Cadillac Eldorado Brougham
just crazy
Blenden wir für die Geschichte zurück ins Jahr 1953. Auf der Motorama wurde die Corvette von Chevrolet präsentiert, ein Fahrzeug, das soviel Aufsehen erregte und eine bis heute dauernde Geschichte schreiben sollte, dass der von Cadillac präsentierte Prototyp «Orleans» völlig unterging. Der Grund für diese Nichtbeachtung war einfach: Der «Orleans» zeigte auf den ersten Blick nichts, was es nicht schon gab. Äusserlich war er ein normales 53er-Modell, das mit mit einer Panorama-Windschutzscheibe, wie sie auch beim Eldorado zu sehen war, aufgerüstet worden war. Doch ein ganz wichtiger Punkt wurde beim «Orleans» fast immer übersehen: Er war der erste viertürige Sedan, dessen Hardtop keinen Mittelpfosten aufwies.
Ein Jahr später erweckte der direkte «Orleans»-Nachfolger auf der Motorama bedeutend mehr Aufsehen. Obwohl mit seinen Heckflossen, den gewaltigen Stossstangenhörnern und der grosszügigen Verwendung von Chrom ganz klar als Cadillac erkennbar, stellte der «Park Avenue» genannte Prototyp eine neue Ära im Cadillac-Design dar. Und er war ein ausserordentlich gefälliger Anblick: Im Gegensatz zu dem noch sehr hohen «Orleans»-Dach wurden die Linien sehr flach gezogen, ausserdem wurde das Hardtop wie beim «El Camino» aus von Hand poliertem Aluminium gefertigt. Ein Rückschritt war allerdings der Mittelpfosten, der das Dach stabilisierte.
Harley Earl, immer wieder er, sah natürlich sofort die grossen Möglichkeiten für eine Serienproduktion eines solchen Fahrzeugs. Entsprechend leicht fiel es ihm, seinen Chef Don Ahrens zu überzeugen, der noch immer nicht ganz zufrieden war mit seinen Fahrzeugen und den es nach ständigen Verbesserungen gelüstete. Ausserdem wussten sowohl Ahrens wie auch Earl, dass Lincoln im Herbst 1955 ein sensationelles Fahrzeug präsentierten würde. Dieser Continental war vor allem von den Ford-Händlern immer wieder gefordert worden, damit sie die Kunden, die bis 1948 diesem edelsten Namen unter allen Ford-Produkten treu geblieben waren, wieder in ihre und weg von den Cadillac-Verkaufsräumen locken konnten.
Direkt nach dem Krieg und auch zu Beginn der 50er Jahre war Ford allerdings finanziell nicht in der Lage, ein absolutes Topfahrzeug zu bauen – man hatte sich an fünf Fingern abzählen können, dass ein solches Überauto nur Verluste bringen würde, denn im obersten Marktsegment, in dem Rolls-Royce in den USA gerade einmal 150 Wagen jährlich verkaufen konnte, war die Luft mehr als nur dünn. Trotzdem wollte man bei Ford diesen Schritt wagen, auch wenn man sich absolut bewusst war, wie schwierig es werden würde, ein nicht nur gleich gutes, sondern ein entscheidend besseres Fahrzeug als die Cadillac zu bauen. Denn etwas war den Ford-Verantwortlichen ganz klar: Der Continental musste die Cadillac in jeder Beziehung übertreffen, optisch als auch technisch – der Preis dafür durfte keine Rolle spielen. Vor allem in Sachen Prestige sollte der Conti Pluspunkte sammlen können, denn hier hatte man bei Ford den Schwachpunkt der Cadillac ausgemacht: Es gab einfach zu viele Cadillac auf der Strasse, wer ein wirklich exklusives Fahrzeug wollte und das nötige Kleingeld dafür hatte, der sollte sich einen Continental Mark II anschaffen.
