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Fahrbericht McLaren Senna

Published in radical-mag.com

Der Gipfel

Mit etwas über 260 km/h auf der Zielgeraden des Hungarorings, das Schild 200 Meter kommt näher, näher, der Kopf ist überzeugt: bremsen, bremsen, doch der Profi auf dem Beifahrersitz sagt: wait, wait. Dann endlich, das Hirn hat sich schon auf einen Abflug durch das Kiesbeet vorbereitet, gibt er das Zeichen, der Fuss knallt grob auf das Bremspedal.

Und dann kommt: die Wand.

Nicht der Einschlag, sondern in Form der gröbsten Bremsen, die ich je erlebt habe. Ich bin froh, dass ich in den 5-Punkt-Gurten festhänge, dass ich mich am Lenkrad festhalten kann, es ist unfassbar, wie das verzögert – zum Glück wird das Hirn von einem Helm zurückgehalten, es würde sich sonst auf den Weg zur Frontscheibe machen. Das ist auch deshalb gut, denn ich muss ja jetzt auch noch die Gänge runtersortieren, von 5 in 2, da folgt ja jetzt auch noch die Kurve, quasi eine Spitzkehre. Mich weit nach aussen tragen lasse, dann piano, piano auf das Fahrpedal, dann mehr, mehr, es knallt den Kopf, der gerade eben noch vorne raus wollte, in die Kopfstützen, ich habe das Gefühl, dass ich mich am Lenkrad festhalten muss, weil sonst der Körper nicht mitkommt mit den Beschleunigungskräften, dritter Gang voll, wieder in die Eisen, eine hängende Links, dann die Mut-Kurve, sie geht am besten im Vierten, mich weit raustragen lassen, Vertrauen, Vertrauen, das hält schon.

Und wie es hält. Zwar ist der Hungaroring nicht wirklich die Strecke, auf der die aktive Aerodynamik des McLaren Senna ihre Möglichkeiten wirklich ausspielen könnte, doch auch der selbstverständlich nur sanft überforderte Hobbypilot spürt, wie der Wagen auf der Strasse klebt, keinen Wank tut, einfach nur extrem beschleunigt, extrem bremst, extrem durch die Kurven geht. Die physikalischen Grenzen scheinen aufgehoben, gut, die Reifen sind auch grossartig, Klebstoff aus Gummi, und wenn ich das Gefühl habe, das war jetzt gut, saubere Linie, rechtzeitig auf dem Gas, für meine Verhältnisse einigermassen spät auf der Bremse (das ist der grösste Unterschied zum Profi), dann lächelt der Wagen irgendwie, denn seine Grenzen sind so weit, weit höher, so weit entfernt von meinem Mut und meinem Talent. Es ist sogar fast ein wenig frustrierend, wie brutal der Senna mir aufzeigt, dass ich eigentlich keine Ahnung habe.

Die fiese Zielkurve, unterdessen bremse ich vorher nicht mehr, sauber im dritten Gang, ewig muss man warten, bis sie endlich die Sicht freigibt – und dann wieder diese unglaubliche Kraft, voll ausdrehen bis 8000/min (die maximale Leistung steht zwar schon bei 7250/min an), Vierter (es gibt insgesamt 7, Doppelkupplungsgetriebe, selbstverständlich), voll ausdrehen, man hat das Gefühl, man könne direkt bis zum Mond weiter beschleunigen; es macht süchtig. Genau wie dann vorne wieder, ganz kurz nach dem 200-Meter-Schild, voll in die Eisen (die selbstverständlich nicht aus profanem Eisen sind, sondern selbstverständlich aus edler Keramik). Sechs Runden haben sie mir versprochen, es werden dann 10. Danke. Und alle nur erdenkliche Hochachtung. Und ein frisches T-Shirt, bitte.

Oh ja, ich bin ganz tief beeindruckt. Selbstverständlich darf von einem Fahrzeug, das eine Million Pfund kostet und 800 PS abdrückt, auch sehr, sehr viel erwarten; natürlich muss ein Rennwagen mit Strassenzulassung das alles können, extrem beschleunigen (in 2,8 Sekunden auf 100 – und vor allem in 17,5 Sekunden auf 300) und extrem bremsen und extrem um die Kurven, und es ist auch weniger die Leichtigkeit, mit der diese Leistungen abgerufen werden, die mich so tief beeindruckt, sondern: die Freundlichkeit. Im Fahrbericht zum Porsche 911 GT2 RS hatten wir erst kürzlich geschrieben, es sei dies alles: zu viel. Ja, der Senna ist noch einmal eine Stufe gröber, wilder, brutaler, er ist: viel zu viel. Aber er macht das ganz anders als der Porsche: er will dem Piloten helfen, ein besserer Fahrer (Mensch?) zu werden. Er ist deshalb so extrem, weil er damit den Steuermann unterstützen kann, er ist in seinem Herzen ein Gentleman. Der Porsche hat einen ganz anderen Charakter, in seinem Innersten ist er mehr so: böse, er lässt den Piloten spüren, dass er eigentlich überfordert ist. Also: der Fahrer, nicht der Porsche. Der GT2 RS fordert den Respekt ein – der McLaren fördert die Demut. (Ja, es ist uns klar, dass dies kein endgültiges Urteil sein darf, wir haben den Senna nur auf der Rennstrecke bewegt und den Porsche gar nicht.)

