Ferrari 308 GTB «Vetroresina»
Der Kleine aus Kunststoff
Er wird dann schon ziemlich laut, so ab 4500/min. Und er ist ziemlich giftig im Ansprechverhalten, der 2,9-Liter-Achtzylinder. Gut, er wird von vier Weber-Doppelvergasern mit reichlich Lebenssaft versorgt, der mittig quer eingebaute Motor des Ferrari 308 GTB, den wir hier durch die Hügel des Berner Hinterlandes treiben. Unterdessen ist das Öl schön warm, es lassen sich auch alle Gänge schalten; zu Beginn der Tour ging es nur ungerade, 1 (unten links), 3, 5, die andern muss man gar nicht versuchen, die bringt man eh nicht rein (und der Rückwärtsgang will manchmal, manchmal aber auch nicht). Wenn man das liest, 227 PS bei 6400/min, maximales Drehmoment von 284 Nm bei 5000/min, über 1300 Kilo schon ohne Fahrer, dann erwartet man eigentlich nicht so viel, das kann heute ein anständiger Golf auch. Und dann geht das eben doch richtig gut, 6,1 Sekunden für den Sprint von 0 auf 100 km/h gab Ferrari damals (optimistisch) an, eine Höchstgeschwindigkeit von 255 km/h.
Für Enzo Ferrari war immer klar gewesen: der Motor eines Automobils muss vorne sein. Schliesslich spannt man das Pferd ja auch nicht hinter den Wagen. Und eigentlich waren für ihn Fahrzeuge mit weniger als zwölf Zylindern so etwas wie Krüppel, man konnte sie nicht richtig ernst nehmen (genau so wie Aerodynamik etwas war für Hersteller, die keine Motoren bauen konnten). Doch über die Jahre, auch auf Anraten seines geliebten Sohnes Dino, beugte sich «il Commendatore» dem Willen seiner Ingenieure, liess auch kleinere Motoren konstruieren, sah ein, dass Renn- und Sportwagen mit Mittel- oder gar Heckmotor einfach schneller sind. Bei seinen Strassenautos blieb Enzo Ferrari aber lange störrisch – und das erste Serienauto mit Mittelmotor aus Maranello durfte dann auch den Namen Ferrari nicht tragen, sondern wurde als Dino bezeichnet.
Mitte der 70er Jahre war es dann aber doch so weit. Zuerst kam 1973 der 365 GT/4 BB mit Mittelmotor (dies aber immerhin noch mit zwölf Zylindern), 1975 wurde dann der Ferrari 308 GTB vorgestellt. Sowohl der 365er wie auch der 308er waren Entwürfe von Pininfarina, man sah auch auf den ersten Blick, dass der Achtzylinder (mit zwei obenliegenden Nockenwellen) der kleine Bruder des Zwölfenders war. Heute staunt man über die kompakten Masse des 308 GTB: Er ist nur gerade 4,23 Meter lang, 1,72 Meter breit und 1,12 Meter hoch. Und es war ein guter Wurf von Pininfarina: Während andere Mittelmotor-Fahrzeuge wie der Dino 308 GT4 (von Bertone, allerdings auch in 2+2-Konfiguration) oder der Lamborghini Urraco im Styling nicht besonders glücklich waren, schufen die Turiner mit dem kleinen Ferrari ein Fahrzeug von zeitloser Eleganz. Auch heute noch zieht der 308er Blicke auf sich – obwohl er in seiner ersten Version noch mit 14-Zoll-Rädern auskommen musste. Und nur einem Auspuff-Endrohr.
