Test Alfa Romeo Giulia QV
Auto des Jahres
Ganz wichtig: Wenn man dann die Giulia abends nach vollbrachtem Tagwerk abstellt, dann sollte man nicht zu nah an die Wand fahren, sonst piepst sie furchtbar auch noch am nächsten Morgen. Und man muss sie unbedingt auf Dynamic oder noch besser Race stellen, so lange die Maschine noch arbeitet. Und dann das Radio ganz leise drehen. Denn am nächsten Morgen, da wird man von der Giulia QV jeweils aufs Schönste begrüsst, es sind die Trompeten von Jericho, ein kurzes, wunderbares Aufschreien – und der Tag wird gut werden, alleine schon deshalb. Da lohnen sich die Vorbereitungen, unbedingt.
Reichlich fahren durften wir die böse, böse Giulia schon, auch auf der Rennstrecke, auch im Stau, im Schnee, am Berg, auf der deutschen Autobahn, sie war mit dabei auf unserer Tour #theitalianjobs (als Automat), kürzlich hatten wir wieder eine über einen längeren Zeitraum, auf Winterreifen, dafür händisch geschaltet. Und in diesem dunklen Rot. Das irgendwie die richtige Farbe ist für dieses Fahrzeug, nicht hell leuchtend, mehr so ein wenig: dreckig. Das passt, sie ist zwar schon eine Diva, die Giulia als QV, aber sie ist halt auch ein Arbeitstier, sie will getrieben werden, sie verlangt danach, dass die Leistung des 3/4-Ferrari-Motors eingefordert wird, sie will Lärm machen – und Freud‘.
Es ist schon sehr beeindruckend, was und vor allem wie diese 2,9-Liter-V6-Maschine abdrückt. 510 PS bei 6500/min sind happig (sie dreht aber schön weiter bis 7500/min), ein maximales Drehmoment von 600 Nm ab 2500/min eine feine Ansage – und wir glauben sowohl an die 3,9 Sekunden von 0 auf 100 km/h wie auch an die 307 km/h Höchstgeschwindigkeit und auch noch an die Nordschleifen-Zeit. Wir glauben sogar an die 8,5 Liter Normverbrauch, denn wir haben sie auch erreicht, beim friedlichen Rollen über Schweizer Autobahnen und Landstrassen, das geht. Es geht selbstverständlich auch ganz anders, aber mehr als 15 Liter schluckt die gemäss Datenblatt 1655 Kilo schwere Italienerin nicht, behauptet zumindest der Bordcomputer (der diesen Wert als Maximum einprogrammiert erhielt). Wenn man dann aber selber rechnet, nach einer flotten Fahrt auf der deutschen Autobahn oder den Schweizer Berg, dann reicht der Tankinhalt manchmal nicht einmal für 300 Kilometer. Im Schnitt waren wir bei 11,8 Liter, aber eben: das hängt sehr stark von der Fahrweise ab. Der manuell bediente 6-Gänger animiert zu einem schwereren Gasfuss als der sehr angenehm schaltende 8-Gang-Automat. Trotzdem: die händische Variante muss erste Wahl sein, das kurze Hebelchen liegt bestens zur Hand, die Anschlüsse sind quasi bei allen Tourenzahlen perfekt – und wer es ruhig will, der kann auch innerorts im 6. Gang einherrollen.
Nochmals, die Maschine, sie hat mehr Text verdient, sie ist etwas vom Besten, was derzeit auf dem Markt ist. Wir sind ja sonst nicht die grossen Freunde der Zwangsbeatmung, doch Alfa Romeo hat mit Hilfe von Ferrari eine Form von Emotionen erschaffen, die es leider nur noch ganz selten gibt. Turboloch, ja, unter 1500/min passiert nicht viel, doch solches passt ja eh nicht zum Charakter des Geräts, in «Dynamic» wird sie ab 3500/min laut, in «Race» ist sie es immer, und es ist eine wunderfeine Sound-Kulisse, echt, ohne Verstärker, halt: volles Rohr. Das Kreischen macht süchtig, man will es immer wieder hören, man wird immer wieder lächeln – und es ist der Beweis, dass auch Turbos so richtig, richtig gut tönen können. Feiner Scherz der Alfa-Ingenieure: Wenn man sie in den Drehzahlbegrenzer jagt, dann wird nicht einfach die Benzinzufuhr gekappt, sondern sie tut zuerst noch einen herzhaften Knall. Grosses, grosses Kino.
