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Die Alfa Romeo 6C2300 Worblaufen

Published in radical-mag.com

«Etwas sehr Gelungenes»

(Gleich zwei Alfa Romeo 6C2300 sind auf dem Stand von «Le Retour du Futur» zu bewundern, einer mit langem Radstand, das schwarze Fahrzeug, einer mit kurzem Radstand, der blaue Alfa Romeo; beide sind von Carrosserie Worblaufen in Form gebracht worden, beide wurden von www.lutziger-classiccars.ch zur Vefügung gestellt. Sie standen beide schon vor genau 80 Jahren in Genf, der Lungo bei Carrosserie Worblaufen, der Corto bei Alfa Romeo. Was allein schon eine schöne Geschichte ist.)

Die Schweiz besass bis in die 60er-Jahre rund 40 namhafte Karosseriebauer für Personenwagen. Namen wie Beutler, Gangloff, Graber, Ghia-Aigle, Langenthal und Worblaufen sind dem Kenner und Liebhaber heute noch ein Begriff. Fritz Ramseier senior gründete 1929 zusammen mit seinen Söhnen Ernst, Fritz und Hans in Worblaufen bei Bern die Fritz Ramseier & Cie. Carrosserie Worblaufen. Der Betrieb erlangte bald schon einen hervorragenden Ruf, beschäftigte bis zu 40 Mitarbeiter und präsentierte 1931 auf dem Genfer Automobilsalon die ersten beiden Fahrzeuge. Bis zu Beginn des Zweiten Weltkriegs entstanden bei Worblaufen vor allem Cabrios auf Basis von Alfa Romeo, Bugatti, Buick, Bentley, Delahaye, Ford, Peugeot und Renault. Als bestes Verkaufsargument erwies sich das patentierte Cabrioverdeck, das sich dank einer integrierten Spiralfeder mit nur einer Hand bedienen und sich sehr kompakt zusammenfalten liess.

Ein helles Verdeck desselben Baumusters hat auch der schwarze Alfa Romeo 6C 2300B, der vor genau 80 Jahren in Genf ausgestellt wurde. Noch weitere schöne Karosseriedetails kennzeichnen das Cabrio: schlanke, mit der Motorhaube verbundene Frontkotflügel, eine verkleinerte Kühlermaske und ein Wagenheck mit integrierter Finne. Das Cabriolet mit dem 70 PS starken Reihensechszylinder gilt bis heute als eine der schönsten Worblaufen-Karosserien.

Die Entstehungsgeschichte dieses Fahrzeugs ist gut bekannt, lässt sich nachverfolgen etwa in einem schwarzen, ziemlich abgegriffenen und von Hand mit schwungvoller Schrift verfassten Auftragsbuch «Führer von verkauften Wagen». Es stammt von Ernst Ramseier. Darin ist zu lesen, dass am 17. Mai 1937 ein gewisser E. Morf aus La Chaux-de-Fonds ein langes Alfa-Romeo-Chassis 6 Zyl. 12 HP für 8500 Franken und «eine Carrosserie 2 Türen 2 Fenster als Schlagerwagen für Salon 1938 Genf für unseren Stand» zu einem Gesamtbetrag von 13’500 Franken bestellt hatte. Es liegt ausserdem der Kaufvertrag vom 1. Mai 1937 vor, in dem neben dem Alfa-Chassis das schwarze Cabrio mit nur wenigen Worten beschrieben wird: «1 Spezialcarrosserie, 2 Türen, 2 Fenster, Kühlerverschalung, Motorhaube & Kotflügel in Spezialausführung laut mündlicher Besprechung. Polster in echt englisch Leder».

Ernst Morf besass in der bekannten Uhrenstadt des Schweizer Jura eine Firma, die Uhrengehäuse herstellte und damals offenbar gute Geschäfte machte. Monsieur Morf war Stammkunde bei Fritz Ramseier und bestellte zeitgleich zum Alfa noch ein Lancia Cabrio. Deshalb lud man ihn am 12. März 1937 auf den Genfer Autosalon ein. Der zerbrechlich knisternde Schreibmaschinen-Durchschlag ist im Firmenarchiv erhalten: «Hiermit gestatten wir uns, Ihnen eine Eintrittskarte zum Genfer Automobilsalon zuzusenden und hoffen gerne, dass wir die Ehre haben werden, Sie auf unserem Stand begrüssen zu können. Hochachtungsvoll Fritz Ramseier & Cie, Carrosserie Worblaufen».

