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Gedanken zu #gims2020

Published in radical-mag.com

Die Chance

Die Auto-Messe ist tot. Nach der Absage der Geneva International Motor Show, leider auch bekannt als #gims2020, stinkt sie schon fast ein bisschen, diese Auto-Messe. Ihr letztes Stündchen hätte sowieso bald geschlagen, wissen ganz viele Experten. Das Corona-Virus hat die Abdankung nur beschleunigt, die Totengräber klopfen schon an die Tür.

Falsch. Komplett falsch.

Denn: es wäre ein wunderbarer Salon Genf geworden. Was es da alles zu bewundern gegeben hätte, die Wiedergeburt von Fiat, komplett offene Engländer von Bentley und Aston, ein Über-Porsche, wahnsinnige Italiener, durchaus vernünftige und interessante E-Dings – wohl noch mehr als in anderen Jahren hätte Genf gezeigt, dass die Auto-Industrie lebt, Ideen hat, Faszination und Emotionen schafft. Die anwesenden Hersteller hätten für eine ganz grosse Show gesorgt – und die vielen Abwesenden zu Recht tief in die Röhre geschaut.

Es kam anders, und das ist für alle, die sich so viel Mühe gegeben hatten, eine Tragödie. Die grossen Hersteller werden die Kosten in zweistelliger Millionenhöhe locker wegstecken, es ist zu hoffen, dass für die kleinen Aussteller und vor allem die Sub-Unternehmer beim Standbau etc. eine Lösung gefunden werden kann.

Dass #gims2020 nicht stattgefunden hat, ist – trotzdem – aus vielerlei Gründen gut. Es war da mit dem neuen Direktor, der schon abdankte, bevor er überhaupt anfing, wohl der falsche Mann am falschen Ort. Die Organisation, sprich: die Stiftung, die über das Patronat über den Genfer Salon verfügt, hat die Kostenschraube für die Aussteller noch einmal massiv angezogen – und damit endgültig sowie massiv überzogen. Dass keinerlei auch nur halbwegs vernünftige Lösungen bei den Hotel-, Catering-, Standflächen-, Strom-, Leergut- etc./usw.-Kosten gefunden werden konnten, zeigt die Arroganz und den nicht vorhandenen Realitätssinn bestens auf; allein schon die Parkplatz-Preise für die Aussteller zeugen von einem komplettem Irrsinn. Da hat jemand aber sehr eindrücklich nicht verstanden, woher der Wind weht – und #gims2020 wäre auch trotz lauwarmen Konzepten von VIP-Days und ohne gesundheitliche Bedenken vor Grossveranstaltungen zur Katastrophe geworden. Man hat mal wieder an der Kundschaft vorbei nur ans eigene Portemonnaie gedacht; es ist aber auch erstaunlich, dass die grossen Hersteller zwar murren, aber sich nicht wirklich gewehrt haben gegen diese Abzocke.

Vielleicht, nein: hoffentlich ist jetzt Zeit für eine Rückbesinnung. Auf eine Messe für das Publikum – nicht für lauwarmenweissweinsaufende B-Promis. Auf einen Salon, auf dem die Vielfalt und Schönheit der Automobils, der Mobilität im Mittelpunkt steht – und nicht das Ego irgendwelcher Funktionäre, Finanzer und sonstiger Furzer von warmer Luft. Man möchte Kinder mit glänzenden Augen vor einem Lamborghini stehen sehen, angehende Auto-Mechaniker diskutierend bei Porsche und Alfa und auch vor E-Mobilen wissen, Halbstarke von ihrem gepimpten Manta schwärmen hören – und nicht Politiker, die Feinstaub nicht von CO2-Emissionen unterscheiden können, durch die Gänge schleichen sehen.

Doch der Ausfall von Genf hat noch etwas anderes, viel Wichtigeres aufgezeigt: Es gibt keinen Ersatz für eine gute Auto-Messe. Zwar haben dann quasi alle Hersteller, die in Genf ihre Premieren präsentieren wollten, noch schnell einen Live-Stream organisiert. Die einen professionell, auch cool, andere: eher nicht so. Das kann man jetzt alles auch noch besser machen, besser vorbereiten, eine noch blondere Blondine vorne hinstellen und das Concept-Car noch feiner ausleuchten, doch: who cares? Zwar werden uns die Hersteller sicher wieder 32 Milionen Viewer und folglich mindestens 64 Millionen «likes» vermelden, doch es ist das gleiche Spiel wie auf Instagram: der 12jährige Bub aus Bangladesh kauft halt einfach keinen und gar nie einen McLaren. Der potenzielle Kunde für einen Ford, Subaru, Peugeot sitzt um 11 Uhr morgens nicht vor dem Bildschirm, sondern an seiner Arbeit. Punkt. Und nochmals: Punkt. Nach Genf kommen jeweils ein paar Hunderttausend Menschen, die Autos sehen wollen und anfassen und riechen und diskutieren – 2D-Darstellungen von Weltpremieren sind auch mit geschwurbelsten und gesalbtesten Marketing-Worten im Live-Super-Super-Video-Stream etwas anderes. Etwas ganz anderes. Oder auch: nix.

Das Leben ist nicht virtuell. Der Kauf eines Automobils, nur schon das Interesse daran auch nicht. Es mag da einen geben, der seinen Tesla online bestellt, aber er ist eine noch komplett vernachlässigbare Minderheit; es gibt sicher auch das Mädel in Kirgisistan, das jubelt, wenn sie den neuen Golf GTI sieht, doch eine emotionale Bindung, die mehr als zwei Zehntelsekunden überdauert, kommt da nicht auf. Seen that – tschüss, war was?

Die abwesenden Hersteller haben ein paar Millionen eingespart (in Genf war das einfach: Glück), doch das ist in etwa der Gegenwert der Provisionen, die sie auf mittelgrossen Märkten ihren Media-Agenturen abdrücken. Und keiner von ihnen hat bislang auch nur den Hauch einer Idee geboren, wie sie den Messe-Auftritt ersetzen könnten. Road-Shows – gähn. Video-Shows – gähn. Paid Content auf den social-media-Kanälen – extremgähn, bis zur Kieferstarre. Es ist jetzt wirklich die Chance auf eine Rückbesinnung auf eine gute Auto-Messe – an der alle Player ein Interesse haben (müssten), die Hersteller, die Organisatoren, die Medien, das Publikum.

Ja, man darf das gerne diskutieren.

Der Beitrag Gedanken zu #gims2020 erschien zuerst auf radicalmag.