sollte vielleicht eine Karriere als Profi-Pilot ins Auge fassen. Übrigens: es wurden bisher mehr GTAm bestellt. Im Sommer sollen die ersten Exemplare ausgeliefert werden.

Selbstverständlich muss man die Frage, ob GTA/GTAm den absurden Aufpreis gegenüber dem QV wert sind, nach rein vernünftigen Kriterien sowie in Franken und Rappen mit einem klaren Nein beantworten. Das liegt aber ausschliesslich daran, dass der QV ein Schnäppchen ist; die 188’000 für den GTA bzw. 193’000 Franken für den GTAm sind beide Fahrzeuge auf jeden Fall wert. Denn einerseits stehen sie so ziemlich konkurrenzlos in der Gegend, bei den deutschen Herstellern gibt es unter den Viertürern nichts, was auch nur annähernd derart kompromisslos auf die reine Freude am Fahren ausgelegt ist. Andererseits verfügen sie über all diese liebevollen Details, die man mit Gold gar nicht aufwiegen kann, sind mehr so Gesamtkunstwerke als profane Automobile. In einer Zeit, in der die Längsdynamik von E-Geräten anscheinend die neue Währung für Fahrspass werden kann, sind solch archaische, übermotorisierte Hecktriebler unbedingt begehrenswert. Emotionen statt Effizienz, Schmetterlinge im Bauch statt Reichweitenangst, erhöhter Herzschlag statt die Suche nach der nächsten Schnelladung. Dass die Produktion auf 500 Stück limitiert ist (ja, man kann noch bestellen, viele sind es allerdings nicht mehr), wird den Restwert der beiden Alfa Romeo auf jeden Fall in die Höhe treiben.

Ja, vielleicht hätten es die Italiener noch etwas wilder treiben sollen, noch einmal 100 PS drauflegen (eh ein bisschen schade, dass bei 7000/min der Begrenzer kommt, man hat das Gefühl, da wären gut noch einmal 1000 oder mehr Umdrehungen möglich, der V6 schreit förmlich danach), die ganze Geschichte mit einem manuellen Getriebe verbinden; sich gar auf zwei Türen beschränken. Doch man muss auch die aktuelle Situation von Alfa Romeo sehen – gerade rosig ist sie nicht. Die Italiener haben im vergangenen Jahr weniger Fahrzeuge verkauft als die eigentlich nicht mehr existierende Marke Lancia, der Stelvio läuft ganz anständig, die Giulia halt leider gar nicht. Obwohl sie sowohl von der Fachpresse wie auch von zufriedenen Kunden extrem geschätzt wird; aber kaufen will halt fast niemand. Dem neuen Chef Jean-Philippe Imparato (vorher: Peugeot) stehen einige schwierige Entscheidungen ins Haus. Er braucht unbedingt Synergien und Skaleneffekte, um Alfa Romeo wieder in die schwarzen Zahlen zu bringen – das schon auf Jeep-Basis angekündigte Kompakt-SUV Tonale wird deshalb in aller Eile noch auf die PSA-CMP-Plattform umgebaut (was beim Opel Corsa ganz gut klappte); wahrscheinlich wird es sogar ein noch kleineres SUV geben, ebenfalls auf CMP. Doch was passiert mit Giulia/Stelvio, die auf einer eigenen Plattform aufbauen (Giorgio), die sich auch in einem Grosskonglomerat wie Stellantis wohl nie schönrechnen lassen? Wenn man mit den GTA/GTAm-Ingenieuren über die Zukunft der Modellreihe spricht, dann werden sie plötzlich ganz ruhig, wenden den Blick ab, schauen traurig in die Ferne. Obwohl auch sie diesen ersten wunderbaren Frühlingstag in Italien geniessen. Was sie aber zuversichtlich stimmen dürfte: Imparato ist ein «petrolhead», fährt selber Rennen (zusammen mit seinem Chef, Carlos Tavarez) – und hatte bei Peugeot die Limousine 508 durchgesetzt, obwohl dieses Segment ja kaum mehr der Rede wert ist.

Mehr, viel mehr Alfa Romeo finden sich in unserem Archiv.

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