Open Menu
Open Menu
 ::

Porsche Taycan Turbo S

Published in radical-mag.com

Anfänger

Es ist das Geräusch. All seine Aufmerksamkeit gilt ihm. Vielleicht weil es unerwartet ist. Weil Dein Unterbewusstsein Dir diktiert hat, dass ein Taycan Ort absoluter Stille ist. Doch es stimmt nicht. Ein Elektroauto produziert jede immer eine Art weißes Rauschen, einen tieffrequenten Soundtrack, der zwar nicht stört, aber schon im ersten Moment klar zeigt: hier fehlt Altbekanntes. Zellen statt Zylinder, 95kWh statt 95ROZ. Sobald Du den Startknopf drückst bis zu dem Moment an dem Du nach dem Abschließen wegläufst und jedem einzelnen Steuergerät beim Herunterfahren lauschen kannst – der Taycan spielt sein Lied. Auf einer völlig neuen Klaviatur.

Der große Elektro-Porsche ist das Ergebnis einer sechs Milliarden Euro Investition des Unternehmens in diese neue, zukunftsweisende Mobilitätsform. Und das Kapital gilt nur als kleines Starthilfevermögen bis 2022. Danach wird noch einmal kräftig aufgestockt. Doch für das Handgeld zu Beginn gab es dann immerhin schon eine völlig neue Plattform, auf der der Taycan mit seinem eigenentwickelten Antriebsstrang steht (und den er mit dem kommenden Audi E-tron GT teilen wird) – zusätzlich zur völlig neu aufgebauten Produktionsstraße in Zuffenhausen.

Dabei fügt sich der Taycan nicht nur an dieser Stelle nahtlos ins Gefüge, auch im Produktportfolio haben sie ihm eine klare Position zugewiesen. Unterhalb des Panamera und auf Augenhöhe mit Crossovers wie dem Cayenne Coupé – zumindest ins Sachen Platz. Unsere Einordnung fällt da vielleicht ein wenig different aus: der Taycan ist, zumal in Turbo S Ausführung, eher ein 3er BMW. Mit der Dynamik eines 911 GT2 RS. Mit 2300kg Leergewicht.

Entwicklungsgipfel.

Der Taycan ist technologisch sicher das höchstentwickelte Fahrzeug in 71 Jahren Porsche. Was nicht nur am völlig neuen Antrieb liegt, sondern vor allem daran, dass man auf einem weißen Blatt Papier starten durfte. Keine Zwänge, keine Vorgaben, nur diese eine Idee. Den Porsche der Zukunft bauen. Wenn man mit den Entwicklern spricht, dann merkt man schnell: Sie sind begeistert gewesen. Für viele war es eine „einmal im Leben“-Möglichkeit. Einmal das bauen was geht, was machbar ist, was die Grenze ein bisschen weiter nach oben schiebt. Und man wird stauen in welch‘ illustren Abteilungen die Kollegen aus dem Taycan-Projekt vorher gearbeitet haben. Von der GT- und die Kundensport- bis hin zur Le Mans-Mannschaft. Der Taycan wurde nicht als Strafarbeit angesehen, sondern als das exakte Gegenteil.

Und der Taycan wird nicht der einzige Elektroporsche bleiben. Auf seiner J-Architektur wird neben einigen Audi vor allem auch der Cross Turismo im kommenden Jahr folgen. Großes kommt dann kurz darauf: mit dem vollelektrischen Macan – und das nicht nur als Variante, sondern nur und ausschließlich elektronensäuselnd. Und für kommende 718 und 911-Generationen gilt: nichts steht bisher wirklich fest. Für die Sportwagen ist man mit der reinen E-Performance noch nicht 100% zufrieden. Klar ist: es wird keine völlige Substituierung geben, mehr einen Mix und eine Kombination aus Verbrenner und Elektromaschine.

Doch das Hier und Jetzt gehört dem Taycan. Wir durften ihn über die Jahre schon ein bisschen begleiten, haben frühe Designstudien gesehen, waren auf Erprobungsfahrten in Weissach mit Walter, durften die Fabrik begutachten und ihn unter gleißendem Studiolicht bei der Präsentation wirken lassen. Heute ist das anders. Heute fahren wir selbst. Und es ist ein bisschen so, als wenn die Vorfreude das Erlebnis gleich deutlich intensiviert.

