Im Gespräch: Jochen Neerpasch
«Der M1 hätte weiterentwickelt werden müssen»
Gut sieht er aus, der Jochen Neerpasch. 83 ist er unterdessen, doch das würde man ihm nie geben. Und er ist aktiver als noch manch ein Jungspund, sicher auch deshalb, weil er weiterhin mittendrin in seinem geliebten Motorsport, dem BMW Junior Team als Mentor dient, Neil Verhagen, Max Hesse und Dan Harper und ihren M6 GT3 auf den richtigen Weg bringt.
Die Karriere von Jochen Neerpasch ist beispiellos. Geboren als Sohn eines Garagisten in Krefeld, kam der gelernte Maschinenschlosser schon früh zu Porsche – und fuhr so nebenbei auch Rennen. Es begann auf Borgward, später wurde er zu einem der wenigen Piloten, welche die böse Cobra beherrschten, er fuhr mit Jacky Ickx in einem Ford GT40 die 24 Stunden von Le Mans (1966), holte dort 1968 den Klassensieg in einem Porsche 908 – und durfte sich bei den 24 Stunden von Daytona im gleichen Jahr ganz oben auf das Siegertreppchen stellen.
Doch Neerpasch war zu Höherem berufen. Ende der 60er Jahre baute er für Ford in Köln die Rennsportabteilung auf, führte das Team zu Siegen in der Tourenwagen-EM und der Rallye-WM. 1972 wurde er Manager von Hans-Joachim Stuck – und vollzog ein Jahr später den grossen Schritt zum Vorsitzenden der Geschäftsführung der 1972 gegründeten BMW M GmbH. Und alles, was er dort anfasste, wurde zu Gold: das erste Junior-Team, die Tourenwagen, der M1, die Procar-Serie. Weitere Meilensteine: Rennleiter von Mercedes, Entdecker und Förderer von Michael Schumacher.
radical: Was macht eine gute Olive aus?
Neerpasch: Oha, Sie sprechen auf 1992 an, als wir bei Mercedes alles zusammen hatten, das richtige Auto, den richtigen Motor, mit Michael Schumacher auch den richtigen Fahrer. Ich bin absolut überzeugt, dass Michael damals Weltmeister geworden wäre. Doch dann wurde dem Projekt im letzten Moment der Stecker gezogen. Ich bin dann tatsächlich aus Wut und Enttäuschung mit meiner Frau nach Südfrankreich gezogen, wo wir Oliven züchteten. Aber ich war nie ein guter Bauer, für mich stand immer der Rennsport im Mittelpunkt.
radical: Das ist immer noch so.
Neerpasch: Ja, ich arbeite wieder für BMW, betreue das BMW Junior Team. Das gab es ja schon früher, 1977 hatten wir das schon mit Surer, Cheever und Winkelhock. Doch was wir jetzt machen, ist schon anders, Harper, Hesse und Verhagen wohnen direkt am Nürburgring in einem Haus, sie machen alles zusammen, wirklich alles. Die Idee dahinter ist, dass sie dauernd voneinander lernen können, dass sie einen Fehler nur einmal machen. Das scheint bestens zu funktionieren, sie haben auf dem «alten» BMW M6 GT3 auch schon erste Rennen gewonnen, machen als Team und einzeln grosse Fortschritte. Und sind jetzt mit dem neuen BMW M4 GT3 ganz vorne dabei. Das macht mich schon stolz.
Jochen Neerpasch wird gern als «der Schweiger» bezeichnet, er hat nie Rummel um seine eigene Person gemacht. Wohl auch deshalb sagt er immer «wir», obwohl es eigentlich er war oder ist, der die Idee hatte oder hat – und das Projekt dann auch durchzieht. So war es auch Neerpasch, der die drei jungen Fahrer ausgesucht hat, dafür Daten von über 1000 Piloten ausgewertet hat, sie jetzt mit seiner ziemlich einmaligen Erfahrung als Rennfahrer und Manager an die Spitze führt. Und das Junioren-Team war auch in die Entwicklung des neuen M4 GT3 involviert. Neerpasch: «Das ist ein ganz fantastisches Auto.»
radical: Wir sind auf der Suche nach dem BMW-M-Gefühl. Was macht die M-Modelle ihrer Ansicht nach aus?
