Open Menu
Open Menu
 ::

Test Audi RS6

Published in radical-mag.com

Der Brocken

Da bist Du dann doch erstaunt, wie «leicht» so ein Audi RS6 plötzlich werden kann. Da kommst Du friedlich den Berg hinunter geflogen, massives Anbremsen vor der Haarnadel, wunderbares Einlenken, die enge Gasse hat ein paar grobe Schläge, er kommt aus den Federn – und dann, genau in dem Moment, als Du rein gar nicht damit rechnest, als Du gerade wieder auf den Pinsel steigen willst, kriecht Dir, gut hinter der A-Säule des Audi versteckt, dieser zahnbelagsweisse Peugeot 309 entgegen. Platz hat es genug, sicher 10 Zentimeter, Bremsen bringt eh nichts mehr, wer die Bäume nicht anschaut, wird die Bäume auch nicht treffen. Doch in dieser Situation knallt Dir das Prinzip der Massenträgheit mitten durch den Körper, es sind halt 2,2 Tonnen, die da ausgerichtet werden wollen, es braucht diese brutal lange Schrecksekunde, bis der Brocken wieder sauber auf allen Vieren und gerade steht und am älteren Herrn ohne Hut im Löwen vorbeizirkelt. Himmel, dieser Grip, danke für diese Lenkpräzision, danke für ein richtig, richtig gutes Fahrwerk, danke für perfekt dosierbare Bremsen. Wahrscheinlich hat der Peugeot-Pilot nicht einmal gemerkt, was da gerade passiert ist. Wahrscheinlich hat es den Franzosen aber auch entstaubt, als der Audi einmal leicht Luft einzog und des Weges knallte.

Enge, ruppige Passstrassen sind nicht das Ding des RS6. Er wiegt nicht nur deutlich über 2 Tonnen, er ist auch (ohne Anhängerkupplung) fünf Meter lang und 1,95 Meter breit und hat einen Radstand von fast drei Metern. Die Serpentine kann da trotz der neuen Allradlenkung eng werden, da machen kleinere Fahrzeuge einfach mehr Freud. Aber, ganz grosses aber: er macht das schon sehr, sehr gut, der Audi, sogar auf einem Geläuf, das nun wirklich nicht seinem Charakter entspricht, Den Grip haben wir schon erwähnt, aber das darf bei 285/30 R 22 auch erwarten. Dass er seine unfassbare Kraft aber auch wirklich auf den Boden bringt, dafür sorgt in unserem Testwagen das RS-Dynamikpaket plus (für satte 16’250 Franken Aufpreis), das neben der Allradlenkung (mit fünf Grad gegensinnigem Einschlagwinkel), den feisten Keramikbremsen (vorne messen die Scheiben 440 Millimeter – und die ganze Anlage ist 34 Kilo leichter), einer Anhebung der Höchstgeschwindigkeit (von 250 über 280 auf 305 km/h) vor allem auch ein Sportdifferential an der Hinterachse umfasst (wir wollen nicht vergessen, der Audi A6 ist ein Fronttriebler). Dieses Differential kann das kurvenäussere Hinterrad leicht überbeschleunigen, was für eine leichte Tendenz zum Übersteuern sorgt – die durch die Allradlenkung noch verstärkt wird. Aber es ist nur ein Gefühl, der Audi lenkt einfach extrem agil ein, er fühlt sich kleiner und leichter an als er tatsächlich ist. Die Luftfederung und das Gewicht sorgen bestens dafür, dass der Wagen sehr satt auf der Strasse liegt, Seitenneigung oder gar Wankbewegungen sind da nicht. Dass er trotz all dieser fahrdynamischen Qualitäten noch ausgesprochen komfortabel ist, gehört sicher zu den grössten Qualitäten des Audi RS6. Langstrecke – der Traum.

RS-Modelle gibt es bei Audi seit 1994, den RS6 seit 2002, das aktuelle Modell stellt bereits die vierte Generation dieses Fahrzeugs dar, das wohl mehr noch als der R8 die technologische und vor allem geistige Speerspitze von Audi darstellt. Im Gegensatz zu anderen Audi-Modellen haben wir beim neuen RS6 kein Problem zu erkennen, dass er neu ist – er ist happige acht Zentimeter breiter als sein Vorgänger, wirkt deshalb viel flacher. Und von vorne sehr, sehr aggressiv; hinten sind die Endrohre noch einmal 33 Prozent grösser geworden, man kann da jetzt auch einen mittelgrossen Hund verstecken. Der Auftritt ist schon sehr, sehr heftig – und wir wagen uns so ein bisschen zu fragen, ob er noch in die heutige Zeit passt. Das Muskel-Shirt war schon vorher sehr eng geschnitten – ob es sich die potenzielle Kundschaft noch leisten kann, will, moralisch, in diesen nicht ganz so einfachen Zeiten noch mit einer derartigen Überdosis an Stereoiden aufzutreten, wird sich noch weisen.