Earl überzeugte die Cadillac-Bosse schnell, dass ein Continental-Konkurrent auf die Räder gestellt werden musste: «Am 4. Mai 1954 wurden bereits die ersten Beschlüsse gefasst, wie der Eldorado Brougham innen aussehen sollte», erinnert er sich, «es sollte selbstverständlich ein Vierplätzer sein. Wenig später einigte man sich auch auf den Radstand und die Spurbreite, so dass schnell ein Modell mit Sitzen, Lenkrad und den Fusspedalen hergestellt werden konnte. Gleichzeitig gab ich den Auftrag, ein erstes Gips-Modell der Karosserie herzustellen.» Unter der Leitung von Ed Glowacke wurde ein dem «Park Avenue» sehr ähnliches Modell gebaut, mit dem bekannten Aluminium-Dach, allerdings ohne den mittleren Dachpfosten, ohne die verchromten Fensterrahmen und ohne die Lufteinlässe, die bei einem Fahrzeug mit Klimaanlage eh unnötig waren.
«Am 10. August 1954 war das erste Modell fertig», weiss Harley Earl, «die hinteren Überhänge wurden reduziert, um das Manövrieren zu erleichtern und das ganze Fahrzeug kompakter zu machen. Dann sah sich das Topmanagement das Modell an, kritisierte einige Dinge, dann ging das Fahrzeug wieder zurück ins Cadillac-Studio.» Unterdessen wurde hart am Interieur gearbeitet, neue, bedeutend grössere Sitze wurden ausprobiert, in denen sich die Passagiere vom schieren Luxus umgeben fühlen sollten. Im September wurde das Interieur in Gips geformt, am 6. November konnten die Ingenieure mit dem Bau des endgültigen Modells beginnen – genau 74 Tage, bevor die Motorrama beginnen sollte. Am 10. Januar war der Wagen dann bereit für die Bemalung, blieb dann aber noch bis zwei Tage vor der Eröffnung der Show für letzte Korrekturen bei Cadillac. Als der Wagen dann endlich in New York ankam, fiel er um zwei Uhr in der Früh dann auch noch vom Lift, der ihn in die Ausstellungshalle bringen sollte, und hatte einige unschöne Beulen. Als die Motorama dann allerdings am folgenden Nachmittag mit einer kleinen Party eröffnet wurde, drehte sich der erste Eldorado Brougham auf seinem Präsentierteller, wie wenn nichts geschehen wäre.
Und es geschah danach auch nicht viel, auch wenn der Chamäleon-grüne Eldorado Brougham auf der Motorama noch mit glühenden Worten gepriesen wurde: «Der einzigartige Eldorado Brougham zeigt einmal mehr eindrucksvoll die Führungsrolle von Cadillac im Automobil-Design. Gleichzeitig ist er auch ein Versprechen für die Zukunft, in der Cadillac immer bessere amerikanische Automobile bauen wird.» Das war natürlich auch als Seitenhieb gegen den noch nicht angekündigten, aber mit grosser Spannung erwarteten Continental gedacht, den Don Ahrens in seiner Präsentationsrede aber mit keiner Silbe erwähnte. Stattdessen meinte er, dass der Eldorado Brougham «die Leute Rolls-Royce vergessen lassen wird». Ausserdem kündigte Ahrens noch an, dass das neue Cadillac-Topmodell, vom dem jährlich rund 1000 Stück gebaut werden sollten, noch 1955 in Produktion gehen würde und rund 8500$ kosten sollte.
Als der Continental Mark II in Paris am 6. Oktober 1955 allerdings seine Weltpremiere erlebte, da konnte Cadillac nur verkünden, dass die Arbeit für die Produktion des Eldorado Brougham auf dem besten Weg sei. Als Antwort auf den Conti konnte man allerdings in Paris nur den ersten Produktions-Prototyp zeigen. Auch auf der Motorama 1956 war noch einmal ein solcher Prototyp ausgestellt, zusammen mit einer «Dream Car»-Version, einem Eldorado Town Car. Erst am 4. Dezember 1956 konnte Cadillac offiziell verkünden, dass der Eldorado Brougham jetzt produziert werde, was dann am 8. Dezember mit dem dritten überhaupt gebauten Fahrzeug auf dem New Yorker Auto-Salon auch bewiesen wurde. Bis dann die ersten Eldorado Brougham zu den Händlern kamen, vergingen aber weitere vier Monate. Der Preis war im Vergleich zum Continental Mark II, der für 9517$ zu haben war, sehr hoch, verlangte Cadillac für sein Topmodell doch gewaltige 13’074$.