Neerpasch: Es ist das Gesamtpaket. Ich fahre ja selber einen M5 Clubsport, und das ist ein ganz vorzügliches Fahrzeug, das auch auf der Rennstrecke im Grenzbereich jederzeit gut beherrschbar bleibt, ausrechenbar ist. Und wenn ich weiss, was das Fahrzeug auf dem Track kann, dann habe ich auch auf der Strasse das Vertrauen. Man merkt bei diesen Fahrzeugen, dass die Entwickler und Ingenieure auch selber Rennen fahren, deshalb genau wissen, auf was es ankommt. Es ist immer ein Zusammenspiel, es muss nicht der stärkste Motor sein, es muss einfach passen mit Fahrwerk, Lenkung, Getriebe. Ich will deshalb auch immer das neuste Produkt haben, denn die Fahrzeuge werden einfach immer besser.
Wir wissen es nicht, haben es noch nie selber erlebt, aber es heisst: Neerpasch hat einen sehr schweren Fuss. Wenn er von Grenzbereich spricht, dann weiss er auch tatsächlich, wo dieser liegt. Es gibt Bilder von ihm in einer Cobra 427, damals, als aktiver Rennfahrer, ziemlich quer, aber: lächelnd. Dieses Lächeln macht ihn auch unglaublich sympathisch, er hat es auch im Gesicht, als er seinen jungen, verspielten Hund streichelt: «Er ist erst vor einer Woche zu uns gekommen.»
radical: Wird sich dieses M-Gefühl dann zukünftig auch auf Elektroautos transformieren lassen?
Neerpasch: Ich bin da ja schon ein bisschen «old school», die Verbrennermotoren liegen mir sehr am Herzen. Derzeit scheint mir mit E-Autos noch kein vernünftiger Rennsport möglich, die Reichweiten sind zu gering, das Gewicht zu hoch. Das ist für mich kein Motorsport, das wird wohl auch noch etwas länger dauern, bis das auf höchstem Niveau möglich sein wird. Doch es ist eine spannende Phase – und M wird dann zum richtigen Zeitpunkt schon die richtige Antwort haben.
Ja, das Bauchgefühl von Jochen Neerpasch. Er hatte immer ein ausgezeichnetes Gespür dafür, was funktionierte, gerade auch in Sachen Marketing. Er hat die Streifen für das M-Logo erfunden, er hat die Bekleidung des M-Teams zu Kultobjekten gemacht: «Das war Zufall, ein Freund von mir hatte noch einen grösseren Posten mit Anoraks, die haben wir dann mit dem M-Logo versehen – und plötzlich wollten sie alle haben.» Es waren wilde Zeiten damals, die 70er Jahre bei BMW, deshalb blenden wir noch einmal zurück.
radical: Wie hat denn das damals alles begonnen bei der M GmbH?
Neerpasch: Da muss man schon unterscheiden zwischen Rennsport und Strassenfahrzeugen. Als M begann, gab es nur ein kleines Sport-Team von vielleicht fünf Leuten, die mit einem 2002 Rallye fuhren. Wir haben dann den 3.0 CSL angeschoben, hatten aber zu Beginn gegen den Capri keine Chance. (Anmerkung der Redaktion: dazu muss man wissen, dass Neerpasch den Ford bestens kannte, der Capri für die Tourenwagen-EM war sein Kind – er hatte ja als Rennleiter für die Kölner gearbeitet.) Erst als wir ihm den Heckflügel verpassten, waren wir dann deutlich schneller – und konnten schon 1973 den Titel holen. Bei den Strassenfahrzeugen war es eigentlich so, dass wir zuerst einmal einige 5er für den Personenschutz des damaligen Vorsitzenden von Kuenheim schneller machen sollten. Und daraus dann mit den entsprechenden Anbauteilen unser erstes Serienprodukt fertigten. So entstand dann auch die so typische Formensprache, man sollte unsere Produkte auch sofort erkennen. Das war aber schon auch von Anfang an die Idee – die M GmbH sollte nicht einfach Geld ausgeben für den Rennsport, sondern auch Geld verdienen. Wir hatten als kleines Team gegenüber der grossen BMW AG aber halt auch den Vorteil, viel schneller und flexibler zu sein.
radical: Gab es da kein Kompetenzgerangel?
