Belcar
Einer von sieben
Im November 1955 konnte die Schweizer «Automobil Revue» ein ungewöhnliches Fahrzeug einer kurzen Probefahrt unterziehen: «Unser erster Fahreindruck vom Belcar war der eines für ein so kleines Fahrzeug überdurchschnittlichen Federungskomforts. Dafür sind zweifellos die mit einer Dimension von 4.5-12 recht gross gewählten Räder und die progressive Wirkung sowie die Eigendämpfung der Rosta-Federung verantwortlich. Die durchgehende, mit Schaumgummi gepolsterte Sitzbank misst in der Breite 141 cm und lässt sich somit dadurch mit derjenigen manch grösserer Fahrzeuge vergleichen. Sie bietet zwei bis drei Personen Platz. Zweifellos ist bis zur Serienreife noch viel Kleinarbeit notwendig, doch dürfte der Belcar heute schon als solide Grundlage für die Weiterentwicklung angesehen werden».
Ein halbes Jahr später stand das gleiche Fahrzeug dann in Genf auf dem Salon, übrigens gleich neben dem Soletta, den «Le Retour du Futur» ebenfalls zeigt. Die «Automobil Revue» hatte jetzt folgendes zu berichten: «Inzwischen ist nun in Wollerau die Produktion angelaufen. Der Wagen hat noch verschiedene Änderungen erfahren. Die Sitzbank wurde auf das für drei Personen erforderliche Mass verbreitert, die Gummifederung ist momentan, bis neue Versuchsergebnisse vorliegen, durch Schraubenfedern mit Stossdämpfern ersetzt. Der Belcar-Konstrukteur hat für sein Fahrzeug die leichteste und am billigsten zu fabrizierende Karosserieform des offenen dreiplätzigen Roadsters mit Klappverdeck gewählt. Der Aufbau besteht aus zwei Schalenhälften aus Kunststoff, denen eine Rohrkonstruktion als Gerippe dient. Die Vorderräder sind an Längslenkern geführt und hinten ist eine Triebsatz-Schwinge vorhanden, die als Ganzes, samt dem 250-cm3-Zweitaktmotor und dem elektrisch geschalteten Ziehkeil-Getriebe von den Viktoria-Werken bezogen wird. Der Belcar überrascht durch sein sportliches Aussehen und die recht sorgfältige Fertigung der lebenswichtigen Teile».
Hinter dem Belcar stand die Firma A. Grünhut & Co. sowie der in der Schweiz als «ewiger Prototypenbauer» bekannte Egon Brütsch. In den frühen Fünfzigerjahren hatte Brütsch die Möglichkeiten im neuen Material GFK erkannt und begonnen, Kleinstwagen damit zu entwickeln. Seine Entwürfe überzeugten und immer wieder fanden sich Lizenznehmer, die bereit waren für die Übernahme der Ideen Geld zu zahlen. Auch Grünhut & Co. wollten von Brütsch komplette Fahrzeuge beziehen. Doch man musste bald erkennen, dass der Brütsch 200 nicht wirklich taugte. Also suchten sich die Unternehmer neue Partner, entwickelten mit Hilfe von BASF und den angeheuerten Technikern eine neue Karosserie, die dem Brütsch 200 bis auf die Platzierung der Scheinwerfer stark ähnelte und setzten einen Gitterrohrrahmen darunter. Für das Fahrwerk wählten sie die Rusta-Gummifederung, die Räder waren alle einzeln aufgehängt. Die Zahnstangen-Lenkung kam von ZF, gebremst hydraulisch. Waren die ersten Belcar-Prototypen noch 146 Zentimeter breit, wuchs die Karosserie in der Folge auf 156 Zentimeter Breite, um mehr Platz für drei Passagiere nebeneinander zu erhalten. Mit einer Länge von 3,4 Meter war der Belcar zwar kompakt, aber nicht wirklich klein.
Angedacht war der Einbau des Victoria-250-cm3-Motors mit elektromagnetischer Schaltung, doch die ersten Exemplare wurden alle mit dem Fichtel & Sachs Motor ausgerüstet, wie er auch im Messerschmitt KR 200 zu finden war. Dies bedeutete 191 cm3 und 10,2 PS. Wie beim Brütsch 200 war der Motor vor der Hinterachse eingebaut und trieb das einzelne Hinterrad an. Rund 350 kg wog ein Belcar, als Gesamtgewicht waren 600 kg erlaubt. Der kleine Wagen war mit einem Wendekreis von 8,7 Meter überaus wendig und mit einem Verbrauch von ungefähr 4,5 Litern pro 100 km relativ sparsam. Als Höchstgeschwindigkeit wurden im Verkaufsprospekt 85 km/h genannt.
Der Firma Belcar, Grünhut und Co, so wurde die Firma inzwischen genannt, gelang es mit dem mehrfach modifizierten Roadster, erfolgreich die Schweizer Typenprüfung zu bestehen, die Genehmigung datiert vom 31. Oktober 1956. Es wurden Material und Teile für 50 Fahrzeuge bestellt. Hergestellt sollten die Wagen im Untergeschoss des Verenahofs in Wollerau werden. Zusätzliche Schwierigkeiten entstanden, weil die Banken nicht mehr bereit waren, weiteres Geld vorzuschiessen. In der Not versuchte Grünhut, in Los Angeles Investoren und Vertriebspartner zu finden. Dazu liess er einen Belcar mit der Swissair – als erstes Auto überhaupt – in die USA fliegen. Trotz viel Begeisterung und Vorschusslorbeeren wurden aber nichts aus diesem Plan B und so gaben die Belcar-Gründer schliesslich auf.
Gebaut wurden nach aktuellen Informationen vermutlich sieben Belcar-Modelle, die sich alle im Detail unterschieden. Sie wurden teilweise sogar verkauft. Ein Stück hat überlebt – und wird auch heute noch bewegt. Und kann 62 Jahre nach seinem ersten und einzigen Auftritt am Salon jetzt wieder in Genf bewundert werden: Le Retour du Futur.
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Der Beitrag Belcar erschien zuerst auf radicalmag.