Mercedes-Benz EQC400 4matic
Fetischist
Es ist dieses Material. So ein bisschen wie Neopren, aber nicht ganz so nachgiebig. In der Oberfläche auch ein bisschen rauher, roher. Es schimmert silbrig und setzt nicht nur sich selbst, sondern auch das Armaturenbrett der Mercedes-Benz EQC400 4matic gut in Szene.
Wo wir auch schon beim Thema wären: Materialität. Ein schönes Wort, wirklich, noch schöner aber, wenn sich das dahinter verbergende von ordentlicher Arbeit ist. Und das ist es heute nur mehr selten.
Denn es ist alles: billigst.
Es ist wirklich erstaunlich, wie sich die Fertigungsverfahren verbessert haben. Nehmen Sie Türtafeln als Beispiel. Sie springt heute als Ganzes, in nur einem einzigen Teil, aus der Form. Natürlich dann auch nur ein einem Material, deshalb legt man ein paar Förmchen ein, damit es zumindest in der Struktur ein bisschen variiert. Meist gibt es nicht einmal mehr eine Polsterung der Armlehne für die hinteren Türen.
Und wo im Sichtfeld des Fahrers noch alles eitel Sonnenschein ist, da reisst du dir beim unachtsamen Griff in die Kartentasche ganz normal die Hand am Gussgrat auf. Da helfen dann auch ins Plastik geprägte Ziernähte, die eine «Lederoptik» imitieren sollen, nicht weiter.
Überhaupt: Leder.
So langsam kann ich diejenigen verstehen, die auf jeder Fahrvorstellung nach tierfreien Interieuroptionen fragen, noch bevor sie dem Koch mit ihrer Lebensgeschichte und den Vorzügen des Veganismus die Zeit stehlen. Denn was uns heutzutage als Leder verkauft wird, ist eine Frechheit.
Grobe Prägung, billigste Färbung und der Einstieg ist schon vom blossen Hinschauen faltig. Das liegt vor allem daran, dass die grössten Teile der Innenausstattung gar nicht mehr aus echter Tierhaut sind. Die Rückenlehnen, die Seitenteile, die Kopfstützen – all das ist Plastik. PU-Leder. Artifical.
Und dann würde es auffallen, wenn die Teile, die der Mensch mit seinem Hintern berührt, aus feinster Ware wären. Es kann also die sechzehnte Spaltung sein. Dann passt es auch optisch wieder. Der Kunde zahlt eh. Ist ja edles Leder. Und er hat eine Kontrastnaht auf dem Armaturenbrett.
An dieser Stelle müssen wir dann wieder auf den Mercedes-Benz EQC400 4matic einkurven. Denn der macht erstaunlich viel richtig. Bleiben wir bei diesem recycleten Polyethylenterephtalat – denn es ist wunderbar. Es fühlt sich spannend an, es sieht toll aus, vor allem aber gibt es sich nicht für etwas aus, dass es nicht ist.
Es ist anders. Und es ist gut so. Dazu passt das Kupfer (oder roségold, ganz, wie sauber die Brille gerade ist) der Luftdüsen und Lederkeder (ja, echtes Leder!), denn es wirkt modern, frisch, nicht so angestaubt wie Mercedes sonst gern, aber auch nicht abgehoben oder zu verspielt.
Bei den Sitzen lässt sich der Daimler auch nicht lumpen, zumindest wer den Aufpreis zahlt und das Nappaleder wählt. Hier gibt es dann handschuhweiche Ware, ultrafein genarbt, sauber gelocht und vielleicht etwas gar kitschig vernäht. Aber man sitzt gut drauf. Und man sitzt deshalb auch sehr gern drin im Benz.
Dass die Mittelkonsole 1:1 aus dem GLC übernommen wurde, nun ja, es stört uns nicht. Auch dass das Auto dessen konstruktives Gerüst durch die Gegend fährt und nicht das letzten Prozentpunkt an Variabilität einer EV-Architektur präsentiert, geschenkt. Denn wir sprechen hier immer noch von einem Mercedes-Benz.
Der EQC400 ist konservativ. Auch das ist gut so.
Denn er bietet damit all jene Soliditäten, die einen Mercedes für viele begehrenswert macht. Da scheppert nix. Sogar die Reifen sind mit einem speziellen Schaum ausgefüllt, um lästige Resonanzfrequenzen zu killen. Bis vor kurzem war derlei einem Maybach vorbehalten, und es zeigt, dass sie es doch richtig richtig ernst meinen, trotz konventioneller Basis.
Das zeigt auch die Technik, denn die Antriebstechnologie des Mercedes-Benz EQC400 kommt weitgehend aus den eigenen Reihen. Beide 204PS-Motoren an Front und Heck sowie das 80kWh-Batteriepack stammen aus der Mercedes-Fertigung. Darüber hinaus ist vor allem der typische Schwerpunkt auf Sicherheit und Fahrerassistenz lobenswert.
