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Assistenten-Wahn

Published in radical-mag.com

Einflussnahme

Ich will nicht, dass mir das Automobil auferlegt, wie schnell ich fahren soll. Wenn ich den Tempomat auf 240 stelle, dann soll das Automobil 240 fahren. Und nicht auf 40 abbremsen wollen, weil es am Strassenrand wieder mal ein Schild entdeckt hat, das zwar mit dem Verkehrsfluss rein gar nichts zu tun hat, aber halt irgendwo blöd rumsteht. Ich will auch nicht, dass sich das Automobil auf der rechten Spur der Autobahn so benimmt, als ob ich abbiegen möchte, obwohl ich gar nicht abbiegen möchte (nein, im Navi war kein Ziel eingegeben). Das Automobil soll auch nicht auf 100 verlangsamen, weil da 500 Meter weiter vorne ein 100er-Schild steht. Es soll einfach 240 fahren. Weil ich das so will. So lange ich das will. Wo ich will, auch innerorts, wenn ich das so will. Ich bezahl ja auch die Busse (oder geh ins Gefängnis), wenn ich mich auf das Automobil verlasse, das den 60er halt «übersieht» und mit 120 in den Radar rauscht. Ich will nicht, dass das Automobil mitten in der Baustelle an der engsten Stelle plötzlich wieder beschleunigt, weil – keine Ahnung. Meinetwegen darf ein adaptiver Tempomat die richtige Distanz halten, aber mehr bitte nicht; ein ganz normaler Tempomat tut es allerdings auch, denn, ich habe es schon öfter geschrieben, ich bin am liebsten selber alert, nehme geistig aktiv am Verkehrsgeschehen teil, bremse, gebe Gas, wechsele bei Bedarf sogar den Gang, blinke, wenn ich die Spur wechseln oder abbiegen will.

Ich will nicht, dass mir das Automobil einen gelben Blitz schickt, wenn da einer hinter mir schneller fährt und links vorbeizieht; ich seh das selber. Oder sagen wir so: ich habe es bisher immer gesehen, in den vergangenen 36 Jahren. Ich will nicht, dass das Auto mitten in der Strasse fährt, wenn ich die Kurve etwas enger nehmen will; ich weiss, wo und wohin ich fahren will. Und wenn ich das dann nicht mehr weiss, dann gebe ich den Führerschein ab. Ich will nicht, dass das Automobil den Scheinwerfer ausmacht, wenn ich durch verlassene Dörfer fahre. Ich will nicht, dass es den Scheibenwischer anmacht, obwohl erst zwei Tropfen auf der Scheibe liegen. Ich will nicht, dass das Auto Dinge tut, die man bei irgendeinem Zulieferer als richtig und wichtig erachtet, die ich aber weder will noch brauche noch nötig habe, etwa vor der Kurve abbremst, weil da irgendwo auf dem Feld ein Hinweis steht. Und vor allem will ich nicht, dass diese Bevormundung und Einflussnahme in jedem Auto, in das ich steige, noch schlimmer wird. Wäre ich der Idiot, für den mich die Hersteller X und auch Y halten, dann könnte ich zwar noch locker amerikanischer Ex-Präsident werden, aber Auto fahren sollte ich dann wirklich nicht mehr.

Drei Dinge nerven allerdings noch mehr. Dass ich mich erstens durch etwa 62 Untermenus klicken muss, um den ganzen Assi-Wahn allenfalls ausschalten zu können (oder meist schon vorher scheitere). Und zweitens: dass Hersteller (und Zulieferer) dies Zeugs immer öfter in der Beta-Version auf die (zahlende) Kundschaft loslassen. Dieser Tage fuhr in einem sehr teuren, sehr modernen Wagen (nein, nicht den auf den Bildern hier, das ist der Mini Urbanaut) von daheim nach Davos und wieder nach Hause, je gut 250 Kilometer, die meisten davon auf der Autobahn. Nachdem ich mich schon auf der Hinfahrt massiv geärgert hatte, hab ich auf der Rückfahrt eine geistige Strichliste gemacht. Und kam auf 28 Fehlfunktionen (deutlich zu spätes Abbremsen von 120 auf 100 nicht eingerechnet) eines Assistenten, dessen Sinn sich mir ganz grundsätzlich nicht erschliessen will. Ich will nicht halb-autonom gefahren werden von Teufelszeugs, das in etwa so gut funktioniert wie das Zählen der Stimmen im Entwicklungsland Amerika.

Und drittens: Assistenten können nur dann assistieren, wenn man ihnen vertraut. Nach dem ersten verpassten Schild auf der Autobahn ist das Vertrauen: dahin. Denn, wer weiss, ob das, was er gerade anzeigt, überhaupt gilt? Es hat das Ganze sehr viel mit Psychologie zu tun. Ich kann dem System nur vertrauen, wenn ich seine Entscheidungen nachvollziehen kann. Wenn ich verstehe, warum er wann was tut. Wenn er aber ständig das Schild auf der Landstrasse erkennt und für gültig erklärt, ich aber auf der Autobahn fahre, dann ist das: blöd. Natürlich ist mir auch klar, dass die Systeme Leben retten, das Fahren sicherer machen (sollen). Sie lenken aber dann und wann auch vollkommen unvermittelt in die Leitplanke. Es ist eben so. Technik ist fehlbar, stürzt ab, berechnet Unsinn. Wie wäre es also statt der ganzen Bevormundung, dass man die Regelschwellen viel stärker personalisieren kann? Dass die Karre nicht ständig beim Rückwärtsausparken eine ABS-Notbremsung hinlegt, weil ich vermeintlich der Hecke zu nah gekommen bin? Warum gibt es zwischen hyperaktiv und OFF nicht auch ein, zwei, drei Zwischenschritte – ich kann doch in einem Cupra Formentor auch fünf verschiedene Fahrwerkssetups anklicken? Gut, das will ich auch nicht…

Ganz viele Automobile ohne Assistenten finden Sie unter: Classics.

Der Beitrag Assistenten-Wahn erschien zuerst auf radicalmag.