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Fahrbericht Kia Stinger GT

Published in radical-mag.com

Mehr wäre mehr

Die koreanischen Hersteller waren ja bislang nicht gerade berühmt dafür, mit ihren Automobilen grossartige Emotionen wecken zu wollen. Man gab sich gerne zurückhaltend, lächelte viel, wusste um die Qualitäten und ein gutes Verhältnis zwischen Preis und Leistung, doch den grossen Auftritt überliessen Hyundai und Kia gerne den anderen. Dass Kia nun für erste Testfahrten des Stinger gleich auf die Nordschleife einlud, zeigt auf, dass sich da etwas zu ändern beginnt, denn Nürburgring, das getrauen sich auch die deutschen Produzenten nur selten. Und nun stellen sich die Koreaner hin und lassen die Journalisten von der Leine, sechs Runden – das braucht ziemlich viel «balls», grosses Vertrauen auch ins Auto. Und muss allein schon deshalb gelobt werden.

Es ist ja nun nicht so, dass der Kia Stinger das gnadenlose Renngerät, für die Rennstrecke gebaut wäre. Zwar ist er mit seinen 370 PS aus dem 3,3-Liter-V6-Turbo sowie 510 Nm maximalen Drehmoment zwischen 1300 und 4500/min der mit Abstand stärkste Serien-Koreaner aller Zeiten, zwar will er in weniger als 5 Sekunden auf 100 rennen und maximal rund 270 km/h, doch das ist in der heutigen Zeit der irren PS-Zahlen und der Drehmomentwände und der hauseigenen Tunern alles nicht wirklich wild, mehr so cooler Gran Turismo als die ultimative Sportlichkeit. Doch genau da wollen die Koreaner den Stinger auch positioniert haben, GT steht ja auch in der Bezeichnung, mit 4,83 Metern Länge hat der Kia ja auch ein bisschen Übermass im Vergleich zu einem 3er-BMW und Audi A4.

Das Design ist, hmm, wie sollen wir es denn nun beschreiben? Adrett ist er sicher, der Kia, aber halt irgendwie nicht so recht eigenständig. Ein bisschen Audi, ein bisschen Maserati, in seiner Coupé-Form tatsächlich nett anzusehen, doch man vermisst so ein bisschen die Ecken und Kanten, die Details, an denen das Auge hängenbleiben möchte, an denen man sich nicht sattsehen kann. Das ist vielleicht alles ein bisschen zu harmonisch, zu geschliffen, fast so ein bisschen, als ob die Designer plötzlich der Glaube an den eigenen Mut verlassen hätte. Auch innen, absolut ok, es fehlt nichts, es ist nichts zu viel, aber es ist halt auch nichts Besonderes – weil derzeit die Entwicklung des Innenraum-Designs aber gerade grosse Sprünge macht (Tesla, Volvo, Peugeot…), wirkt das ein wenig bieder, altbacken. Das ist doch halt auch ein bisschen schade: Kia will mit dem Stinger starke, schon Ewigkeiten etablierte Konkurrenz bedrängen – doch man tut dies nicht mit letzter Konsequenz. Dafür ist man dann in Korea zu zurückhaltend – und schielt selbstverständlich immer mit anderthalb Augen in die USA, wo diese Form von Charakter auch nicht wirklich gefragt ist. Ziemlich amerikanisch muten übrigens auch die Sitze an, etwas gar rutschiges Leder, etwas gar weit geschnitten.

Also, los. Leider ist die Geräuschentwicklung des V6 ziemlich enttäuschend, im Sinne von: findet nicht statt. Dass da 370 Pferde an der Arbeit sein sollen, hört man definitiv nicht; das Hören gehört nun aber auch zu den Sinneswahrnehmungen, sprich: Emotionen. Auf der Rennstrecke braucht man das aber, man hat ja nicht immer die Zeit, schon gar nicht die Lust, auf den Drehzahlmesser zu schielen. Die 8-Gang-Automatik lässt sich zwar bestens über die Paddels bedienen, aber eben: Dafür müsste man halt «mitbekommen», in welchem Drehzahlbereich man sich bewegt. Erfeulich dagegen: eigentlich ist es so ein bisschen egal, der Kia hat reichlich Kraft allerorten, dreht auch schön hoch, ein Turboloch exisiert nicht wirklich. Und der hauseigene Automat schaltet sowohl seidenfein wie auch schnell.