Selbstverständlich braucht ein 4-Liter-Biturbo-V8 mit 600 PS und einem maximalen Drehmoment von 800 Nm auch die entsprechenden Kleider. Man soll ja sehen können, dass er in 3,6 Sekunden von 0 auf 100 geht und in 12 Sekunden schon auf 200 ist und mit RS-Dynamikpaket plus 305 km/h schnell rennen kann. Es will da wohl auch niemand wissen, dass es sich bei der jüngsten Version um einen milden Hybriden handelt, denn da gibt es jetzt einen Riemen-Startergenerator, eine kleine Lithium-Ionen-Batterie, ein 48-V-Bordnetz, Zylinderabschaltung. Das soll den Verbrauch um 0,8 Liter senken, es sind nach WLTP aber immer noch über 12. Doch wir wollen dem Audi hier ein Kränzchen binden: Wenn man ihn so bewegt, wie ihn in der Schweiz wohl die meisten bewegen (müssen), also brav auf der Autobahn von A nach B, dann macht er es auch unter 10 Litern. Dort den Berg hoch, wo wir bergab dem Peugeot begegneten, meinte der Bordcomputer dann allerdings etwas von deutlich über 30… . Noch ein Punkt bei diesem Motor: Im ganz braven Normal-Betrieb wirkt er etwas lethargisch, er braucht ein bisschen, bis er seine Siesta abbricht. Das liegt nicht am 8-Gang-Automat, der ist grossartig, seidenfein, immer alert, sondern wohl in erster Linie daran, dass es schon reichlich Luft braucht, bis all die Pferdchen wiehern. Es ist dies aber Jammern auf allerhöchstem Niveau, es bleibt ja da auch der Dynamic-Modus, falls man in der Autobahneinfahrt einmal einen Gegner haben sollte. Die sind sehr dünn gesät, beim Stern gibt es was, BMW hat den M5, aber halt nicht als Kombi. Also nichts mit einem Kofferraumvolumen von 565 bis 1680 Liter. Und auch nicht mit Anhängerkupplung.

Innen, ach, das können sie halt schon bei Audi. Die gesamte Armaturentafel bis weit über die Mittelkonsole hinaus besteht mittlerweile aus Displays, auch Heizung/Lüftung werden über einen Touchscreen geregelt, und das mag man. Oder dann halt nicht so. Aber es gibt schöne Möglichkeiten, die Darstellung zu verändern, es ist alles gestochen scharf. Wir haben allerdings das Navi nicht verstanden, hätten gern ganz banal eine Adresse, Land, Ortschaft, Strasse eingegeben, aber mit solch profanen Dinge mag sich ein RS6 nicht abgeben. Oder erst dann, wenn man sich durch sieben Untermenus geclickt hat; bis dahin hat man längst das Smartphone aktiviert. Egal, dafür ist die Verarbeitung ausgesprochen sauber, sehr feine Materialien, ein richtig gutes Lenkrad; Haptik, Ergonomie, da macht Audi niemand so schnell etwas vor. Andererseits eine Sitzposition, die man aber einer Grösse von über 1,80 Meter vielleicht als etwas zu hoch bezeichnen möchte. Falls man ein Härchen in dieser ausgesprochen gut gewürzten Suppe suchen möchte.

Gut, da liegt noch eine ganze Perücke. Der Basispreis von 149’500 Franken tönt ja noch einigermassen vernünftig. Bei unserem Testwagen kam dann noch eine Kleinigkeit dazu, am Schluss stand da unter dem Doppelstrich: 206’897 Franken. Das ist dann schon: reichlich, auch wenn der RS6 schon ein wirklich, wirklich feines Automobil ist. Und doch, auch hier: Man fragt sich schon, wann und wie und wo man die wahren Qualitäten dieses Fahrzeugs noch erfahren kann. 600 PS und vor allem diese Wand an Drehmoment sind schon sehr edel, aber es ist vor allem die Freud’ an einer absolut fantastischen Längsdynamik. Querbeschleunigung, also Fahrspass kommt nur ganz genau über männiglich Assi-Systeme dosiert, so viel Kraft und Herrlichkeit lässt sich mit fahrerischem Können nicht mehr einfangen. Und dann fragt man sich halt auch: warum dieser ganze Aufwand zu diesem horrenden Preis? Ist die Vorstellung, mit einem Wohnwagen im Schlepptau mit über 300 km/h über die Autobahn brettern zu können, dies wert? «Leider» zeigt der Audi RS6 in seiner ganzen Pracht und Fast-Perfektion ziemlich genau auf, was nicht (mehr) nötig ist.

Mehr Audi haben wir in unserem Archiv.

Der Beitrag Test Audi RS6 erschien zuerst auf radicalmag.