Gerade mit Blick auf vorausschauendes und damit effizientes Fahren schafft der EQC400 hier ein gutes Ergebnis. Kamera- und Radarsensoren sowie die Navigationsdaten des Autos werden verknüpft, damit der Elektro-Benz erkennt, wie er am besten fahren soll. Die aktuell geltende und kommende Geschwindigkeitslimits sowie Steigungen und Gefälle, Kurven und Kreuzungen rechnet er ebenfalls ein. Dabei unterstützt eine Anzeige im Digital-Cockpit, die alle Leistungs- und Fahrwerte übersichtlich darstellt.
Einzig gewöhnungsbedürftig bei diesem technisch unterstützten Effizienzgleiten: die Aktionen des Autos haben nicht mehr zwingend etwas mit der Gaspedalstellung gemein. Denn der Mercedes-Benz EQC400 fährt dann durchaus mal so, wie er es für richtig hält. Natürlich kann man seine Aktivitäten aber mit einem beherzten Tritt auf das Pedal jederzeit überstimmen.
Will man aber nicht. Denn der Benz macht das schon gut. Es ist dies vielleicht die lustigste Form des Autopiloten. Man peilt mit dem Lenkrad nur grob den Kurvenverlauf – und den Rest macht das Auto. Schnell verliert man sich im mächtigen Komfort des EQCs, denn das kann er wirklich am besten: rollen.
Das liegt nicht nur an der Lautlosigkeit des Antriebs, sondern auch am Fahrzeuggewicht. Mit 2500kg Leergewicht ist der EQC400 eines der schwersten Elektroautos am Markt. Und das, obwohl er gar nicht einmal zu den grössten gehört.
Wo sich nun einerseits der Verzicht auf eine EV-spezifische Plattform rächt, gewinnt der Komfort auf der anderen Seite. Denn der EQC verfügt über alle im GLC integrierten Massnahmen zur Abkopplung des Verbrenners. Entsprechend ist die Geräuschdämmung bemerkenswert. Über den Reifenschaum haben wir ja bereits gesprochen.
Auch Feinheiten wie die Geräuschentwicklung der Motoren haben sie bedacht. Und so flüstert der Mercedes-Benz EQC400 wirklich nur unmerklich und bietet ein sehr erhabenes Reiseerlebnis. Zumal wir hier auch nur von einem EQC sprechen – schwer vorstellbar, wie ein EQE oder gar EQS hier noch drauflegen sollen.
Zu wünschen wäre etwas mehr Zurückhaltung beim Verbrauch. Mit vollem Eco-Programm und sehr defensivem Rollen im Verkehr haben wir 17kWh/100km geschafft. Doch bei normaler Fahrt im Comfort-Modus sind es dann doch 28 oder gar 30kWh/100km. Hier rächt sich dann die relativ kleine Batterie mit nur 80kWh-Speichervermögen.
Damit schafft der Mercedes-Benz EQC400 selten eine echte Reichweite von 300km. Und das ist für ein SUV dieser Grösse, vor allem aber in dieser Preisklasse, dann doch wenig. Zumal er sich abseits der Gleichstrom-Schnelllader nur mit maximal 7,4kW aufladen lässt. Daheim, wo man meist nicht auf 32A pro Phase zurückgreifen kann, sind es dann sogar nur 3,7kW.
Und hier beisst sich der Benz dann in das eigene Kabel. Leichtigkeit bringt Sparsamkeit. Und der EQC400 ist eben ein mächtiges Trumm. Er spielt die einige Stärke des Elektroauto-Seins gerade deshalb so gut aus, weil er auf die volle, über 100 Jahre gewachsene Solidität des Verbrenner-Bauens vertraut.
Genau hier liegt er auch meilenweit vor der neuen Konkurrenz. Und doch ist dies vielleicht sein grösster Nachteil. Denn er wird damit die Welt nicht retten. Er wird es wahrscheinlich nicht einmal auf nennenswerte Stückzahlen im Vergleich zu den herkömmlichen Benzen bringen. Aber er erträgt das. Denn er fährt in seiner ganz eigenen Welt. In einer schönen, feinen, edlen. Und gerade das wird ihn für viele absolut konkurrenzlos machen.
Uns hat er auch gefallen.
Technische Daten:
Modell: Mercedes-Benz EQC400 4matic
Motor: 2x Asynchron-Elektromotoren
Spitzenleistung: 408PS (300kW)
Dauerleistung: 197PS (148kW)
Drehmoment: 760Nm
Antrieb: Allradantrieb, Eingang-Getriebe
Batterie: 405V-Lithium-Ionen-Batterie, 80kWh Kapazität (netto)
Verbrauch (NEFZ): 20,8 kWh/100km
Testverbraucht: 28,8kWh/100km
Beschleunigung (0 – 100 Km/h): 5,1s
Höchstgeschwindigkeit: 180km/h (abgeregelt)
Abmessungen (L/B/H): 4,76 m/1,88 m/1,62 m
Gewicht: 2‘495 Kg
Grundpreis: 84‘990 CHF
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