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Test Ford Focus ST

Published in radical-mag.com

Locker bleiben

Es funktioniert halt einfach nicht. Wie der Audi e-tron verfügt der Ford Focus ST über einen adaptiven Tempomaten, der selbständig die Geschwindigkeit anpasst. In der Theorie bedeutet das, dass er innerorts selber von 80 auf 60 abbremst, auf der Autobahn nach der Baustelle wieder auf 120 beschleunigt – ohne Zutun des Piloten. Aber genau wie der Audi kann es auch der Ford nicht. Klar, es kann Einzelfälle geben, da würden wir auch nicht jammern, aber der ST liegt so oft und manchmal so komplett daneben, dass es nur noch nervt. Und manchmal sogar gefährlich wird – wenn er auf der Autobahn völlig grundlos und unvermittelt von 120 auf 40 abbremsen will, weil er irgendwo ein Schild erspäht hat, das aber leider rein gar nichts mit der Richtung zu tun hat, in die man gerne einfach weiterfahren möchte. Es ist dies Assi-System noch lange nicht so weit, dass es eingebaut werden dürfte. Und überhaupt: Es ist noch so vieles zu viel und zu kompliziert im Focus ST, allein schon der Versuch, uns die Geschwindigkeit ganz simpel digital im Cockpit anzeigen zu lassen, trieb uns beinahe in den Wahnsinn, liess uns fast ins (zu grosse) Lenkrad beissen.

Das wäre alles gar nicht nötig, ganz im Gegenteil: Mit dem Focus ST ist Ford wie schon wie mit dem grandiosen Fiesta ST ein ganz feines Gerät gelungen. Es wird beim neuen Focus ja wahrscheinlich keinen RS mehr geben, also wurde beim ST massiv aufgerüstet, 280 PS aus dem bekannten 2,3-Liter-EcoBoost-Vierzylinder, dazu eine Wand von 420 Nm maximalem Drehmoment, die zwischen 3000 und 4000/min zur Verfügung stehen. Damit lässt sich der «Hot Hatch» in 5,7 Sekunden auf 100 km/h hauen (und wir halten das für absolut möglich), gegen oben wird bei 250 km/h elektronisch begrenzt. Doch es sind nicht die Zahlen, die beeindrucken, sondern die Art und Weise, wie der Ford seine Kraft auf die Strasse bringt – auch dank einem elektronischen Vorderachs-Sperrdifferential. Leider mussten wir mit Winterreifen vorliebnehmen, doch die Traktion war trotzdem: herausragend. Fährt man ihn sauber, dann bleibt er schön stabil und neutral, doch man kann ihn auch problemlos auch leicht übersteuernd bewegen, das Heck wird bei entsprechender Fahrweise schön leicht, ohne dass deshalb die Präzision verloren gehen würde; er ist ein ganz feines Spielzeug. Wobei: Die Lenkung ist etwas stramm – und die Rückstellkräfte sind etwas zu hoch. Man arbeitet deshalb etwas mehr am Lenkrad als wirklich nötig wäre. Trotzdem, die Agilität sei trotz über 1,5 Tonnen Leergewicht gelobt – noch besser kann das eigentlich nur sein kleiner Bruder, der Fiesta ST. Ach ja, die Bremsen sind ebenfalls ausgezeichnet, fein dosierbar, standfest.

Es gibt allerlei Fahrmodi, «Normal» ist ganz anständig und verhilft dem Focus, dessen Fahrverhalten schon bei den den Basis-Modellen der 5. Generation löblich ist, zu einer überdurchschnittlichen Alltagstauglichkeit unter den «Hot Hatches». Wenn man dann auch «Sport» oder gar «Track» wählt, dann wird das Fahrwerk sehr hart. Damit mag man auf der Rennstrecke allenfalls ein bisschen schneller sein, verliert aber auf unebenen Strassen die Plomben in den Zähnen; am Berg, über den Pass braucht es das nicht. Auch deshalb nicht, weil es schon bei «Sport» ziemlich viel künstlichen Sound gibt, inklusive Zwischengas-Geballer. Das muss nicht sein, aber es gibt eine Kundschaft, die das liebt. Ob diese allerdings den drehfreudigen Vierzylinder so kitzeln kann (er dreht bis 6800/min), dass er seine Leistung wirklich ausspielen will, ist eine andere Frage; das manuelle Sechsgang-Getriebe steht der Fahrfreud’ nicht im Weg, die Weg sind kurz, die Führung präzis, die Anschlüsse perfekt. Und weil er halt so viel Drehmoment abdrückt, kann man auch ganz entspannt zwei Gänge zu hoch durch die Gegend gondeln, in schöner Ruhe – und dann auch mit einem erstaunlich geringen Verbrauch. 7,9 Liter sollen es gemäss Werk sein, wir schafften es auch mit weniger als 7. Aber auch wenn man die Leistung häufiger abruft: mehr als 10 werden es nicht.

Wir schätzen auch die Sitzposition, sie ist endlich etwas tiefer als früher bei Ford üblich; die Recaro sind zwar eng und bieten hervorragenden Seitenhalt, doch auch grössere Menschen können komfortabel reisen. Die hinteren Passagiere finden ein anständiges Platzangebot vor, der Kofferraum ist mit seinem Ladevolumen von 375 Litern ganz anständig (bei abgeklappten Rücksitzen: 1354 Liter). Wer noch mehr Platz braucht: den Focus ST gibt es erfreulicherweise auch als Kombi. Und ja, auch als Diesel, 190 PS, 400 Nm – da spart man auch noch 2500 Franken beim Kaufpreis. Man darf sicher davon ausgehen, dass der Selbstzünder so liebevoll verarbeitet ist wie der empfehlenswerte Benziner. Optisch sind die Focus ST erfreulich zurückhaltend gestaltet, zwar 19-Zöller serienmässig, zwar die Karosse gut einen Zentimeter näher am Boden, doch die Spoiler-Wucherungen sind gemässigt ausgefallen. Ob die aktuelle Focus-Generation die adretteste aller Zeiten ist, das steht dann aber auf einem anderen Blatt geschrieben; innen ist er aber um Welten besser, übersichtlicher als sein Vorgänger.

Ja, das Geld: Mit einem Basispreis von 44’700 Franken ist der Ford Focus ST halt schon deutlich teurer als der Hyundai i30N (ab 38’490 Franken) und der Renault Megane RS (ab 38’900 Franken). Auch der bisherige Klassen-Primus Honda Civic Type R ist mit 42’800 Franken noch klar günstiger als der Focus. Ob der Ford den Mehrpreis auch wirklich wert ist, ist schwierig zu beurteilen – er ist sicher mehrheitsfähiger, alltagstauglicher als der Japaner. Aber fast 6000 Franken Unterschied zum Renault sind dann doch etwas gar viel – vielleicht sollte Ford seine Assi-Systeme-Politik mit der etwas gar extensiven Verwendung von Elektronik noch einmal überdenken. Ein auf das Wesentliche reduzierter Focus ST wäre ein ganz wunderbares Gerät.

Mehr Ford haben wir in unserem Archiv.

Der Beitrag Test Ford Focus ST erschien zuerst auf radicalmag.