Damit war der Eldorado Brougham fast gleich teuer wie ein Rolls-Royce – und trotzdem noch ein Sonderangebot. Denn Cadillac gab später zu, dass sich allein die Produktionskosten für den Eldorado Brougham auf 23’000$ beliefen, was man jedoch gerne als Kosten für die Verbesserung des Image abbuchte. Und überhaupt, irgendwie musste der Continental Mark II ja in die Schranken gewiesen werden, sonst wären die Ford-Bäume noch in den Himmel gewachsen.
Doch was war an diesem so teuren Automobil so besonders? Äusserlich zuerst einmal nicht viel, denn während der Continental sich ganz klar von den billigeren Lincoln-Modellen abhob, war der 13’000-Dollar-Wagen den günstigeren Cadillac-Modellen ziemlich ähnlich. Dies wurde dem Eldorado Brougham denn auch negativ ausgelegt, denn wer soviel Geld für ein Auto ausgab, der wollte auch wirklich etwas Besonderes, ein Fahrzeug, das unverwechselbar und exklusiv war. Gerne hörte man die Kritik bei Cadillac selbstverständlich nicht, man verwies auf die Kunden, die nicht unbedingt protzen wollten, auf die doppelten Lampen vorne, die rechteckigen Nebellampen, die Lufteinlässe für Motor und Innenraum, die speziellen Heckflossen, die dreigeteilte hintere Stossstange, die speziellen Farben, die speziellen Reifen, das spezielle Modellemblem «Eldorado Brougham by Cadillac». Einzigartig war ausserdem das Dach ohne Mittelpfosten sowie die vier Türen, die nicht mehr wie bei den ersten Prototypen und dem «Orleans» in verschiedene Richtungen – sogenannte Selbstmörder-Türen – öffneten. Doch war das schon genug?
Eindeutig überlegen war der Eldorado Brougham allerdings in der serienmässigen Ausstattung, die beim Continental nicht einmal die Klimaanlage umfasste. Überhaupt war die Ausstattungsliste fast länger als das 549 Zentimeter messende Fahrzeug, im Preis inbegriffen waren Armlehnen hinten und vorne, von innen verstellbarer Aussenspiegel, elektrische Fensterheber, Handbremsen-Warnlicht, Handschuhfach, zwei Heizungen, sechs Innenlampen, Klimaanlage, aus dem Cockpit zu öffnender Kofferraum, Leichtmetallfelgen, automatischer Lichtdimmer, spezieller Luftfilter, Nebellampen, Radio, selbständig abblendender Rückspiegel, Scheibenwaschanlage, Servobremsen, elektrische Sitzverstellung, elektrische Uhr, Weisswandreifen, zwei Zigarettenanzünder (hinten und vorne).
Auf einige Dinge war man bei Cadillac besonders stolz, beispielsweise auf die selbständig abblendenden Scheinwerfer, die ausserdem die bei weitem beste Lichtausbeute aller amerikanischen Wagen boten, auf die elektrisch verstellbaren Vordersitze, die mit einer «Memory»-Funktion ausgestattet waren und beim Einsteigen automatisch Platz machten, das Vierklanghorn, das Radio mit den zwei Lautsprechern und der automatisch ausfahrenden Antenne, die in Normalstellung nur bis zur Höhe des Daches reichte, für besseren Empfang aber auch ganz ausgefahren werden konnte, auf die automatisch schliessenden Türen, wenn ein Gang eingelegt war, sowie auf Zündung, die nur auf ON geschaltet werden musste und dann den Motor selber in Gang brachte, wenn die Hydramatic auf Park oder Neutral geschaltet wurde. Selbstverständlich war der Eldorado Brougham auch innen mit allem Luxus ausgestattet, den man sich damals nur vorstellen konnte, so auch einem Parfumfläschen, das ab Werk mit einem Lanvin-Duft gefüllt war.
