Elektro-Motorräder
Ladehemmungen
Wer das erste Mal in der 20-Millionen Metropole Shanghai unterwegs ist, glaubt seinen Ohren nicht. Während es in anderen asiatischen Grossstädten wie Bangkok oder Jakarta millionenfach aus den kleinen, stinkenden Auspuffen der Roller scheppert und rattert, ist es in den Strassenschluchten von Shanghai selbst während der Stosszeiten so ruhig wie an einem Sonntagmorgen in Zürich. Um dem Smog Herr zu werden, hat die Stadtregierung schon vor Jahren die Scooter mit Benzinmotoren mit einer hohen Strafsteuer belegt. Entsprechend sind heute praktisch nur noch Elektro-Roller unterwegs. In ganz China wurden 2018 über 22 Millionen Elektro-Roller verkauft – und damit mehr als in der ganzen restlichen Welt zusammen.
In der Schweiz wurden 2019 exakt 1068 Elektroroller immatrikuliert, was im Vergleich zu Vorjahr immerhin einer Steigerung von fast 50 Prozent gleichkommt. Tendenz weiter steigend. Dagegen verharren die Absatzzahlen bei den Motorrädern mit 183 verkauften Elektro-Modellen, was einem Marktanteil von 0,8 Prozent entspricht, weiterhin auf einem vernachlässigbaren Niveau. Bei den Autos hat ein visionärer Elon Musk mit seinen Tesla-Modellen das Image der Elektroautos praktisch um 180 Grad gedreht. Heute fährt der arrivierte Mann von Welt vorzugsweise im neusten Tesla-Modell zur Anwaltskanzlei in die City. Und die grossen Automobil-Hersteller investieren gerade Milliarden, um den Anschluss bei den abgasfreien Fahrzeugen nicht endgültig zu verpassen.
Abschreckende Ladezeiten
Dagegen verharren die Grossen der Motorradbranche immer noch am Anfang der Lernkurve. Zwar präsentieren sie bei den grossen Motorrad-Messen immer mal wieder irgendwelche futuristisch designten Elektro-Modelle, die aber meilenweit von einer Serienproduktion entfernt sind. Doch scheint der Motorrad-Markt in den USA und Europa tatsächlich noch nicht bereit zu sein für einen Wechsel auf Elektroantrieb. Anders als die Roller, die für ein simples Bewegen von A nach B stehen, sind Motorräder nach wie vor ein reines Freizeitvergnügen, ein teures Hobby, das sich Mann (in der Schweiz immer noch rund 80 Prozent der Motorradbesitzer) leistet. Und da schreckt die Vorstellung immer noch ab, dass die sonntägliche Spritztour über die Pässe, zwangsweise von einer einstündigen Auflade-Pause auf dem Flüela unterbrochen werden könnte. Genau da liegt nach wie vor das Hauptproblem der E-Motorräder. Es sind weniger die Reichweiten, die mit 150 Kilometern plus durchaus in akzeptable Regionen vorgestossen sind. Es sind die immer noch abschreckend langen Ladezeiten.
Ansonsten zeigen sich selbst eingefleischte Motorrad-Fans von den eindrücklichen Fahreigenschaften der Elektro-Motorräder beeindruckt. Das gilt insbesondere für den Antritt der Elektro-Aggregate. Da wird sozusagen aus dem Stand das maximale Drehmoment zur Verfügung gestellt. Da beeinträchtigt kein Kuppeln, kein Schalten, kein Motorstottern den ungestümen Vorwärtsdrang. Und in der Kurve stört kein mitunter ruppiger Wechsel vom Schiebe- in den Vortrieb die Linienführung. Zudem sind die vergleichsweise teuren Anschaffungspreise angesichts der deutlich günstigeren Unterhalts- und Betriebskosten schnell einmal amortisiert. US-Studien kamen gerade mal auf einen Viertel der Kosten im Vergleich zu einem gleichwerten Benziner.
Verschwindend kleines Angebot
Bleibt das nach wie vor eher eingeschränkte Angebot. In der Schweiz bietet Zero Motorcycles die breiteste Palette mit drei Modelllinien. Das Unternehmen wurde bereits vor 14 Jahren in Kalifornien von einem NASA-Ingenieur gegründet. Voll auf die Karte sportliche Superbikes setzt der italienische Hersteller Energica mit seinen drei Power-Modellen.
Und dann ist da noch Harley-Davidson. Die US-Traditionsmarke und Sinnbild für einen polternden Drang nach Freiheit und Rebellion auf zwei Rädern überraschte 2014 mit der Studie eines E-Bikes. Fünf Jahre später ging die LiveWire tatsächliche in Serie. Und selbst die grössten Skeptiker mussten dem mächtigen Bike bei ersten Testfahrten kleinlaut gute Fahreigenschaften zugestehen. Doch will keiner glauben, dass die eingefleischten Harley-Fahrer auf die surrenden Power-Pakete umsteigen werden. Und vermutlich haben sie damit auch recht. Doch Harley-Davidson hatte mit diesem Vorstoss auch gar nicht ihre heutige Kundschaft im Visier. Diese ist im Durchschnitt um die 50 Jahre alt, was mittelfristige ein bedrohliches Problem ist. Wie Easy-Rider Peter Fonda auf einer Harley-Davidson durch das konservative Amerika tuckert und dabei seine Grenzen in Drogen-Exzessen auslotet und schliesslich ohne Vorwarnung einen abrupten Tod findet, sagt den heutigen Jugendlichen nichts mehr. Für sie zählt einzig die simple Fortbewegung. Entsprechend ist die soeben lancierte, 36’500 Franken teure LiveWire nur der prestigeträchtige Beweis, dass sich Harley-Davidson in den vergangenen Jahren das notwendige Knowhow im Bereich Elektro-Antrieb angeeignet hat. Nun sollen im Jahrestakt weitere, immer preiswertere E-Modelle folgen, angefangen mit einem Mittelklasse-Modell, gefolgt von einem Motocross-Bike, einem City-Scooter bis hin zu einem Elektro-Moped. Und selbst ein Elektro-Fahrrad ist angedacht. Damit will der US-Konzern insbesondere in den asiatischen Grossstädten, aber auch in Europa die urbane Jugend abholen und sich somit langfristig ein überlebenswichtiges zweites Standbein aufbauen. Elon Musk hat es vorgemacht: Es braucht Mut und Geld, um visionäre Mobilitätsideen erfolgreiche umzusetzen. Harley-Davidson hat das frühzeitig erkannt und aus einer Position der finanziellen Stärke früher als die meisten anderen grossen Hersteller auf die neue Technologie gesetzt. Die Rechnung könnte gerade noch aufgehen.
Wir danken Daniel Huber für diesen Text. Mehr Motorräder finden sich in unserem Archiv. Ach ja, unten zeigen wir noch einige e-Motorräder, die wir kürzlich im Petersen-Museum in Los Angeles bewundert hatten.
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