Morf besuchte tatsächlich in Genf den Firmenstand, wo er ein von Fritz Ramseier entworfenes Alfa 6C Cabrio besichtigte, das ihn sehr beeindruckt haben müsste. Es wurden vermutlich bereits Kaufgespräche über einen ähnlichen oder identischen Wagen geführt. Am 24. März bedankte sich deshalb Worblaufen für den Besuch in Genf und versprach Herrn Morf, bis Ostern eine detaillierte Offerte «für die Carosserierung des von Ihnen gewünschten Alfa Romeo». Fast zeitgleich, nämlich am 25. März, erkundigte sich der Unternehmer bereits nach den Modalitäten für den Bau eines Luxus-Cabrios auf Alfa-Romeo-Basis mit nur zwei Sitzen und Platz für Gepäck im Fond. Ferner wünscht er Zeichnungen von dem Wagen, «car je voudrais quelquechose des très réussi et d’une exécution irréprochable» («weil ich etwas sehr Gelungenes in einer tadellosen Ausführung erhalten möchte»). Es folgt weitere Korrespondenz: «Anschliessend an unsere gehabte Unterredung vom Genfer Salon sowie an unser Schreiben vom 25. März gestatten wir uns, Ihnen nachstehende Offerte zu unterbreiten …“ Dann folgt die Beschreibung der gewünschten Karosserie: „1 Cabriolet Alfa Romeo, Typ Lungo, 3,25 Meter Radstand, 6 Cyl., 12 PS, wie in Genève probiert, mit einer Spezialcarrosserie, 2 Türen, 2 Fenster, 2/4 Plätzer, Spezial-Kotflügel, mit Hinterteil wie in Genève besichtigt. Ia, echt englisch Lederpolsterung».

Leider existieren keine entsprechenden Zeichnungen mehr, obwohl es damals üblich war, den Kunden damit über das Aussehen seines Wunschautos zu informieren. Diese Zeichnungen – in der Regel Seitenaufrisse – waren zum Teil sogar mit Buntstiften koloriert; die Karosserieentwürfe stammten stets von Firmenchef Fritz Ramseier. Doch das Puzzle ist komplett: Worblaufen lud seinen wohlhabenden Stammkunden Ernst Morf auf den Genfer Automobilsalon des Jahres 1937 ein. Man schickte ihm sogar eine Eintrittskarte. Dort verliebte sich Herr Morf auf dem Worblaufen-Stand in ein Alfa-Romeo-Cabriolet. Und genau so eines oder so ein ähnliches gab er bei Worblaufen in Auftrag. So entstand das traumhaft schöne schwarze Luxus-Cabrio mit den roten Speichenrädern, das laut Kaufvertrag ein Jahr später ebenfalls auf dem Autosalon in Genf ausgestellt werden musste. Offenbar besass bereits das Cabrio von 1937 die aerodynamisch ausgeformten «Spezial-Kotflügel» und das Wagenheck mit angedeuteter Finne. Das erklärt auch, weshalb Kenner Morf keine detaillierte Beschreibung seines bei Worblaufen bestellten Cabrios benötigte, da er sich im Grossen und Ganzen auf das Genfer Ausstellungsfahrzeug berufen konnte.

Die Geschichte des Alfa Romeo 6C2300 mit kurzem Radstand sei etwas anders erzählt als sonst. Denn es gibt zu genau diesem Fahrzeug, das 1938 auf dem Stand von Alfa Romeo in Genf gezeigt wurde, eine Zeitzeugin: Trudy Ramseier, die Frau von Ernst Ramseier. Dieser war der Bruder von Fritz Ramseier, dem Chef der Carrosserie Worblaufen, und ebendort für die Finanzen zuständig.

