Im Gespräch: Gordon Murray
The man
Kiloweise liess Gordon Murray Trockeneis auf die Ladeluft-Kühler der Brabham-BMW-Turbo packen, damit sie – vielleicht – eine Qualirunde überstanden. Klappte es nicht, dann rissen die explodierenden Motoren Löcher in den Asphalt, die dann oft stundenlang geflickt werden mussten, bevor Murray wieder Trockeneis auf die Ladeluft-Kühler packen konnte. Er erfand, auch für Brabham, den «Staubsauger» BT46B, der schon 1978 stolze 5,5 g Querbeschleunigung schaffte – und genau ein Rennen gewinnen durfte, bevor er wieder verboten wurde. Murray, McLaren, Senna waren später unschlagbar.
Und dann war da noch der McLaren F1. Davor und gleichzeitig war alles irgendwie lächerlich. Die wilden, feuerspuckenden und eigentlich unfahrbaren Ferrari 288 GTO und F40. Der aufgeblähte und mit unfassbar komplexer Technik überladene Porsche 959. Der verkümmerte Jaguar XJ220. Der von Anfang an hoffnungslos überambitionierte Bugatti EB110. Der McLaren F1 dagegen war die reine Lehre. Der Beste, für Jahrzehnte. Eigentlich bis jetzt, denn jetzt gibt Gordon Murray seinen guten Namen her für eine Eigenkonstruktion.
radical: Wieso geben Sie erst jetzt einem Automobil ihren Namen?
Gordon Murray: Es hatte sich nicht ergeben. Sie müssen auch meinen Werdegang betrachten. Ich war schon als kleiner Bub fasziniert von allem, was mechanisch war. Und weil ich gerne mit den Händen arbeitete, ging ich dann auch nicht auf die Uni, sondern tunte lieber meine Autos. Dabei lernte ich auch viel im Bereich des Fahrwerks. Und dann in Sachen Aerodynamik. Ich fuhr ganz erfolgreich Rennen, 1967, auch noch 1968 – erst danach kam ich nach England.
Eigentlich suchte sich Murray einen Job bei Lotus, das hätte auch gut zu ihm gepasst. Doch dann lernte er zufällig den damaligen Brabham-Designer Ron Tauranac kennen, der ihm einen Job anbot; 1972 war er schon Chief Designer. Die Zusammenarbeit mit Bernie Ecclestone hielt doch bis 1986, dann kam McLaren in der Formel 1, dann der F1 für McLaren.
radical: Welches ist Ihr liebstes Formel-1-Auto, das sie gebaut haben?
Murray: Hmm, schwierig. Aber wahrscheinlich der Brabham BT52. Da wurde alles in den Motor investiert (BMW-Turbo, mit bis zu 1300 PS im Qualifying, siehe auch oben), ich musste nur darauf schauen, dass das Fahrzeug irgendwie auf der Strasse blieb. Das waren schon sehr wilde Zeiten.
Wir trafen Gordon Murray zuletzt am 79. Goodwood Members Meeting. Er hatte gerade den preisgünstigeren und alltagstauglicheren Abkömmling seines Gordon Murray Automotive T.50, den T.33, der Welt vorgestellt. Er mag Goodwood, da ist er unter seinesgleichen, «petrolheads», «car guys», sie alle wissen, wer er ist. Er trägt keine Plastiksandalen, aber immerhin schräge Socken. Und ein Hemd mit Papageien. Und eine billige Sonnenbrille. Um Konventionen hat sich der Südafrikaner, Mitte Juni wurde er 76, noch nie geschert. Auch deswegen wird er verehrt.
radical: Ihre Vorliebe für Zwölfzylinder ist bekannt.
Murray (kriegt kurzzeitig Schnappatmung): Es gibt nichts Besseres! Diese Laufruhe, diese Gasannahme, diese Kraftentfaltung, diese Spitzenleistung! Man muss nur einmal einen Matra-Zwölfzylinder gehört haben, dann ist man für alles andere verloren. Für mich gehört der BMW-V12 von Paul Rosche, der im McLaren F1 installiert war, zu den grossartigsten Motor-Konstruktionen überhaupt. Und dann ist da natürlich der Colombo-V12 von Ferrari, der gerade in seiner höchsten Ausbaustufe als 3,3 Liter eine ganz extreme Maschine war. Mit unserem T.33 setzen wir genau diesem Colombo-Motor eine Ehrenbezeugung. (Murray zieht kurz seine Sonnenbrille aus, schaut seinem Gesprächspartner tief in die Augen.) Unser neuer Zwölfzylinder, der in enger Zusammenarbeit mit Cosworth entstand, wird die letzte Neukonstruktion dieser Bauart sein. Wir haben die letzte Chance genutzt. Und das in aller Konsequenz. Nachdem ich das Anforderungsprofil geschrieben hatte, sagte mir Cosworth: das ist nicht möglich. Wir haben dann lange miteinander diskutiert, ich musste ein paar Kompromisse machen etwa beim Gewicht – ich hatte 150 Kilo verlangt -, doch gemeinsam haben wir ein wohl doch ganz anständiges Triebwerk geschaffen. Und warten Sie nur, bis Sie es hören.
