Chevrolet El Camino
American Way
Es waren wilde Jahre in der amerikanischen Automobilindustrie, damals, in den 50ern. General Motors hatte sich längst die Spitzen-Position gesichert, Ford und Chrysler blieben nur die Brosamen, und für alle anderen Marken wurde die Luft immer dünner. Jahr für Jahr schaufelte die GM-Design-Abteilung unter Leitung von Harley Earl schon seit Ende der 40er Jahre neue Meisterwerke auf den Markt, doch Earl wurde auch immer schwülstiger, manche Ideen erinnerten mehr an Ufos denn an Automobile, denn der wohl erfolgreichste Industrie-Designer aller Zeiten liebte die Luftfahrt, träumte gar vom Weltraum.
Doch dann, mit dem Jahrgang 1957, versuchte sich Chrysler mit einem komplett neuen Design freizustrampeln. Das war auch nötig, denn mit schlechten GM-Kopien liess sich kein Blumentopf gewinnen. Die Fahrzeuge wurden kleiner, die ewig langen Motorhauben kürzer, der Chrom weniger, viel weniger (für heutige Verhältnisse ist es aber immer noch unfassbar viel). Die Führungsetage von General Motors war vom neuen Chrysler-Jahrgang dermassen beeindruckt, dass Earl kurzerhand in die Wüste geschickt wurde – und sein Nachfolger Bill Mitchell in kürzester Zeit ein neues Programm zeichnen musste. Das kostete GM viel, viel Geld. Die 59er-Produkte von GM zeigten noch einen letzten Earl-Exzess, nie waren die Heckflossen grösser (Chevrolet Impala, Cadillac Eldorado), doch gleichzeitig und vor allem danach wurde alles anders.
Die Idee für einen Pick-up auf Personenwagen-Basis war bei GM schon 1952 diskutiert worden; der Anstoss dazu kam übrigens von Harley Earl. 1955 schickte Chevrolet den Cameo Carrier ins Rennen, der zwar noch auf einer Lieferwagen-Basis (Baureihe 3100) lief, aber ein erstes Luxus-Modell eines Pick-up-Trucks war, was optisch auch gut zu sehen war, denn erstmals wurde die Ladefläche nicht einfach angeschweisst, sondern ins Design integriert. Doch auch diese Idee war eigentlich nicht neu, Ford hatte in Australien schon in den 30er Jahren ein ähnliches Fahrzeug gebaut, angeblich auf Wunsch eines Farmers, der ein Auto wollte, mit dem er am Sonntag in die Kirche und am Montag auf den Markt fahren konnte.
1957, mitten in der Phase des grossen Design-Umbruchs bei General Motors, brachte Ford den Ranchero auf den Markt (siehe auch unsere Facebook-Seite). Und hatte mit dem Slogan «More than a Car! More than a Truck!» gleich von Anfang an grossen Erfolg. Was die hohen Herren bei GM fast so ärgerte wie die neue Design-Sprache von Chrysler. Bill Mitchell, sicher nicht unterbeschäftigt in jenen Tagen, fasste den Befehl, sich sofort eine Gegen-Massnahme zu überlegen, denn der Cameo Carrier sah im Vergleich zum Ranchero so richtig alt aus.
Für den Modelljahrgang 1959 war es dann endlich soweit: der Chevrolet El Camino – eine Bezeichnung, die 1954 erstmals für eine Cadillac-Studie verwendet worden war – kam auf den Markt. Er basierte auf den 59er-Chevrolet-Modellen mit kaum angepasstem Fahrgestell und einer Karosserie, die bis zur B-Säule und auch beim Heck identisch war mit dem Impala. Das Passagierabteil mit der dreisitzigen Bank endete mit einem Fenster und einer Spritzwand, die auch zur Versteifung der Karosserie diente; dahinter folgte die Pick-up-Wanne, die erste im GM-Programm, die nicht aus Holz, sondern aus Blech bestand. Die horizontale Heckklappe konnte vom Kombi Brookwood übernommen werden. Weitere Anpassungen unterblieben, und deshalb sah der El Camino zwar ganz gut aus, wenn er zwei Kisten Erdbeeren geladen hatte, doch er sank tief in die Federn, sobald man auch nur annähernd die Ladekapazität (maximal etwa 500 Kilo) auszuschöpfen versuchte. Und war dann, so hört man erzählen, eigentlich unfahrbar.