Denn auf der Straße stehend wirkt der Taycan besser als je zuvor. Wenn er in der echten Welt, im echten Leben, im nasskalt grauen Berlin, vor dem Hotel steht. Kampferprobte Taxen neben, billige Mietelektroroller vor und hinter ihm, dann fällt auf, was für ein Wurf der große neue Porsche ist. Vielleicht nicht bis in die kleinsten Details über jeden Designzweifel erhaben, aber das Großeganze, die Silhouette, der Körperbau und die Präsenz – es ist wirklich beeindruckend. Die Zitate sind so fein gesetzt und so wunderbar in die Ästhetik eines neuen Zeitalters übersetzt, dass jeder auf den ersten Blick erkennt: hier steht ein Porsche. Ein anderer Porsche.

Ein Porsche. Nur anders.

Im Innenraum das gleiche Spiel. Es ist unverkennbar Porsche, aber auf einem Niveau und in einer Stilistik, in der man sie Stuttgarter bisher nie gesehen hat. Dazu kommt eine Sitzposition, wie man sie bisher in keinem Elektroauto hatte. Auch der Taycan profitiert vom flachen Skateboard-Unterboden mit der integrierten Batterie und dem daraus resultierenden wahnsinnig tiefliegendem Schwerpunkt (Tatsache: er hat den tiefsten Schwerpunkt aller je gebauten Serien-Porsche!). Die Sitze fahren entsprechend locker in den Keller, das vom 918-kommende Sportlenkrad ziehst Du ganz dicht an den Oberkörper und plötzlich sitzt Du mitten im Auto. Also: voll integriert. Als Teil des Ganzen. Und nein, man hat in Zuffenhausen der Versuchung widerstanden ein komplett reduziertes E-Cockpit zu bauen. Stattdessen ist der Taycan genau das, was man erwartet, irgendwie. Nur eben: besser, präziser, klarer. Dass die animierten Rundinstrumente an den äußeren Ecken wie schon seit 1965 vom Lenkradkranz verdeckt werden ist hier eine wunderbar ehrliche Verbeugung an die Vergangenheit.

Überhaupt: warum Kritik üben an der modernen Bedienung? Man bedient doch sowieso nur mehr sehr wenig. Handy einstöpseln, Navi schärfen und los. Dann und wann am Radiosender drehen, oder das Lied wechseln. Und das geht ja eh am Lenkrad mit echten Tasten. Da sollten die Hände sowieso sein. Denn: 761PS und 1050Nm. Geliefert von zwei mächtigen Maschinen mit besonders platzsparender und deshalb leistungspackender Drahtwicklung. Die hintere verfügt gar über ein Zweigang-Getriebe. Untypisch für ein E-Auto und doch: sinnvoll. Der Erste sorgt für gigantisches Sprintvermögen beim Ampelstart, die Zweite rückt das Effizienzfenster bei Hochgeschwindigkeitsfahrten wieder zurecht. Zwischen den Motoren sitzt das 93.4kWh fassende Pack das mit seiner 800V-Gesamtspannung nicht nur die Beschleunigung, sondern vor allem das Wiederaufladen massiv unterstützt.

Denn: der Taycan brettert sich bei Bedarf den Monatsverbrauch eines Einfamilienhaushalts in einer Stunde hinter die Ladeklappe. Und es ist wirklich beeindruckend, wenn man die Skala der Ladesäule verfolgt. 338 Ampere in der Spitze, bei eben jenen 800 Volt. Jedem, der schon einmal im Auto am 12V Bordnetz Drähte gezogen hat, oder daheim ein paar Schlitze für die fünf neuen Adern zur Unterputzsteckdose geklopft hat, ist klar: das hier ist ganz ganz großes Kino. Und ja, Tesla hat derzeit noch ein paar mehr Supercharger stehen, doch die Macht mit der der Ionity-Herstellerverbund die großen 350kW-Lader an europäische Autobahnen stellt ist groß.

Doch darum geht es eigentlich nur am Rand – auch wenn die Laderei für viele das Hauptthema beim Elektroauto ist. Weil wir tatsächlich recht selten Langstrecke fahren. Und wenn, dann funktioniert es im Taycan auch heute schon schnell und reibungslos. Viel feiner: das immer-vollgeladen-sein in der heimischen Garage oder in der Bürotiefgarage. Denn ein Taycan muss sich sicher nur selten um öffentliche Ladesäulen streiten oder über zugeparkte Wallboxen ärgern müssen. Ein Taycan hat seinen Parkplatz. Auch am Ziel der Fahrt.

Auf der Fahrt schlägt seine Stunde.