Wir erklären den Alfa Romeo Giulia QV auch noch zum sichersten Automobil – seit ewig. Denn die Italienerin erfordert ganz viel Aufmerksamkeit auf der Gasse, nein, so fröhliches Handytippsen oder Telefonieren mit den Lieben daheim ist da nicht. Man fährt sie eh nur in den Fahrmodi Dynamic oder Race – und da muss man schon sehr aufpassen, dass der Hecktriebler brav und wie vorgesehen auf der Strasse bleibt. Man ist es sich ja unterdessen gewohnt, dass man auch übermotorisierte Geräte einfach prügeln kann, schon vor dem Kurvenscheitel den Pinsel wieder bis zum Anschlag durchtreten darf; solches Tun ist im Alfa nicht empfehlenswert. Denn das Heck kann dann schon übel ausschlagen, die Giulia kommt schnell quer. Das ist alles kein Problem, denn sie kündigt das freundlich an, sie bleibt auch dann problemlos beherrschbar, aber wer da nicht alert ist, der kann böse Überraschungen erleben. Sie malt übrigens auch im dritten Gang noch schwarz auf den Asphalt, auch da muss der Fuss feinfühlig bleiben. Und überhaupt, ein liebevoller Blick auf das Fahrpedal – und ist man weit über den Limiten, die unsere Freunde und Helfer setzen. Wohlfühltempo auf der Autobahn ist weit über 200 km/h – und man merkt es kaum, man hat auch bei 250 das Gefühl, noch ganz friedlich einherzurollen. Und ja, so wollen wir Automobile haben, nicht pseudo-autonomes Gleiten, sondern: Fahren. Selber Fahren. Im Alfa will man all diese Assi-Systeme nicht haben, keinen Spurhalter, keinen Abstandsradar, sondern mit allen Sinnen selber am Steuer wirken. Das sind die wahren fünf Sterne in Sachen Sicherheit.
Es ist ja nicht so, dass der Alfa das alles nicht auch hat. Aber man schaltet diese Dinge halt einfach aus. Und wer sich traut, der kann auch gut ohne ESP leben. Er hat auch sonst eigentlich alles, was man in der automobilen Oberklasse erwartet – wir mögen etwa das Navi sehr, weil es auch über Strassen der untersten Kategorie umleitet, man kommt in der Giulia an Orte, von deren Existenz nur die Bewohner wissen. Das Bediensystem ist zu Beginn etwas gewöhnungsbedürftig, doch man lernt das schnell, kann das bald blind – und wird etwa die gesonderte Lautstärkenregelung schätzen lernen. Nicht sonderlich begeistert sind wir vom abgeschrägten Bildschirm, da stand die optische Schönheit vor dem Alltagsnutzen. Und nicht glücklich macht uns das dauernde Gepiepse, das zudem noch viel zu laut ist. Im blauen Automaten waren eher klassische Ledersitze montiert, sehr komfortabel; wir mögen die härteren Sparco-Karbon-Schalensitze aber lieber, man sitzt noch ein paar Zentimeter tiefer – und sie sind erstaunlicherweise auch auf langen Strecken bequem. In manchen Testberichten wird mangelnde Verarbeitsqualität moniert, das können wir nicht nachvollziehen, wir hatten nie auch nur das geringste Problem, keine ungewöhnlichen Geräusche, nichts – und wir haben die jeweiligen Testwagen schon ziemlich gefordert, auch auf jenen schlechten Strassen, die das Navi empfahl. Auch die hinteren Passagiere sitzen anständig, es bleibt so reichliche Kopf- und Beinfreiheit, wie man sie von einem 4,64 Meter langen, (mit Aussenspiegeln) 2,02 Meter breiten und 1,43 Meter hohen Fahrzeug erwarten kann; der Kofferraum ist mit 480 LIter Volumen gross genug, lässt sich auch dank der niedrigen Ladekante gut nutzen.