Als Motorisierung standen ein 3,9-Liter-Reihensechszylinder (135 PS), ein 4,6-Liter-V8 mit 170, 230 oder 250 PS sowie der bekannte 5,7-Liter-V8 mit bis zu 325 PS zur Wahl. Die schärfste Variante mit einem Dreifach-Vergaser schaffte den Sprint von 0 auf 60 Meilen (0 auf 96 km/h) in sieben Sekunden und kam auf eine Höchstgeschwindigkeit von 210 km/h; wir hätten es nicht austesten wollen. 22’246 El Camino konnten gleich im ersten Jahr abgesetzt werden, damit übertraf Chevrolet die Verkaufszahlen des Ranchero von Ford locker. Und dies, obwohl der El Camino bei weitem nicht so ausgereift war wie der Ford, eine geringere Ladekapazität hatte und eben auch kein Fahrwerk, das auf den Transport von schwereren Lasten ausgelegt gewesen wäre. Aber er sah halt sehr gut aus, dieser erste El Camino – und ist heute ein absolutes Kultobjekt.
Ein Jahr später sah es schon ganz anders aus: die Chevrolet waren kleiner, schlichter geworden, das neue Design-Programm von Mitchell setzte sich durch. Und prompt fielen die Verkaufszahlen, noch 14’163 Exemplare konnten verkauft werden – und General Motors verordnete Chevrolet eine Denkpause in Sachen El Camino. Erst 1964 kam die zweite Generation auf den Markt, jetzt auf Basis des Chevrolet Chevelle. Zu Beginn verzichtete Chevrolet auf den Einbau der wirklich starken Motoren in den neuen El Camino, er sollte jetzt mehr ein «Utility» sein als ein Personenwagen, doch die Kundschaft goutierte das gar nicht. Und schon 1966 gab es dann wieder die richtig grossen Brocken mit 6,5 Liter Hubraum und bis zu 375 PS. «SS» hiess das Zauberwort.
Mit einem solchen «SS» hatten wir einmal das Vergnügen, einem bösen 67er. Selber ans Steuer durften wir leider nicht, das Auto stammt aus dem Fundus des GM Heritage. Aber allein schon die Beifahrt liess uns erschaudern: das Fahrwerk weich wie Butter an der texanischen Sonne, jede Richtungsänderung bringt das Ding zum Schaukeln. Und das, obwohl unser Pilot sein Gefährt mit der gleichen Geschwindigkeit auch hätte stossen können. Das Lenkrad gibt mehr so etwas wie die Richtung vor, Präzision sieht anders aus. Und die Sitzbank ist so rutschig wie ein Eisfeld, doch das war wohl Programm, damit die Holde auf dem Beifahrersitz ein bisschen näher kam. Aber der Anzug des 6,5-Liter-V8 ist grosses Theater, der Sound sowieso – und darum ging es ja eigentlich, auch die El Camino der zweiten Generation waren nicht dringend gemacht für den Transport von Waren. It’s Showtime, Baby.
Der El Camino blieb in mehreren Varianten im Chevrolet-Programm bis 1987, danach wurde er in veränderten Versionen noch in Mexico weitergebaut. Frühe, gute Exemplare sowie die SS-Maschinen kosten heute viel Geld, da werden sechsstellige Beträge in Dollar bezahlt. Doch weil die El Camino hauptsächlich auf dem Land (sowie in Lateinamerika) verkauft wurden, sind die Chancen noch einigermassen intakt, dass man vielleicht einmal einen so genannten «Scheunenfund» landet, besser auf jeden Fall als bei einem Ferrari oder Bugatti.
Mehr schöne Amerikaner haben wir in unserem Archiv. Und die ganze Geschichte der Pick-up erzählen wir: hier.
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