Es sei Trudy Ramseier zitiert: «Ernst kam nach Hause und sagte, ich bin ganz durcheinander, stell dir vor, ein ganz junger Mann, er stellte gar nichts vor, kam ins Geschäft in die grosse Halle und beschaute unsere Autos. Da war nun das Auto für den Genfer Salon in Arbeit von Hans, dem Spenglermeister, ein Alfa Romeo, ein Cabriolet in roter Farbe. Er betrachtete es, sass hinein und fragte nach dem Preis. Ernst dachte, er wüde Zeit verlieren, der kann das doch nicht bezahlen, und sagte 19’000 Franken, es war ja 1937 sehr viel Geld. Der Mann sagte, ich komme morgen wieder, dieses Auto gehört nun mir, ich zahle 10’000 Franken an, den Rest, wenn es fertig ist, und ich wünsche, dass man es ausstellt am Genfer Salon. Er kam am andern Tag und bezahlte die 10’000 Franken».

Gut, Trudy irrte sich in der Farbe, rot war der Alfa Romeo nicht. Aber ansonsten geht ihre Erzählung spannend weiter. Man erkundigte sich nach dem «Herrn Lazlo Höcke» und erhielt gutes Zeugnis «von seiner Zimmerfrau», und später «kam ein Telefonanruf von Bundesrat Minger», der den Käufer geschäftlich sprechen wollte. Und weiter: «Also war das Auto fertig und sie fuhren an den Salon. Sie bekamen einen sehr guten Standplatz und das Auto hatte grossen Erfolg. Fritz und Ernst waren die zehn Tage stets an der Ausstellung».

Lazlo Höcke hatte unterdessen eine junge Dame kennengelernt, die Trudy Ramseier dann betreuen durfte. Die beiden Damen gingen einkaufen, bloss, sie hatten kein Geld, um die ausgesuchten Kleider auch bezahlen zu können. Doch niemand wurde misstrauisch, denn noch am gleichen Abend lud Höcke zum Essen ein, «Coque Flambé» – und liess dabei einem Hund «eine halbe Portion Schlagrahm» servieren: «Er bestellte eine Serviette und band sie dem Hund um den Hals. Der Hund hatte Freude und schleckte sofort alles weg».

Und weiter: «Der Salon war vorbei und das Auto wurde in der Carrosserie wieder auf Hochglanz poliert. Herr Höcke holte das Auto mit Freunden ab. Einen ganzen Monat hörten wir nichts mehr». Doch dann: «Montags kam mein Gatte mittags erregt zum Essen und sagte, denk dir, heute kam die Polizei in das Geschäft und erklärte, Samstag hat Herr Höcke einen Unfall bei Interlaken gemacht und einen Mann angefahren. Nun wurde alles ausgekundschaftet». Und das war so einiges, wie Trudy Ramseier dann berichten wusste: «Die Zimmerfrau war Witwe und hatte ziemlich Geld. Herr Höcke erklärte ihr, wenn sie ihm ins gutgehende Geschäft Geld geben würde, bekomme sie mehr Zins als auf der Bank. Bundesrat, Schloss und Pferde, alles war eine Lüge. Es gab einen Prozess».

Und den gab es wirklich. Wie Höcke die gesamte Rechnung, «CHF 19’000.00 (echt englisch Lederpolsterung), CHF 60.00 Radio montiert, CHF 10.00 Antenne, CHF 30.00 Nebellampen montiert und angeschlossen, CHF 20.00 Cicatenor montiert und angeschlossen», am Schluss beglich, weiss man nicht. Sicher ist, dass er einen «DKW Wagen in Zahlung gab». Das Fahrzeug verblieb auf jeden Fall im Besitz des «armen Ungarenkindes», wie Trudy Ramseier den Kunden bezeichnete. Es tauchte später sogar an einem Schönheitswettbewerb in Budapest auf. Dann verschwindet es für viele Jahrzehnte, erst 1978 findet es sich wieder im Besitz eines Sammlers.

Heute glänzt der Alfa Romeo 6C2300 mit kurzem Radstand (also: Corto), der 1938 auf dem Stand von Alfa Romeo zu bewundern war, immer noch in einem wunderbaren Schwarz. Rot, wie Trudy Ramseier ihn gesehen haben wollte, war er nie. Mehr, viel mehr Alfa Romeo haben wir in unserem Archiv – und anderem auch sehr ausführlich die Geschichte der 6C.

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