Test Jeep Grand Cherokee Trackhawk
Modern Times
Man hat das Gefühl, dass er zuerst einmal ganz tief durchatmet, der Kompressor. Dass er dabei allen anderen Fahrzeugen in der näheren Umgebung die Luft wegsaugt. Dann macht er ein schön metallisches Geräusch – und dann ist man sowohl als Fahrer wie auch als Passagier froh, dass der Jeep Grand Cherokee Trackhawk über Kopfstützen verfügt. Denn wenn er dann genug verdichtet hat und der Supercharger wohlgenährt ist, dann haut es den Amerikaner aber so etwas von gnadenlos nach vorn; die Physik wird ad absurdum geführt, es ist fast unvorstellbar, dass sich über 2,5 Tonnen in der aerodynamischen Form einer dreistöckigen Hauswand derart beschleunigen lassen können. Falls es noch eines Beweises bedurfte, dass 6,2 Liter Hubraum, 710 PS und 868 Nm maximales Drehmoment durch nichts zu ersetzen sind, dann, ja, was dann? Vielleicht noch mehr Zahlen: 3,7 Sekunden für den Sprint von 0 auf 100 km/h, 11,6 Sekunden bis 200, Höchstgeschwindigkeit 289 km/h. Er kann das übrigens gut, bleibt auch bei üblen Beschleunigungsorgien und hohen Geschwindigkeiten erstaunlich gut in der Spur (für ein SUV…), aber das liegt wahrscheinlich auch am Gewicht, so ein Trumm lässt sich ja kaum von seinem Weg abbringen – zumindest, so lange dieser geradeaus führt. Und ja, wir wollen es eingestehen – so ein wenig geil ist das schon, wie der Trackhawk abdrückt.
Fast noch besser ist allerdings: er ist der König. All diese OMG, M-, RS-, SVR- und etc.-SUV, die sind ein Schluck Wasser gegen den Amerikaner. Langweilige Nasenbohrer. Obwohl der Jeep gar nicht so aufdringlich auftritt wie noch so manches der genannten Produkte. Der Kenner sieht es aber sofort, und all diese Schatten-Parker mit platten Reifen tun gut daran, sich den Trackhawk zu merken, denn es könnte ansonsten peinlich werden. Weil der Jeep ihnen allenfalls die Luft wegsaugt, sie beim Ampelstart derart abwatscht, dass die Begleiterin gleich aussteigen will. Gut, vielleicht mag sie ja warten bis zur ersten Kurve, aber das kann der Amerikaner auch nicht schlechter als die anderen Dickschiffe – er bleibt also vorn. Bremsen tut er übrigens ausgezeichnet, Brembo, vorne 400 Millimeter (vierhundert!), das ist dann ziemlich grob. An der Dosierbarkeit liesse sich sicher noch etwas arbeiten, die ist mehr auf «Track» denn auf den Alltag ausgelegt. Das Fahrwerk mit den adaptiven Bilstein-Stabis ist im Basis-Modus auf der komfortablen Seite – und wird dann auch nicht viel härter, wenn man es etwas sportlicher haben will. Irgendwo in der Mitte wäre wohl gut, aber so für lauwarme Kompromisse steht dieser böse Grand Cherokee nun beim besten Willen nicht. Die Achtgang-Automatik versieht ihren Dienst auch unter grober Last erfreulich sanft. Ach ja: er kann auch noch 3 Tonnen ziehen, falls Bedarf bestehen würde.
Der Jeep Grand Cherokee passt als Trackhawk irgendwie bestens in unsere Zeit. Er ist die ganz dicke Hose, er ist die fetteste Goldkette um den Hals, eigentlich ist er auch noch das Brusthaar-Toupet und die Hasenpfote. Es braucht dieses Fahrzeug niemand, aber wirklich niemand – und es sind die Zeichen der Zeit, dass es genau deshalb seine Kundschaft auch in Europa finden wird. Als Trackhawk vereinigt er alles auf sich, was so richtig sinnlos ist, SUV ohne die geringsten Geländefähigkeiten, grosser Wagen ohne richtig viel Platz, völlig überdimensionierter Antrieb trifft auf miserable Aerodynamik. Aber er macht halt was her, vielleicht sollte Jeep noch mit grossen Zahlen und Buchstaben 710 PS auf die Flanken schreiben. Ohne elektronische Helferlein lässt sich der Wagen nicht fahren (den Track-Modus muss man einmal ausprobiert haben, da wird das ESP zwar nicht komplett ausgeschaltet, aber es wird dem Piloten bei nur schon sanft zu heftigen Druck aufs Fahrpedal am Ausgang der Kurve angst und bange; 70 Prozent der Kraft gehen dann auf die Hinterräder), was ja aber auch bedeutet, dass die Pracht der Kraft halt beschnitten ist, also: unnötig. Doch diese reinen Längsdynamiker sind «modern times», sie sind die feuchten Träume einer durchaus potenten Kundschaft. Denn günstig ist das Vergnügen ja nicht, es müssen dem Händler mindestens happige 139’000 Franken überwiesen werden. Andererseits: pro PS ist das im Vergleich zu den deutschen Konkurrenten ein Schnäppchen, ein Porsche Cayenne Turbo mit fast schon lächerlichen 550 PS kostet ab 183’900 Franken.
Und eigentlich ist er ja schön gemacht, der Grand Cherokee. Ok, ein Amerikaner, wir müssen bei der Bedienung jetzt nicht alles verstehen, und auch bei der Gestaltung des Innenraums nicht, da haben einige europäische Wagen schon noch etwa eine Fahrzeug-Generation Vorsprung (beim Navi: zwei). Doch man kann sich daran gewöhnen, auch an die etwas zu breiten Sitze, die aber auf der Langstrecke schon sehr bequem sind. Die Verarbeitung ist mehr als nur anständig, vielleicht nicht alleroberstes Premium, aber wer braucht schon von Hand geklöppelte Nähte unter dem Sitz? Und wir mögen dieses stabile Leder, das auch mal einen gekippten Burger erträgt oder eine ausgelaufene Cola, ohne dass gleich der gesamte Innenraum erneuert werden muss. Das Kofferraumvolumen liegt mit einem Fassungsvermögen von 782 Liter auf der grosszügigen Seite; mit abgeklappten Sitzen sind es 1554 Liter.
Und so rollen wir dann noch einmal zum Dorfausgang, stellen den Jeep dort auf «Track», pinseln grob runter, erfreuen uns am Jaulen des Kompressors und vor allem an der Perversität der Beschleunigung – und müssen auch über uns selber lächeln, dass wir solches schon noch lustig finden. Ein paar Worte noch zum Verbrauch: 16,8 Liter, meint Jeep. Wir schafften in unserem Test sowohl deutlich mehr wie auch ein ganz klein wenig weniger. Und ja, wir fragen uns schon auch, wer solch ein Fahrzeug kaufen will – am Stammtisch für Diskussionen zur e-Mobilität wird man damit kaum Punkte machen können.
Mehr Jeep haben wir in unserem Archiv.
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