Fahrbericht Citroën GSA X3
Phantasievoller
Stolze 24 Seiten widmete «auto, motor und sport» im Sommer 1974 einem Vergleichstest von Alfasud, Citroën GS, Fiat 128, Opel Kadett, Simca 1100 und dem damals ganz neuen Volkswagen Golf. Es muss dann irgendetwas falsch gelaufen sein auf der Redaktion, wahrscheinlich sprachen die Journalisten zu heftig dem französischen Rotwein zu, denn zur allgemeinen Überraschung (die bis heute anhält) gewann nicht das neue Wunderding aus Wolfsburg diesen Vergleich, sondern der Citroën (auf dem zweiten Platz folgte dann der Alfasud…). Es ist heute fast unvorstellbar, wie sehr die deutschen Tester den französischen Wagen rühmten, von hervorragendem Federungskomfort war zu lesen, von bequemen Sitzen und gutem Raumangebot und auch noch sehr hoher Fahrsicherheit. Dabei war der Citroën auch alles andere als eine Neuheit, stolze vier Jahre war er schon auf dem Markt – und er hatte gerade in Deutschland nicht den besten Ruf.
Doch beginnen wir von vorne. Weit zurück müsste man eigentlich blicken, schon Mitte der 50er Jahre war den Citroën bewusst gewesen, dass es zwischen 2CV und DS dringend noch ein Modell brauchte. Es kam dann zwar der wunderbare Ami6, doch der war zu nahe am 2CV, da war und blieb Raum. Mitte der 60er Jahre hatte man dann ein Fahrzeug, das Projet F, quasi fertig entwickelt, doch es wurde auch wieder verworfen, man begann vor vorne – und das in schwierigen Zeiten, das Geld war bei Citroën chronisch Mangelware, zudem hatte man sich mit Wankel-Motoren und der Übernahme von Panhard und dann auch noch Maserati zu sehr verzettelt. Dass der Wagen dann am 24. August 1970 tatsächlich vorgestellt werden konnte und von Anfang an eine sehr gute Figur machte, darf man als ein kleines Wunder bezeichnen. Apropos Figur: Das Design stammte von Robert Opron (wie auch schon jenes des SM). Zwar behauptete Leonardo Fioravanti gern, dass der GS (was übrigens für «grande série» steht) eine schlichte Kopie seines Entwurfs einer «Berlina Aerodinamica» sei, die er 1967 bei Pininfarina für British-Elend auf die Räder gestellt hatte – und ja, gewisse Einflüsse lassen sich sicher nicht verneinen. Aber es war ein grosser Wurf, der erste Eindruck von «Auto, Motor und Sport» zeigt dies deutlich: «Der GS wirkt ausgesprochen harmonisch – und höchst individuell dazu».
Wie auch immer: ein hübscher Wagen, auch heute noch. Der GS war moderner als alles, was es damals zu kaufen gab, denn damals dachten die meisten Designer noch in eckigen Boxen, die sie aneinanderfügten; der Citroën war aus einem Guss, elegant, aerodynamisch fortschrittlich als Fliessheck-Limousine mit steil abfallendem Heck. Das Raumangebot war bei immerhin 4,12 Metern Länge, 1,61 Meter Breite und nur gerade 1,35 Metern Höhe überragend, fünf Personen fanden bequem Platz, der Kofferraum war mit 465 Litern Fassungsvermögen mehr als üppig bemessen. Wohl aus Respekt vor dem Renault 16 verzichtete Citroën zu Beginn auf eine Heckklappe und abklappbare Rücksitze (die es dann bei späteren Modellen noch dazu gab), doch der Zugang war dank sehr tiefer Ladekante kein Problem. Auch der Arbeitsplatz war so ganz anderes als bei den langweiligen Konkurrenten, Einspeichen-Lenkrad, Tacho in Form einer Lupe (auch als «Glasauge» bezeichnet), ins Armaturenbrett integrierte Handbremse, um nur einige Beispiele zu nennen. Dieses «Glasauge», man hasste es oder liebte es, wie zum Beispiel «Der Spiegel»: «Hinter dem Volant freilich erinnert nur noch die in Form eines Hockeyschlägers geschwungene Lenkradstange an den armaturenüberladenen DS. Zur Flurbereinigung am Armaturenbrett gesellt sich, was die „FAZ“ schon als „Ei des Kolumbus“ würdigte: Der Tachometer zeigt, ähnlich wie die Bodenwaage im Badezimmer, hinter einem (stets beleuchteten) Lupenglas die jeweilige Geschwindigkeit in einer drei Zentimeter großen Zahl an». Doch der grösste Unterschied waren wohl die beiden Bedien-Satelliten neben dem Lenkrad, so etwas wie die Erfindung der Ergonomie im Automobil. Die Idee war, dass der Pilot seine Hände nicht vom Lenkrad nehmen musste, die notwendigen Schalter für Licht, Scheibenwischer, Blinker etc. waren schön in Gruppen drappiert, man nannte das PRN für «pluie, route, nuit» (Regen, Strasse, Nacht) – und war damit der Zeit wohl etwas zu weit voraus. Das Gestühl war so, wie es von Citroën auch heute wieder propagiert wird: breit, weich, bequem. Der Seitenhalt war gut, weil man tief in diese Sitze einsank.