Ach, wie wunderbar es ist, einen solchen Wagen zu bewegen. Unser Exemplar stammt aus dem Jahr 1977 – und ist deshalb in verschiedener Hinsicht etwas Besonderes. Seine Karosse ist nämlich aus glasfaserverstärktem Kunststoff gefertigt. Von diesen frühen Versionen, unter Kennern als «vetroresina» bekannt, wurden je nach Quelle zwischen 400 und 600 oder auch 808 Stück bei Scaglietti gebaut. Doch der Aufwand mit diesem GFK-Aufbau über dem Gitterrohrrahmen war zu gross, zu teuer, der grosse Rest der bis 1980 gebauten 2897 308 GTB hatte dann eine profane Stahlkarosse. Selbstverständlich sind diese «vetroresina»-Modelle besonders gesucht, die Sammler zahlen bis zu 4 Mal mehr für diese Kunststoff-Ferrari als für die Stahl-Modelle. Gleichzeitig mit dem Stahl-308-GTB kam auch der 308 GTS auf den Markt, ein Targa mit herausnehmbarem Dachteil, von dem bis 1980 3291 Exemplare abgesetzt werden konnten. Die 308 GTBi/GTSi mit Bosch-K-Jetronic-Einspritzung waren dann nicht mehr ganz so erfolgreich wie ihre Vorgänger, was unter anderem daran lag, dass sie schwächer und folglich langsamer waren (bis 1983: 494 GTBi/1743 GTSi). Und sie hatten anstatt der aufwendigen, aus dem Rennsport stammenden Trockensumpfschmierung nur noch einen Nasssumpf.
Unterdessen klacken die fünf Gänge schönst durch die Kulissenschaltung. Klar, wenn man sich die Drehmoment-Wände von modernen Turbos und Dieseln gewohnt ist, dann sind die 284 Nm maximales (und spitz zulaufendes) Drehmoment etwas öde. Doch man schaltet dann halt wieder öfter, gern mit Zwischengas (die Kupplung erfordert allerdings etwas Kraft), ein beherzter Tritt auf das Fahrpedal, dann geht das prächtig. Die Lenkung lässt an Präzision vermissen, aber daran gewöhnt man sich schnell, auch die Bremsen sind halt nicht das, was man sich von einem modernen Automobil gewohnt ist. Das Fahrverhalten mutet erstaunlich weich an, was aber sicher auch an den Reifen liegt, Ballon-Pneus im Vergleich zu den heutigen Niederstquerschnitt-Dingern. Von der sprichwörtlichen Giftigkeit der Mittelmotor-Sportagen haben wir auf unserer Ausfahrt nichts mitbekommen, aber man spürt halt schon, dass der Ferrari eine saubere Spur bevorzugt, dass es keinerlei elektronischen Helferlein gibt, die den klar übersteuernden 308 GTB dann auf der Spur halten würden. Und ja, weil es halt einen wunderbaren Lärm macht, ist man auch bei weitem nicht so schnell unterwegs wie man das Gefühl hat.
Unser «Vertroresina» ist in einem feinen Zustand, klar, gebraucht, sein ehemaliger Besitzer ist noch so manche Oldtimer-Rallye damit gefahren. Das Getriebe macht ein paar Geräusche, aber das ist auch gut so, so bleibt man aufmerksam, hört dem Wagen zu, spürt, wie er lebt, arbeitet. Die Bedienung ist so simpel, wie das einst halt war – man kann sich auf das Lenken, Schalten, Gasgeben und Bremsen konzentrieren. Und mehr braucht der Mensch zum vergnüglichen Autofahren bekanntlich nicht. Die Sitze sind bestens, bieten ausreichend Seitenhalt, sind auch auf längeren Strecken bequem – und das darf man sich in einem solchen Ferrari durchaus auch antun. Aber dann lieber über Pässe und Landstrassen, die Autobahn ist sein Ding nicht so, auch deshalb nicht, weil er gegen die modernen Längsdynamiker so alt aussieht, wie er halt ist. Viel Gepäck sollte man auf die Reise auch nicht mitnehmen, hinter dem Motor ist so etwas wie ein Schacht, aber da passt nicht viel mehr als ein Herrenhandtäschchen rein. Und vielleicht noch etwas Nachtwäsche für die Dame.
Dieser Ferrari 308 GTB «Vetroresina» wurde uns von der Oldtimergalerie in Toffen zur Verfügung gestellt. Er wird am 29. Dezember auf der «Classic Car Auction» in Gstaad versteigert. Mehr Ferrari gibt es immer in unserem Archiv.
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