Damit wir auch wissen, von was wir sprechen: der 4-Liter-V12 schafft – selbstverständlich ohne Turbo – eine Leistung von 663 PS bei 11500/min und ein maximales Drehmoment von 467 Nm bei 9000/min. Das bedeutet eine Literleistung von 166 PS. Das Triebwerk wiegt 178 Kilo.
radical: Ihre beiden neuen Fahrzeuge sind wirklich leicht, der T.50 wiegt weniger als Tonne, 986 Kilo, um genau zu sein. Was dann ein Leistungsgewicht von 1,48 PS/Kilo ergibt. Wie ist das möglich?
Murray: Das ist eine Geisteshaltung. Wir bauen nicht zuerst ein Automobil – und schauen dann, wo wir noch Gewicht sparen könnten. Es ist genau umgekehrt, wir sparen von Anfang an Gewicht, wir stellen jede einzelne Schraube in Frage. Jede einzelne Schraube, brauchen wir sie, und wenn ja, können wir sie kürzen, aus einem anderen Material fertigen. Das machen wir mit jedem einzelnen Bauteil.
radical: Auch aus Italien kommen extreme Automobile, doch die extremsten Projekte kommen alle aus England. Warum ausgerechnet Grossbritannien?
Murray (runzelt die Stirn): Interessanter Aspekt, das habe ich so noch nie so überlegt. Es hat sicher etwas damit zu tun, dass wir hier in England immer schon eine spannende Renn-Kultur hatten, das beginnt ganz unten mit den Club-Rennen. Da haben ganz viele Bastler – und ich war zu Beginn meiner Karriere in Südafrika nichts anderes – ihre Erfahrungen mit der Optimierung ihrer eigenen Fahrzeuge gesammelt. Geld hatten wir eh nie, aber es haben es doch viele Rennställe bis in die Formel 1 geschafft. Ausserdem ist der Konkurrenzkampf schon in den untersten Klassen so richtig hart, man musste schon ein gutes Auto haben, um überhaupt konkurrenzfähig zu sein. Deshalb wurden auch die Reglemente immer komplett ausgereizt, manchmal ging man auch darüber hinaus. Auch da wieder: es ist eine Geisteshaltung. Wir haben bei Gordon Murray Automotive eine Akademie für jungen Ingenieure, denen bringen wir genau das bei, eben: jede Schraube zählt. Und diese Talente kommen oft mit ganz erstaunlichen Lösungsvorschlägen, da bin sogar ich manchmal überrascht. Gerade, was den Leichtbau betrifft, da sind wir in Grossbritannien – und bei GMA – sicher führend.
radical: Sie sagen selber, dass der T.50 und der T.33 die letzten thermisch betriebenen Hypercars sein werden…
Murray: Halt, das habe ich nicht gesagt. Da kommt noch etwas von uns.
radical: Aha. Aber danach werden auch Ihre Automobile elektrifiziert?
Murray: Ja. In der Gordon Murray Group existieren Gordon Murray Automotive, Gordon Murray Design und seit vergangenem Jahr auch Gordon Murray Electronics. Da investieren wir viel Geld, da haben wir auch sehr viel Talent. Doch da gilt das gleiche wie sonst in unserem Unternehmen: keine Kompromisse, keine Umwege. Wir werden andere Wege gehen als die bekannten Automobil-Hersteller. Das ist extrem spannend, da habe ich in den letzten Jahren mehr gelernt als in meiner gesamten bisherigen Karriere. Aber auch da: Man muss das konsequent zu Ende denken.
radical: Können Sie auch etwas anderes als Formel 1 und Hypercars?
Murray (lehnt sich zurück): Ja.
radical: Themenwechsel: Welches war der «smarteste» Rennfahrer, mit dem Sie je gearbeitet haben?
Murray (runzelt schon wieder die Stirn:): Der Smarteste? Die Frage nach dem schnellsten Piloten ist einfach: Ayrton Senna. Aber der smarteste, cleverste? Wahrscheinlich Niki Lauda. Er konnte die Situationen wie kein anderer analysieren.
radical: Sie hatten auf dem 79. Goodwood Members Meeting nicht nur den T.33 vorgestellt, sondern auch eine Reihe von Fahrzeugen präsentiert, die Sie als «personal collection», für sich und ihre Laufbahn als wichtig erachten. Warum gibt es da zwei Abarth – und einen Lamborghini Miura?
Murray: Der Miura ist einfach, er war das erste Hypercar überhaupt. Eine Konstruktion, die ihrer Zeit weit voraus war. Ein wunderbarer V12, mittig eingebaut – der Miura war der Beginn einer Ära, die bis heute anhält, die wir mit dem T.50 und dem T.33 fortführen. Die Abarth sind auch heute noch Paradebeispiele für konsequenten Leichtbau, ich habe sechs Stück davon, ich liebe sie. Weil sie auch noch schön sind, einfach nur: schön. Und wunderbar tönen.
radical: Ein letzter Tank voller Benzin – wohin fahren Sie, mit welchem Fahrzeug?
Murray: Schöne Frage, sie bringt mich zum Schwelgen. Die Highlands in Schottland, mit einem Lotus Elan S2.
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Ausgemacht gewesen waren 15 Minuten für dieses Interview mit Gordon Murray am 79. Goodwood Members Meeting. Wir sassen dann über eine Stunde zusammen. Dann ging das persönliche Notizbuch des Autors mit der Niederschrift des Interviews verloren. Und kam Monate später wieder zurück, erfreulicherweise. Das soll die Verzögerung erklären zwischen Gespräch und Publikation.
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