Dabei ist es völlig egal ob an der Ampel, in der Stadt, auf der Autobahn oder einer wirklich guten Landstraße. Die Art und Weise in der das große Elektroauto seine Kraft abgibt ist an der Grenze zum Nichtspürbaren, Geschwindigkeiten bauen sich einfach so auf, ganz ohne es darauf anzulegen oder sich gar anzustrengen. Ob 80km/h oder das Doppelte? Da musst Du schon auf den Tacho schauen. Möglich ist alles. Jederzeit. Auf der Langstrecke fühlst Du Dich ähnlich entkoppelt von der Fahrerei wie die Passagiere. Das Auto macht alles allein, du praktisch nichts.

Und doch geht es bei einem Porsche genau darum. Oder konkreter: um das Gegenteil. Ein Porsche muss liefern. Mehr, besser, schneller, präziser als andere. Jeder andere. Und der Taycan bietet genau das. Auf allerhöchstem Niveau. Seine Kontrolle über sich selbst ist atemberaubend – verglichen mit einem Panamera scheint er in einer eigenen Liga zu spielen. Dabei ist das Fahrwerk so perfekt abgestimmt, dass die PASM-Dämpfer die knapp 2.5 Tonnen nicht nur leichtfüßig verstecken, sondern den Taycan auch absolut unerwartet fliegen lassen können. Vergessen wir Nordschleifenzeiten, ¼-Sprints und zigfache Launch-Control-Starts. Der Taycan ist soviel mehr als ein Zauberer mit dem immergleichen Trick.

Sobald es ernst wird, Du den Schalter in die Sport-Stellung klickst, ist das Gefühl da. Das Gefühl, dass Du hier im richtigen Auto sitzt. Denn alles ist so wie es muss. Die Lenkung liegt schwer in der Hand und ein perfekter Dirigent für das Potenzial des mächtigen Orchesters. Das Fahrwerk ist – in vollem Ornat mit aktiver Wankstabilisierung, Hinterachslenkung und der Sperrerei im Antrieb – das absolut Beste, was derzeit in dieser Klasse für Geld zu kaufen ist und auch sonst: Fahrerintegration, Haptik, Arrangement: der Taycan ist mehr als ein Erstlingswerk. Er ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit der Besten, wenn sie dürfen wie sie wollen.

Da wo andere sich abnutzen zeigt der Taycan seine Klasse.

Und was sie dabei vielleicht gar nicht auf dem Schirm hatten ist das, was der große Elektroporsche vielleicht in wirklich größter Perfektion beherrscht: den Alltag. Wenn es nicht in 2.8 Sekunden auf 100 gehen muss. Wenn es nicht am Bankett balancierend ums Eck gehen muss. Wenn es nicht mit 200+ km/h von Frankfurt nach Hamburg gehen muss. Sondern wenn es ins Büro geht. Zum Einkaufen. Zum Supermarkt. Mit den Kindern zum Sport.

Dort ist der Taycan eine absolute Macht. Seelenruhig, mit großem Selbstverständnis, ganz locker gleitend. Er entspannt Dich. Und er erfreut Dich. Weil es ein wunderbarer Platz zum Sitzen ist. Weil er ein wirklich gutes Auto ist.

Und bei Bedarf jederzeit die Hölle entfesseln kann und dabei kein Sterbenswörtchen von sich gibt.

Natürlich wissen weder wir noch Porsche ob Elektromobilität der Weisheit letzter Schluss ist. Aber im Hier und Jetzt, in der aktuellen politischen Großwetterlage, mit der aktuell verfügbaren Technologie, ist der Taycan ein Meilenstein. Er hat in allen Bereichen die Grenzen verschoben und gezeigt was möglich ist. Und ist doch in seinem Auftritt zurückhaltend. Gerade das macht ihn zu einem echten Porsche.

Übrigens: es braucht weder die 761 turbo S-PS, noch die derer 680 des turbo. Auch die neu vorgestellten 4S-Modelle werden in der Beschleunigung die Zeit anhalten können, selbst wenn die biblischen Zahlen unerreicht bleiben. Doch: es reicht. Und die Sensation liegt nicht in der reinen Performance verborgen, sondern in der Gesamtheit des Taycan-seins. Das können die Kleinen sicher genauso gut wie die Großen!

Wir müssen Tesla an dieser Stelle erwähnen. Das Model S ist ein altes Auto. Es kann vieles ähnlich gut wie der Taycan, manches gar besser. Und doch: Wer sich im direkten Vergleich von Amerikaner in den Porsche setzen kann, der wird verstehen worum es uns hier geht und was der Schritt der Stuttgarter hin zur Elektromobilität für die Gesamtqualität der Stromer bedeutet.

Text: fm
Bilder: Porsche, Laura Kukuk (1)

Der Beitrag Porsche Taycan Turbo S erschien zuerst auf radicalmag.