Die erste Runde fahren wir im Fahrmodus «Comfort». Der passt in Sachen Abstimmung des Fahrwerks bestens zur Nordschleife, doch das ESP setzt halt sehrsehr früh ein, da steht man im Scheitelpunkt der Kurve auch manchmal voll auf dem Pinsel, Bodenbrett, und es passiert gar nichts. In der zweiten Runde ist es dann «Sport», da schaltet er zwar schneller, da lässt der Stinger mehr zu, dafür hoppelt der Wagen über die Strecke, was der Sportlichkeit nicht wirklich zuträglich ist. In der Hatz, rein ins Auto, Fahrerwechsel, dies, das, haben wir nicht rausgefunden, ob es auch die Möglichkeit für eine individuelle Einstellung gibt, butterweiches Fahrwerk, aber dafür härtere Lenkung, schnellere Schaltvorgänge, weniger ESP. Vielleicht kriegen wir den Wagen ja dann einmal in den Test, da weden wir daran arbeiten. Jetzt können wir vermelden: gute Lenkung, präzis, ausdauernde Bremsen (Brembo!), neutrales Fahrverhalten (mit dem Allradler – und etwas anderes hatten wir leider nicht, der reine Hecktriebler ging leider irgendwie an uns vorbei), und ja: guter Komfort. Den wird man auf der Langstrecke schätzen – und dafür sind die Gran Turismo ja gedacht. Auf der Döttinger Höhe in der Nähe von 260 km/h gemäss Tacho, aber so ab 220 waren die Fortschritte eher zäh.

Doch, doch, wenn man auf der zweiten Runde, noch im Bastel-Modus (sprich: finden der passenden Einstellung), problemlos unter 10 Minuten BTG fährt, dann ist das so schlecht nicht für das Gerät. Er ist lieb, der Stinger, einfach beherrschbar, gibt keine Rätsel auf und vermittelt dafür ein schönes Vertrauen, da darf man ihn schon loben. Leistung ist reichlich, mehr wäre manchmal mehr, aber für uns mittelmässige Piloten ist das ganz ok so. Sonst wird man dann ja auch übermütig, und ob das der Stinger dann wirklich goutieren könnte, das wissen wir nun auch nicht. So überstand er es klaglos, keine Pausen, keine komischen Geräusche, kaum eigenartige Gerüche. Und ja, da haben wir schon anderes erlebt.

Er ist also ein mehr als nur anständiges Automobil, der Kia Stinger, ein cooler Gran Turismo, der auch kann, wenn man will. Die eine oder andere Schwäche, aber wer hat die nicht? Ob das nun reicht für den durchschlagenden Erfolg, das wagen wir so ein klein wenig zu bezweifeln – es gereicht auch so richtig schnellen Corvette und bösen Cadillac und schönen Italienerinnen (noch) nicht zu Verkaufsschlagern, obwohl sie auf der Nordschleife und anderen Rundkursen die deutlich teurere (deutsche) Konkurrenz zu Staub und Asche machen. Der Stinger ist ein gutes, ein wirklich gutes Gerät, doch es ist halt auch ein Koreaner, da fehlt es an Image (ganz besonders, wenn die Nachbarn über den Gartenzaun schielen), am Glauben (an sich selbst), an Historie, an halt jenen Dingen, die sich manche Hersteller teuer bezahlen lassen, obwohl sie gar nicht schneller machen. Ob es zu einem immerhin respektablen Resultat an der Verkaufsfront reichen wird, wird beim Stinger sehr heftig vom Preis abhängen – und den werden wir erst in den nächsten zwei oder drei Wochen erfahren.

Mehr Kimchi haben wir in unserem Archiv.

Der Beitrag Fahrbericht Kia Stinger GT erschien zuerst auf radicalmag.