Klar, Frontantrieb. Einzelradaufhängung rundum, vorne an Dreiecksquerlenkern und hinten an Längsschwingen aufgehängt, dazu auch noch eine Niveau-Regulierung. Was sich von selber versteht, denn da war ja auch noch die Hydropneumatik – was ein Alleinstellungsmerkmal war in diesem Segment, Komfort aus der Oberklasse in der unteren Mittelklasse. Vier Scheibenbremsen, damals noch keine Selbstverständlichkeit. Zahnstangen-Lenkung, erstaunlicherweise ohne Servo, aber dafür erfreulich direkt und präzis. Natürlich konnte auch der GS zur Not auf drei Rädern fahren, doch wirklich überzeugend war das Fahrverhalten, zwar sehr komfortabel, aber durchaus auch sportlich – in Sachen Fahrwerk war der Citroën auch deutlich grösseren und viel teureren Fahrzeugen überlegen. Und nein, er neigt sich in Kurven nicht heftig zur Seite, das machen nur der 2CV und die von ihm abgeleiteten Derivate. Die Presse liebte den Citroën, obwohl es zwischen den Zeilen auch kritische Worte gab, wie dieses Fazit des Testberichts der Schweizer «Automobil Revue» aus dem Jahr 1970 aufzeigt: «Wie alle seine Schwester-Modelle wendet sich der GS an ausgesprochene Auto-Individualisten, die sich von ungewöhnlichen technischen Lösungen angesprochen fühlen. Er bietet den besten Fahrkomfort in seiner Wagenklasse, kommt aber wegen des kleinen Motors auf nur ausreichende Beschleunigungswerte. Die recht hohe Dauergeschwindigkeit verdankt er der eigenwilligen, strömungsgünstigen Karosserie. Viele Eigenschaften und Eigenheiten des GS sind gut durchdacht, doch gerade deswegen bedarf es noch weiterer Detailarbeit, vor allem an Motor, Getriebe, Heizung und Qualität der Verarbeitung, damit dieser vielversprechende Wurf auch in alltäglichen Dingen den Vergleich mit seinen weniger phantasievoll konstruierten Konkurrenten mit Erfolg besteht».
Der Antrieb des GS entstand auf einem weissen Blatt Papier. Es war von Anfang an klar gewesen, dass auch eine Variante mit Wankel-Motor gebaut werden würde, dass also ein kleines Motörchen vor der Vorderachse und dahinter angeflanschtem Getriebe eingebaut werden musste. Also wurde ein luftgekühlter Vierzylinder-Boxer mit zuerst 1015 cm3 Hubraum entwickelt, eine sehr moderne Maschine mit hemisphärischen Brennräumen und zwei obenliegenden Nockenwellen, komplett aus Leichtmetall. Die Leistungsausbeute war mit 55 PS nicht gerade wild (und das maximale Drehmoment von 72 Nm bei 3500/min auch nicht), doch es brauchte nicht mehr, der Wagen war knapp über 900 Kilo schwer und schaffte dank seiner hervorragenden Aerodynamik trotzdem eine Höchstgeschwindigkeit von über 150 km/h. Weil er nicht nach hohen Drehzahlen verlangte, versah er seine Arbeit auch ausgesprochen ruhig. Und war langlebig, Probleme mit dem Antrieb hatten die GS eigentlich nie. Auch dann nicht, als der Hubraum in verschiedenen Schritten auf 1129 und 1220 und schliesslich 1299 cm3 erhöht wurde und die Leistung auf bis zu 65 PS stieg. Geschaltet wurde zumeist manuell über vier Gänge, es gab aber auch einen 3-Gang-Automaten, C-Matic genannt, der den GS aber nicht wirklich sportlicher machte. Schön auch die Einschätzung von «Der Spiegel» bei der Vorstellung des Citroën: «Französischen Auto-Ingenieuren ist nunmehr gelungen, was ihren Wolfsburger Kollegen bislang versagt geblieben war — sie konstruierten einen luftgekühlten Motor, der wenig Lärm macht. Tatsächlich erzeugen die vier Zylinder des luftgekühlten Boxermotors weniger Krach als manches wassergekühlte Aggregat gleichen Hubraums. Zusätzlich dämpften die Citroen-Techniker die Geräuschentwicklung dadurch, daß sie anstelle des herkömmlichen Kettenantriebs für die ventilsteuernden Nockenwellen lärmfreie Zahnriemen verwendeten». Und weiter noch: «Etwas protzig mutet daneben ein großformatiger Drehzahlmesser an. Die Citroen-Ingenieure rechtfertigen die Installation des prestigefördernden Geräts mit der Notwendigkeit, die Drehzahl zu kontrollieren, weil der Motor so leise läuft».