Neerpasch: Der M1 ist dafür ein gutes Beispiel. Eigentlich war er ja als 8er-Serie der BMW AG geplant gewesen. Doch irgendwann merkte man, dass so ein Coupé ganz aus Stahl viel zu schwer werden würde, deshalb durften wir es dann übernehmen. Und so kam es auch zur Zusammenarbeit mit Lamborghini – wir hatten ja keinerlei Kompetenz etwa in der Konstruktion von Mittelmotorfahrzeugen. Die Italiener haben auch einen sehr guten Job gemacht, wir hätten die Autos gerne in Sant’Agata produzieren lassen, dort bestand auch Kapazität für die 400 Exemplare jährlich, die wir bauen wollten. Doch Lamborghini stand damals immer mit einem Bein im Abgrund, wir wussten am Schluss nicht mehr, ob das Geld, das wir nach Italien schickten, auch wirklich für M1 verwendet wurde. Oder ob damit nur andere Löcher gestopft wurden. Deshalb haben wir dann den Stecker gezogen – was den M1 zur logistischen Katastrophe machte, die Wege wurden viel zu lang, das Fahrzeug zu teuer. Und so kamen wir auch nicht auf die Stückzahl, die wir angedacht hatten, auch benötigt hätten, um Motorsport auf höchstem Niveau zu betreiben. Ich war dann zwar schon nicht mehr da, als die BMW AG den M1 und die Macht über die Motorsport-Belange übernahm (Anmerkung der Redaktion: Neerpasch verliess die M GmbH 1979, begann 1980 bei Talbot). Doch im Rückblick muss man schon sagen: Der M1 hätte unbedingt weiterentwickelt werden müssen. Er hätte das Zeug zur Ikone gehabt, auf gleicher Stufe wie der Porsche 911. Stellen Sie sich vor, welch grossartiges Fahrzeug das heute sein könnte. Denn das Konzept war ja genau das Richtige: Wir konstruierten einen Rennwagen – der dann auch strassentauglich gemacht werden konnte. Was für uns damals auch wichtig war, beim M1: die Kosten. Wenn wir einen 3.0 CSL zum Rennfahrzeug aufbauten, dann hat uns das immer 400000 bis 500000 Mark gekostet. Mit dem Konzept des M1 hätten wir diese Kosten auf etwa 150000 Mark herunterbringen können. Aber eben.
radical: Sie haben ja dann auch die legendäre Procar-Serie erfunden.
Neerpasch: Wir haben das Projekt zusammen mit Max Mosley auf die Beine gestellt. Aber das ging auch nur, weil Bernie Ecclestone uns geholfen hat. Das war schon eine Nummer, der kleine Mann. Als wir ihm von Projekt erzählten, dass wir im Vorfeld der Formel-1-Rennen mit den M1 ein Starterfeld mit Kundenautos und einigen Formel-1-Piloten aufstellen wollten, hat er uns versprochen, dass er das möglich machen wird. Und Bernie hat immer, wirklich immer sein Wort gehalten, das muss man ihm hoch anrechnen. Er hat dann auch Mario Andretti mit Bargeld überzeugt, sich einmal in so einen M1-Procar zu setzen. der ist dann ein paar Runden gefahren, war sofort Feuer und Flamme – und danach war alles ein Kinderspiel. Ausser mit den Ferrari-Piloten, die durften nicht, das stand in ihren Verträgen. Heute wäre soetwas auch nicht mehr möglich, heute haben alle Piloten solche Klauseln in ihren Verträgen. Aber es war schon eine gute Zeit.
radical: Auch die Idee zum Art Car stammte von ihnen.
Neerpasch: Nein, nein, die kam von Hervé Poulain, einem französischen Kunsthändler und Rennfahrer. Und eigentlich wollte er sie ja Alpine verkaufen, doch da verstand man das Projekt nicht. Ich hatte dann gar nicht mehr viel zu tun, wir mussten 1975 bloss einen 3.0 CSL für Le Mans stellen – und Alexander Calder bemalte ihn dann mit seinen so typischen Mobile. Calder stand dann auch 24 Stunden in der Box und sah seinem mobilen Mobile zu; das war schön, eine gute Aktion. Auch Frank Stella, der das Art Car 1976 gestaltete, nahm diese Idee der Geschwindigkeit auf – und war auch in Le Mans, um die fahrende Kunst zu bewundern.
Wenn man dann jeweils durch ist mit den Fragen, das Tonband schon wieder eingesteckt hat und einfach noch ein bisschen sitzt und plaudert, dann hätte man das besser nicht getan, das Tonband abstellen. Neerpasch ist ein wunderbarer Geschichtenerzähler, verfügt über ein grandioses Gedächtnis, weiss in seiner so ruhigen, besonnen Art bestens zu unterhalten. Und dann, plötzlich: «Kommt, Jungs, wir essen jetzt noch ein paar Weisswürst‘.» Die Zeit in Bayern scheint den «Preussen» schon sehr stark geprägt zu haben.
Dieser Text erschien zuerst, in etwas anderer Form, in der «auto-illustrierte». Weitere schöne Personality-Geschichten gibt es in unserem Archiv, zuletzt: Marco Marinello.
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