Lotus 22 von 1962
Der Grosse im Kleinen
Ach, welch ein Unterschied ist das doch zur Formel 1: Es geht in der FIA Formula Junior eigentlich in jedem Rennen sehr, sehr eng zu, manchmal weiss man nach der Zieldurchfahrt noch nicht einmal, wer gewonnen hat. Die Führung wechselt oft, im Mittelfeld geht es wirklich grob zur Sache – und sogar die Überrundungen werden zu einem Abenteuer. Etwas ist aber ähnlich wie in der Formel 1: Es gewinnt eigentlich immer der gleiche. Bruno Weibel wurde 2015, 2017 und 2019 Europameister, 2016 war er Zweiter, 2018 Dritter. Heuer findet aus bekannten Gründen keine Meisterschaft statt.
Bruno Weibel, geboren 1978, hat die vielleicht grossartigsten Lachfalten überhaupt. Das ist deshalb ein Wunder, weil er seit bald 20 Jahren an und mit Lotus arbeitet. Der gelernte Elektroniker kam 2001 zu Schaffner Racing in Birmensdorf, einer der besten Adressen weltweit für die englische Marke; seit 2009 ist er der Inhaber. Seinen ersten Versuch im «Historic Racing» gestaltet er 2015 gleich sehr erfolgreich mit dem ersten Titel. Doch das «schuldet» er auch dem Fahrzeug, mit dem er antritt: Es ist genau jener Lotus 20, mit dem Jo Siffert 1961 ebenfalls auf Anhieb Europameister geworden war. Seit 2018 fährt er mit einem Lotus 22 aus dem Jahre 1962 in der höchsten Kategorie – als einer der wenigen Piloten ohne grosses Team im Rücken. Weibel fährt jeweils auf eigener Achse mit Kind und Kegel zu den Rennen, schläft im Wohnmobil, schraubt selber an seinem Gerät.
Doch das ist sicher auch ein Vorteil: Weibel kennt seinen Lotus in- und auch noch auswendig. Und das ist wichtig, etwa beim Reifendruck: «Die Reifen sind vorgegebenen, am Reifendruck arbeiten wir mit höchster Akribie – 0,05 bar können den entscheidenden Unterschied machen.» Genau so wichtig ist die richtige Abstimmung des Hewland-5-Gang-Getriebes, bei dem sich jeder Kranz einzeln wechseln lässt und das deshalb jeweils perfekt auf die einzelnen Strecke abgestimmt werden kann.
Weibel ist aber nicht nur Mechaniker, er ist auch ein grosser Erzähler, weiss zu berichten, dass der Mantel des Getriebes von einem VW Bulli stammt – und aus Magnesium besteht, denn damals «nach dem Krieg hatten sie kein Alu.» Ähnlich alt ist die Grundkonstruktion des Motors, stammt sie doch aus dem Ford Anglia. Die ersten Formel Junior wurden noch mit der 1-Liter-Variante des bei Cosworth aufgebauten Motors befeuert (ca. 90 PS), der 1.1-Liter kam dann ab 1961 auf 95 PS. Es werden für die historischen Rennen immer noch die gleichen Maschinen wie damals verwendet, für die es auch ein sehr strenges Reglement gibt, und trotzdem ist die Leistungsausbeute heute ungleich höher, wie Weibel erzählt: «Mein Motor kommt auf 127 PS. Da wären noch ein, zwei PS mehr möglich, doch am Schluss zählt vor allem die Zuverlässigkeit. Die Rennen sind bei uns derart eng, die Spitze so nah zusammen, dass man nach einem einzigen Ausfall die Meisterschaft abschreiben kann.
Bruno Weibel ist 1.84 Meter lang: «Im Cockpit ist es sehr eng für mich. Diese Autos wurden für Piloten gebaut, die kaum je grösser als 1.70 Meter waren. Deshalb muss ich ohne Sitz fahren, ich hab den Rücken direkt am nackten Tank. Und das gibt dann schon auch Druckstellen, doch in der Aufregung im Rennen merke ich das nicht.» Kein Wunder dann, dass Weibel auch so schlank bleiben kann – und das ist auch nötig, denn das Gewicht seines Lotus 22 beträgt genau 401.5 Kilo: «Da haben wir an den richtigen Stellen noch etwas Sicherheitsmarge einbauen können.» Sagt es – und lächelt wieder.
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