Hotchkiss-Grégoire
Kopflastig
Ach, die Franzosen. Sie waren immer gut für die ganz, ganz grossen Tragödien. Wilde Anfänge, grosse Würfe – und dann der totale Niedergang. Eines der Beispiele: Hotchkiss.
Gründer der Firma war Benjamin Hotchkiss, ein Amerikaner. Weil die amerikanische Armee seine Waffen nicht wollte, wanderte er nach Frankreich aus, gründete 1875 sein eigenes Unternehmen, konnte seine Kanonen dort auch ans Militär liefern (und in der Folge auch an die Amerikaner). Hotchkiss verstarb schon 1885, doch sein Unternehmen existierte weiter – und stieg 1903 in den Automobilbau ein. Indem man eine nur sehr sanft modifizierte Version des Mercedes Simplex auf den Markt brachte (heute würde solches den Anwälten auf Jahrzehnte ein gutes Einkommen sichern). Doch es wurde alles besser, Hotchkiss hatte schon vor dem 1. Weltkrieg einen guten Namen, grosse, zuverlässige Wagen (mit einem nach Hotchkiss benannten Kardanantrieb), wurde in den Jahren zwischen den grossen Kriegen zu einer festen Grösse in der französischen Automobilindustrie, war fortschrittlich, schaffte auch diverse Siege bei wichtigen Rennen, etwa bei der Rallye Monte Carlo. 1936 fusionierte Hotchkiss mit Amilcar (noch so eine Tragödie), den Krieg überstand man mit Aufträgen für Peugeot; verantwortlicher Ingenieur war in den Vorkriegsjahren ein gewisser Jean-Albert Grégoire. Falls wir g’scheite Bilder finden, werden wir sicher noch ein paar dieser Vorkriegskonstruktionen zeigen.
Von der Bildfläche verschwand Hotchkiss erst in den 70er Jahren. Davor gab es noch die Compagnie Française Thomson-Houston-Hotchkiss-Brandt, den nie gebauten Europa-Jeep, den Hotchkiss M201 (der ein Willys-Overland-Jeep war), die Übernahme von Delahaye (1954, eine der grössten dieser so typisch französischen Tragödien); wir beschreiben das hier in umgekehrter Reihenfolge. Und es gab den Hotchkiss-Grégoire, der dem Unternehmen eigentlich das Genick brach. Dabei: es fing ja alles so gut an. Und Jean-Albert Grégoire, geboren 1899, war ja nicht irgendwer, sondern französischer Meister über 100 Meter, Rugby-Spieler, promovierter Jurist – und der Konstrukteur des wahrscheinlich ersten Serienfahrzeugs mit Frontantrieb, dem Tracta von 1924; er fuhr zudem mehrere Male das 24-Stunden-Rennen von Le Mans, war federführend beim AFG Grégoire (aus dem später der Panhard Dynamo X wurde) und dem ersten französischen Elektroautos (CGE Tudor) und dem ersten französischen Turbinenfahrzeug. Ab 1945 konstruierte er den Grégoire R, aus dem dann 1950 der Hotchkiss-Grégoire wurde, Frontmotor, Frontantrieb, Boxer-Motor.
Eigentlich war ja alles gut. Fast alles, zumindest. Technisch war der 4,5 Meter lange, 1,7 Meter breite und 1,52 Meter hohe Hotchkiss-Grégoire seiner Zeit selbstverständlich weit voraus. Auch konnte mit Henri Chapron der wohl bekannteste französische Designer jener Jahre gewonnen werden. Doch gerade diese Kombination wurde dem Fahrzeug irgendwie auch zum Verhängnis – der sehr weit vorne eingebaute Motor führte zu einem beträchtlichen vorderen Überhang, den auch Chapron nicht kaschieren konnte. Zwar lenkte er mit einer gewaltigen Panorama-Heckscheibe etwas ab, doch der Nasenbär war einfach alles andere als elegant; innen bot er zwar ein wunderbares Raumgefühl, doch die Sicht nach vorne wurde verengt durch zwei (unerklärlich) winzige Frontscheiben. Und der wassergekühlte Boxer-Motor mit 2,2 Liter Hubraum und 70 PS (später: 75 PS) war zwar eine sehr moderne Konstruktion (und verbunden mit einem manuellen 4-Gang-Getriebe mit Overdrive), doch derart teuer in der Herstellung, dass der Hotchkiss-Grégoire doppelt so viel kostete wie ein Citroën Traction Avant mit Sechszylinder-Motor. Nur gerade 247 Stück wurden bis Ende 1954 gebaut, 235 davon als viertürige Limousinen (plus einige wenige Cabrios und Coupé); 80 Stück davon sollen noch existieren.
Ja, dieser Hotchkiss-Grégoire gehört unbedingt auch in unsere Serie der Aussergewöhnlichen.
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