Der Ferrari 812 Superfast, auch 800 PS stark, kommt ohne Spoiler aus. Ja, man liegt wohl nicht komplett daneben, wenn man ihn als das schönere Auto als den McLaren Senna bezeichnet. Das ist schon sehr dick aufgetragen beim Engländer, der Heckspoiler ist wie eine Geschwulst, die Front extrem zerklüftet. Das hat alles seinen Sinn, von nichts kommt nichts, und 800 Kilo Abtrieb bei 250 km/h ist ein unglaublicher Wert, absolut einmalig bei einem Serien-Fahrzeug (es entstehen ja immerhin 500 Stück vom Senna), ziemlich genau das Doppelte des GT2 RS. Man darf sich schon überlegen, was das jetzt bringt, ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, all die Ingenieursleistung, die in diesem Fahrzeug steckt (und das ist eine ganze Menge) vielleicht in die Entwicklung eines ressourcenschonenderen Geräts zu stecken. Andererseits muss die noch jungen Marke McLaren schon auch noch aufzeigen, was sie kann, sie braucht die Aufmerksamkeit der Petrolheads, man muss ja jetzt auch Geld verdienen für die Zukunft, die ab 2025 auch bei den Briten elektrisch sein wird; man will sogar die Batterien selber entwickeln. Und nein, ein SUV auf Basis des Senna (der seinerseits auf dem 720 S basiert) wird es nicht geben, nie.

Innen ist er: schön. Die Sitze sehen zwar aus wie Fruchtschalen mit Schaumstoffbezug, doch man ist wohl, sie sind auch nicht unbequem. Es gibt sehr hübsche Spielsachen, die sich drehenden Armaturen direkt vor dem Lenkrad, volle Information, wenn man das will – oder dann einfach ein Drehzahlband für Rennstrecke. Nett ist der Startknopf in der Dachkonsole, es soll ja nichts die Aufmerksamkeit stören bei der Jagd auf die Zehntelsekunde. Viel Alcantara, das absorbiert sicher auch den Schweiss besser. Und eine sehr saubere Verarbeitung, da sind die Engländer auf einem sehr hohen Niveau. Das macht auf dem Track zwar nicht schneller, aber es ist wahrscheinlich eh so, dass nicht alle Senna an ihren fahrdynamischen Grenzen bewegt werden. Die komischen Fensterchen in den Türen, die man brauchen soll, um noch präziser um die Kurven fahren zu können, habe ich auf meiner Fahrt gar nicht erst bemerkt, aber auch der Profi an meiner Seite bestätigt, dass es wohl mehr ein Design-Fürzchen ist.

Interessant in diesem Zusammenhang: es wurde kein einziges Exemplar ohne Klimaanlage bestellt. Damit wird das Trockengewicht von 1198 Kilo dann schon über 1,2 Tonnen gebracht. Und fast alle haben auch Navi und eine fette HiFi-Anlage. Was nochmals ein paar Dutzend Kilo mehr sind – und uns zum Sound des Senna bringt, dem vielleicht einzigen ernsthaften Kritikpunkt an diesem Automobil, denn tönen tut er: dürftig. Der 4-Liter-V8 tobt schon mächtig im Rücken, aber es dürfte mehr sein, wilder, auch lauter. Und trotz 800 Nm maximalen Drehmoment (die allerdings erst ab 5500/min anliegen) spürt man nicht den heftigen Knall, der den Fahrer im Porsche 911 GT2 RS in einen Rausch versetzt – die Kraftentfaltung ist im Senna sehr linear, er lebt mehr von seiner wahnwitzigen Leistung denn von seinem Drehmoment. Aber das ist ja auch typisch für einen Rennwagen.

Dass die 500 Exemplare zu einem Basispreis von 922’500 Euro (ein Preis in Schweizer Franken wurde gar nicht erst festgelegt) schon ausverkauft waren, bevor jemand das Fahrzeug überhaupt je gesehen hatte, hat vielleicht noch einen weiteren Grund: Der McLaren Senna ist nicht bloss der Gipfel des derzeiten Sportwagenbaus – er könnte es auch auf lange Zeit hinaus bleiben. Man muss davon ausgehen, dass alle zukünftigen Überflieger zumindest Hybriden sein werden (oder dann sogar rein elektrisch) – die unglaubliche Konsequenz, mit der die Briten jedes Kilo eingespart haben, wird es in den nächsten Jahren nicht mehr brauchen, weil die Batterien eh so schwer sind, dass sich ein wahres Rennfahrzeug-Feeling gar nicht mehr einstellen kann.

Mehr McLaren findet sich in unserem Archiv. Wir fuhren auf den Hungaroring auch noch den 600LT, darüber dürfen wir ab dem 26.9. 2018 berichten.

Der Beitrag Fahrbericht McLaren Senna erschien zuerst auf radicalmag.