Man sieht sie ja unterdessen auch gut auf der Strasse, die Giulia, sie hat die in der Schweiz kritische Marke von 1000 Fahrzeugen im ersten Verkaufsjahr locker überschritten. Und sie ist ja auch ein erfreulicher Anblick im Umfeld der leasinggrauen deutschen Premium-Konkurrenten, ganz besonders als QV. Gut, das ist gerade hinten schon ziemlich dick aufgetragen, die vier Endrohre, die breiten Backen, aber: so AMG-Zeugs sieht viel prolliger aus, auch M-BMW sind ja nicht gerade zurückhaltend (die Audi sehen wir nicht als Konkurrenz, die sind entweder Fronttriebler oder dann Allradler, das ist eine andere Zielgruppe). Sie tritt ja eigentlich an gegen 3er und C-Klasse, aber im Innenraum ist sie mehr auf der Höhe von 5er und E-Klasse, räumlich gesehen.
Viel zum hohen Fahrkomfort und natürlich zur sportlichen Fahrfreude trägt das Fahrwerk bei. Nein, die bekannte deutsche Härte mag der Alfa nicht bieten, ganz im Gegenteil, auch im «Race»-Modus bleibt die Giulia erfreulich komfortabel, steckt Bodenunebenheiten locker weg, reicht sie nicht ungefiltert an die Insassen weiter. Es ist trotzdem nichts mit Seitenneigung und Wankbewegungen – und das auch ohne aufwendige Luftfederung. Die Lenkung, relativ leichtgängig, gehört zu dem besten Material, das wir überhaupt kennen, perfekt, Punkt. Die Keramik-Bremsen brauchen etwas Kraft in der Bedienung, doch packen dann genau so zu, wie man das gern hat, sprich: grob. Man erhält da insgesamt ein erstaunliches Paket, sowohl sehr sportlich wie auch bestens langstreckentauglich – da kommen uns jetzt nicht viel Konkurrenten in den Sinn, die beides können, ein M5 von BMW vielleicht, oder ein Turbo-Panamera, doch die spielen in einer komplett anderen Preisklasse.
Und genau das macht den Alfa Romeo Giulia QV so wertvoll: noch ganz ganz selten hatten wir derart viel Spass auf der Strasse – und wurden gleichzeitig entspannt transportiert. Es war die reinste Herrlichkeit, damals bei #theitalianjobs, zuerst über Grimsel und Nufenen zu knallen, so halb quer aus den Serpentinen, voll beschleunigen, wieder heftig bremsen, sich über die präzise Lenkung freuen, dem grossartigen Lärm lauschen, und wieder, und wieder. Und dann auf der italienischen Autobahn einfach den Tempomaten setzen und in aller Ruhe, aber schön flott ans Ziel rollen – genau so muss es doch sein, so ist das wahre Autofahrer-Leben. Die Giulia ist aber weit mehr als eine Herzensangelegenheit, sie kann auch alles, was man von einem Alltagauto erwartet. Gut, 92’900 Franken sind schon reichlich Geld, aber dieser Wagen ist wirklich seinen Preis wert. «radical» fährt ja doch das eine oder andere Fahrzeug jedes Jahr, aber die Giulia QV war 2017 definitiv unser Favorit (siehe auch: Car of the Year 2017).
PS: Wie wir gerade gesehen haben: die manuelle Variante steht nicht mehr in der Preisliste. Schade, sehr schade – sie ist definitiv der wahre Freudenspender. Wir werden uns aber noch klug machen.
Mehr Alfa Romeo haben wir immer in unserem Archiv.
Der Beitrag Test Alfa Romeo Giulia QV erschien zuerst auf radicalmag.