1971 kam der Kombi dazu, genannt Break und gesegnet mit über 700 Litern Kofferraumvolumen. Das grosse Facelift fand dann 1979 statt, aus dem GS wurde der GSA (A für «athlète», was vielleicht etwas geschmäcklerisch war), es gab eine Heckklappe, andere Rückleuchten, mehr Plastik und ein erneuertes Armaturenbrett. Und es gab reichlich unterschiedliche Modelle, Basis war der Spécial, etwas besser ausgestattet war der Club (u.a.: Fünfgang-Getriebe), es gab den Pallas mit den ganz feisten Sitzen, den X1 als abgespeckte Sportversion (ohne «Glasauge», aber nicht mit mehr Leistung) und den X3 als wieder aufgespeckte abgespeckte Sport-Variante (unter anderem zu erkennen an der Kartenleselampe). Gebaut wurden die GS zumeist in Rennes und das bis 1986 (zumindest als Break, bei der Limousine war schon 1985 Schluss), es entstanden fast 2,5 Millionen Exemplare. Die Citroën leider auch nicht vor dem Konkurs retteten – und von denen man leider nur noch erstaunlich wenige auf der Strasse sieht, auch in Frankreich nicht; Rost war eines der Probleme, mangelnde Liebe ein zweites, wahrscheinlich grösseres. Und ja, Reparaturen waren kompliziert und folglich teuer (was wiederum eine Erklärung für die mangelnde Liebe sein könnte). Gute GS haben heute ihren Preis, doch sie sind günstiger zu haben als gute 2CV.
Der Berichterstatter hat zum GS ein besonderes Verhältnis, er verbrachte einen schönen Teil seiner Jugend in einem zahnbelagsbeigen 1220 Club mit einem Innenleben aus moosgrünem Velours. Bei einer kürzlichen Ausfahrt mit einem GSA X3 kamen da auch wieder ganz viele Erinnerungen hoch, das so typische Geräusch des Vierzylinder-Boxers war allein schon eine Reise in die Vergangenheit. Der X3 ist jetzt nicht das GS-Modell, das man unbedingt haben will, denn er verfügt über ein sehr eigenartiges Armaturenbrett mit komischen Instrumenten. Und einen kürzer übersetzten fünften Gang, der so ziemlich gar nichts bringt ausser mehr Lärm bei Geschwindigkeiten über 100 km/h. Es war uns aber trotzdem eine Ehre: der GS ist abld 50 Jahre nach seiner Präsentation ein weiterhin sehr adrettes Fahrzeug. Und auch nach heutigen Massstäben noch sehr komfortabel, die Hydropneumatik schluckt halt schon quasi alles weg, was die Strasse an Unebenheiten zu bieten hat; es war wieder einmal der Zeitpunkt, sich die Frage zu stellen, warum Citroën diese Fahrwerks-Technik aufgegeben hat. Ohne dass wir zu einer vernünftigen Antwort gekommen wären. Er geht gut bis so etwa 130 km/h, danach passiert ausser mehr Lärm nicht mehr viel, doch auf kurvigen Landstrassen und bei fleissigem Gebrauch des erfreulich präzisen 5-Gang-Getriebes kann man da schon auch deutlich modernere Fahrzeuge erschrecken. Einverstanden, das Überholen ist dann etwas schwieriger, es fehlt der Saft, doch es gibt ja Volksgruppen, die sind schon massiv verärgert, wenn man sich mit weniger als 600 PS hinten anhängt. Ja, da ist sehr viel Plastik nicht immer sehr schön verarbeitet, doch Plastik galt einst als Heilsbringer, da muss man die Zeichen der Zeit erkennen. Doch wir lieben die Sitze. Und die tiefe Sitzposition. Und diesen Komfort. Und dieses Motorengeräusch. Und die Platzverhältnisse. Und das Design. Also, eigentlich: alles. Am meisten lieben wir, dass dieses Fahrzeug auch heute noch phantasievoller ist als fast alles, was man derzeit kaufen kann.
Mehr Citroën haben wir in unserem Archiv. Und wir haben auch eine Übersicht über alle Stories im Zusammenhang mit «100 Jahre Citroën».
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