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Fahrbericht Bentley GT Speed

Published in radical-mag.com

Sich schön fahren

Der 2003 vorgestellte Continental GT war Bentley das deutlichste, wichtigste Zeichen, dass eine neue Ära angebrochen war. Schon 1998 hatte die Volkswagen-Gruppe die englische Traditionsmarke übernommen, doch es sollte eben diese fünf Jahre dauern, bis Bentley endlich ein vollständig neues, eigenes Modell anbieten konnte. Wobei, es wird gerne vergessen: die ersten Continental GT waren in Crewe veredelte VW Phaeton, das Geld für eine eigene Entwicklung hatten die Briten nicht. Doch mit dem «Conti» schufen sie sich die Basis für all die Erfolge, die da noch kommen sollten.

Unterdessen ist man in der dritten Generation angekommen (seit 2018), der Phaeton ist Geschichte, die Plattform teilt sich der Continental GT jetzt mit dem Porsche Panamera. Was auch ein deutliches Zeichen für seinen Aufstieg ist. Den W12-Motor hat der Bentley unterdessen ganz für sich, es ist jetzt eine eigene Konstruktion, die für den Bentayga inhouse entwickelt wurde. Diese Exklusivität ist wichtig in diesem Segment, es dem ja schon um einen grossen Batzen Geld geht – nur schön verarbeitetes Leder reicht da längst nicht mehr aus.

Auch der GT Speed als so etwas wie das sportliche Topmodell wurde in diesem Frühling in der dritten Generation vorgestellt. 2007 gab es 610 PS und 750 Nm, 2012 dann 625 PS und 800 Nm – und jetzt ist man bei 659 PS und 900 Nm angelangt. Und obwohl der neue GT Speed doch etwas grösser ist (4,85 Meter lang anstatt 4,80 Meter), so hat er über die Jahre (trotz deutlich strengerer Sicherheitsbestimmungen und massiv mehr Assistenzsystemen) über 100 Kilo abspecken können. Und das tut ihm gut.

Es tut dem GT Speed vor allem und auch deshalb gut, weil die Ingenieure dem mächtigen Wagen auch noch eine Allradlenkung spendiert haben. Diese macht den Gran Turismo, gefühlt, so agil wie einen Mittelklasse-Sportler vom Schlage eines BMW M4. Natürlich muss da immer noch reichlich Gewicht bewegt werden, die Physik lässt sich auch mit den besten Assistenten (und Reifen) nicht überlisten, doch der Bentley geht jetzt auch um Serpentinen bestens, schiebt erst sehr, sehr spät ein wenig über die Vorderräder – das ist mehr als nur vorbildlich. Bei den ersten Testfahrten im sizilianischen Hinterland auf oft engen, manchmal nicht sehr guten Nebenstrassen zeigte sich der GT Speed schon fast behände, mit ausgezeichnetem Federungs- und Dämpfungskomfort, einer sehr präzisen Lenkung – und den grössten Bremsen, die es derzeit auf dem Markt gibt. Vorne sind es 440 Millimeter im Durchmesser; Fading war gestern, die Dosierbarkeit ist das wahre Vergnügen.

Zum Beispiel: Bentley hatte bei der Vorstellung des GT Speed einen kleinen Rundkurs ausgesteckt und dort, wie auf dem Track üblich, auch die Bremspunkte markiert. Bloss, wenn man dort so richtig auf das linke Pedal latschte, dann war man sowas von zu früh – da haben sie wohl die Fähigkeiten ihres eigenen Produkts etwas unterschätzt. Am besten ist er aber: über Land. Schnell, sehr schnell – und wunderbar entspannt. Man muss sich dann selber stark zurücknehmen, sonst kommt man in Geschwindigkeitsbereiche, bei denen auch extrem friedliche Gesetzeshüter nicht mehr wegschauen können. Er liegt so wunderbar satt auf der Strasse, er macht kaum einen Wank, ist dabei so schönst komfortabel – man wünscht sich, dass die Strasse gar nicht mehr aufhört. Der Wagen ist so gut, dass man sich selber erhöht, sich schön fährt.

Dazu kommt noch der meistgebaute Zwölfzylinder der Welt. Ein sehr souveräner, sehr sanfter Riese, der seine gewaltige Kraft (das maximale Drehmoment von 900 Nm liegt schon ab 1500/min an – und zieht sich durch bis 5000/min) über ein 8-Gang-Doppelkupplungsgetriebe ohne die geringsten Verzögerungen an alle vier Räder abgibt. Das geschieht mit einer Geschmeidigkeit, wie das halt nur ein Zwölfzylinder kann; bis etwa 4000/min bleib die Maschine dabei sehr zurückhaltend, erst bei höheren Drehzahlen will sie auch gehört werden bei ihrer Arbeit. Man kann übrigens auch eine Akrapovic-Endanlage bestellen, dann knurrt der Engländer deutlich vernehmlicher. Aber irgendwie passt das gar nicht so recht zu diesem so vornehmen, grandiosen Gran Turismo. Was aber sicher passt: Sein Innenleben. Wie ein massgeschneiderter Handschuh aus feinstem Leder. Der GT Speed stellt eine wohl auch von der Kundschaft gewünschte ausgezeichnete Kombination zwischen neusten Technologien und ganz konservativer Handhabung dar. Gut, das darf man für dieses Geld auch erwarten (Coupé ab 225’100 Euro, Convertible ab 246’700 Euro).

Und damit wären dann auch endlich beim zentralen Thema: Welche Farbe soll man denn bestellen? Ok, das ist auch wichtig, aber zuerst: Coupé oder Convertible? Wir sind ja eigentlich strenge Verfechter der Verlöteten, offen ist nett, aber eigentlich nur bei Klassikern. Doch beim GT Speed drängt es uns schon sehr zum Convertible. Weil es geschlossen quasi gleich ruhig ist wie das Coupé. Und sicher so verwindungssteif, man muss das keine Kompromisse eingehen in Sachen Verwindungssteifigkeit. Er sieht dann aber offen halt schon irgendwie noch besser aus, der Bentley. Und wenn man ihn so bewegt, wie er angedacht ist, also sowohl entspannt wie auch flüssig und dann noch ganz flott, dann ist offen die Wahl. Es bleibt genug Zeit, auch den Kuhmist von den Wiesen zu riechen. Die hübsche Dame am Strassenrand anzulächeln. Im letzten Moment noch den Fischhändler entdecken. Einfach nur in den Himmel zu starren. Geniessen.

Haben wir Bentley in unserem Archiv?

Der Beitrag Fahrbericht Bentley GT Speed erschien zuerst auf radicalmag.