Unter der flachen Haube arbeitete ein verstärkter Motor, der mit seinen zwei Vierfach-Vergasern stolze 325 PS leistete. Doch nicht dieser war es, der das Vergnügen, einen Eldorado Brougham zu fahren, einzigartig machte: Vielmehr war es die Luftfederung, welche die Passagiere wie auf einem Kissen über die Strassen trug. Heute wird Citroën als Erfinder dieser Federung genannt, doch erstens verwendete der französische Hersteller mit der Hydro-Pneumatik ein komplett anderes System, und zweitens hatten die Entwicklungen der jeweiligen Systeme absolut voneinander unabhängig stattgefunden. Die für den Eldorado Brougham verwendete Luftfederung war bei ihrer Einführung nämlich schon fünf Jahre alt, so lange wurde sie nämlich bereits bei verschiedenen GM-Bussen eingebaut. Ausserdem hatten verschiedene Hersteller auf der ganzen Welt schon vor dem 2. Weltkrieg mit dieser Art von Federung experimentiert.
Erfunden hatten die GM-Luftfederung L.J. Keyhoe und V.D. Polhemus, den Bedürfnissen eines Personenwagens wurde die bestehende Luftfederung der Busse von Lester D. Milliken und Fred H. Cowin angepasst, die dem Eldorado Brougham einen über einen Elektromotor betriebenen Luftkompressor verpassten.
Sowohl die amerikanischen als auch die europäischen Tester waren begeistert von der Cadillac-Federung. Zu Recht fragten sie sich allerdings, weshalb ein solcher Aufwand überhaupt nötig war, waren doch schon die konventionell gefederten Cadillac alles andere als unkomfortabel. Einzig auf wirklich schlechten Strassen sah man gewisse Vorteile und verglich den amerikanischen Strassenkreuzer sogar mit dem bedeutend leichteren und in Sachen Federung wirklich sensationellen Citroën. Trotzdem wurde die Luftfederung schon vier Jahre später wieder aufgegeben – sie war zu teuer, zu kompliziert und zu störungsanfällig, vor allem Kälte und Feuchtigkeit schadeten ihr sehr.
Auch der Eldorado Brougham erlitt das gleiche Schicksal, nach vier Jahren und weniger als 1000 gebauten Exemplaren – 400 1957, 304 1958, 99 1959 und 101 1960 – kam das Aus. Während der ersten zwei Jahre wurden die Fahrzeuge bei Fleetwood in Detroit von Hand zusammengebaut, danach wurden die Chassis für die Fertigung nach Italien zu Pininfarina verschifft. Was genau der Grund für diese Reise nach Turin war, ist heute nicht mehr ersichtlich. Die niedrigeren Arbeitskosten konnten es nicht gewesen sein, da allein die Transportkosten eine gewaltige Summe darstellten. Ausserdem mussten die italienischen Eldorado Brougham jeweils in Detroit noch kräftig nachbehandelt werden, damit sie die Cadillac-Ansprüche an die Qualität erfüllen konnten. Ein Grund könnte gewesen sein, dass man die Fleetwood-Fabrik ein wenig von dieser aufwendigen Produktion entlasten wollte, eine andere Möglichkeit war vielleicht, dass Cadillac dem sehr exklusiven Eldorado Brougham mit dem feinen Namen von Pininfarina noch einen gewissen exotischen Touch geben wollte.
Besonders beliebt waren und sind die italienischen Cadillac allerdings nicht, heute werden für diese Eldorado Brougham einiges tiefere Preise bezahlt als für die 1957 und 1958 produzierten Exemplare. Auch die «The Milestone Car Society» hat nur die amerikanischen Ausführungen in ihren ehrenwerten Club aufgenommen, in dem nur wirklich ausserordentliche amerikanische Automobile Platz finden.
Im Vergleich zum 622 Zentimeter langen Continental Mark II macht der Eldorado Brougham eigentlich eine schlechte Figur – allerdings nur, was die Verkäufe betrifft. Die in vier Jahren produzierten 904 Eldorado Brougham standen in nur zwei Jahren 4660 gebaute Conti gegenüber. Beiden Fahrzeugen muss und darf allerdings zugebilligt werden, dass sie einzigartige Beweise der amerikanischen Automobilbaukunst waren, der Cadillac als technisch sehr fortschrittlicher Wagen, der Continental Mark II als Wiedergeburt des klassischen Luxuswagens. Dass beide Fahrzeuge nicht zu grossartigen Verkaufserfolgen wurden, das lag einserseits an ihrem hohen Preis, andererseits daran, dass die Zeit noch nicht reif war für solche Feinschmecker-Automobile.
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