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Citroën 2CV Sahara

Published in radical-mag.com

Der Schrägste

Es wird ja immer komplizierter, dies Leben. Ganz besonders im automobilen Bereich, Plug-in-Hybride, Connectivity, mehr und noch mehr Elektronik. Früher, als alles vielleicht nicht besser war, aber zumindest noch einfacher, verständlicher, sinnvoller, da schrieb der damalige Citroën-Chef Pierre Boulanger folgendes Lastenheft für ein neues Automobil: «Entwerfen Sie ein Auto, das Platz für zwei Bauern in Stiefeln und einen Zentner Kartoffeln oder ein Fässchen Wein bietet». Es stand da auch noch: «Auf das Aussehen des Wagens kommt es nicht an». Es entstand der Citroën 2CV – und als der «Döschwo» im Oktober 1948 vorgestellt wurde, glaubten manche Zeitungen an einen Scherz, die satirische Wochenzeitschrift «Le Canard enchaîné» etwa schrieb: «Eine Konservendose, Modell freies Campen für vier Personen». Der 2CV hatte noch so manche Schwachstelle, wie etwa: die Bremsen. Doch man konnte auch das positiv sehen, wie etwa der ehemalige Chefredaktor der «Automobil Revue», Robert Braunschweig, der schrieb: «Er ist einfach, wenn ein Unfall geschieht, noch nicht da». Geschadet hat das alles der «Ente» nicht, fast vier Millionen Exemplare konnten verkauft werden.

Etwa 700 davon trugen die Bezeichnung: Sahara. Kurzer Zwischenhalt: die höchste bekannte Chassisnummer ist 694. Es macht den Eindruck, dass Citroën bei diesen Sahara seriöser nummerierte als Ferrari bei, egal. Nicht ganz so klar ist allerdings, wie viele Prototypen es gab.

Wer auf die Idee kam, dem wahrscheinlich unkompliziertesten Automobil aller Zeiten zwei Motoren und zwei Getriebe und zwei Tanks und zwei Zündschlösser einzubauen, das lässt sich nicht mehr feststellen. Man liegt wohl nicht komplett daneben, wenn man eine militärische Institution mit guten Beziehungen auf den afrikanischen Kontinent verdächtigt – oder vielleicht doch die Schweizer Post? Es heisst, dass etwa 200 Stück der 2CV Sahara an die Schweizer Postbeamten gingen, die ja gerade im Hinterland oft Schwierigkeiten hatten, die Haushalte bedienen zu können, Schnee, Stotzigkeit der Steigungen, Schotterstrassen ans Ende der Welt; leider gehen auch im Beamtenstaat Schweiz manchmal Unterlagen verloren. Aber wäre der grösste Abnehmer tatsächlich die Schweizer Post gewesen, so hätte das Gerät wohl kaum Sahara geheissen, denn damit konnten die eidgenössischen Briefträger wohl nicht so viel anfangen. Timbukt-who? Dagegen spricht auch, dass heute immer wieder Sahara in Afrika gefunden werden, in der Schweiz aber nicht. Wie aber Schweizer Besitzer gerne erzählen: das auch heute noch beste Auto am Berg. Das auch heute noch allerbeste Auto im Schnee.

Wie bescheuert muss man sein. Kein Fragezeichen: Punkt. Zwei Motoren. Einer zieht, der andere drückt. Man fährt mit Frontantrieb oder mit Heckantrieb oder mit Allradantrieb. Eine Kardanwelle oder sonst eine vernünftige Verbindung gibt es nicht; der hintere Motor ist einfach verkehrt herum eingebaut. Dafür zwei Treibstoffbehälter, einer wird links, der andere rechts durch ein Loch in den jeweiligen vorderen Türen befüllt. Was zu ziemlich schrägen Situationen an der Tankstelle führen kann. Den ersten Sahara baute 1958 noch Panhard, die Prämisse war ganz einfach: Aussehen ist nichts, Ankommen ist alles. Zuerst waren es 2x 12,5 PS aus dem 2-Zylinder-Boxerchen, was aber reichte, um die davor unbefahrene Pyla-Sanddüne im französischen Archachon zu bezwingen. Später waren es 33 PS geteilt durch zwei aus weiterhin 2 x 425 cm3, quasi null Drehmoment, dafür unendliche Federwege – und ein Unterbodenschutz. Immerhin nur ein Unterbodenschutz – und auch nur ein Gaspedal. Über nur ein Kupplungspedal werden zwei hydraulische Kupplungen betätigt (wenn beide Motoren laufen), aber geschaltet werden müssen die beiden Getriebe trotzdem unabhängig. Das kann zu Verwirrungen führen. Wie der Sahara in der Bedienung überhaupt eher kaprizös war und ist. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei einem und auch bei zwei Motoren in etwa gleich hoch, so bei knapp über 100 km/h, also 101, 102; Geschichten, dass so ein Sahara deutlich über 150 km/h gehen soll, sind definitiv ins Reich der Mythen zu verbannen. Was aber sicher stimmt: es wird warm im Sahara. In etwa so heiss wie in einer Wüste gleichen Namens.

Und er ist sehr, sehr laut, der 2CV Sahara, ganz besonders dann, wenn auch die hintere Maschine in Betrieb ist. Denn auf Dämmmaterial hat Citroën verzichtet, die Ente war mit doppeltem Antrieb schon schwer genug. Instrumente gibt es auch kaum, man hört ja in etwa, wie schnell man ist, wie hoch die Maschinen drehen. Das Gestühl ist so, wie es in anderen 2CV in jenen Jahren auch war, obwohl so ein Sahara quasi doppelt so viel kostete wie seine simplen Brüder. Einen Kofferraum gibt es selbstverständlich nicht, zu erkennen sind die Sahara am Ventilator im Heck, dem Ersatzrad auf der Motorhaube sowie den ausgeschnittenen hinteren Kotflügeln, die ihn fast so ein bisschen sportlich wirken lassen. Die Leistungen, die er erbrachte, waren mehr als sportlich, er durchquerte seinen Namensgeber ähnlich häufig wie ganze Horden von Land Rover, es gibt wunderschöne Geschichten, etwa jene vom britischen Anthrologen, der 1965 mit dem Citroën Nigeria bereiste, dann nach England zurückfuhr, um 1969 von England wieder nach Nigeria zu fahren, also ein zweites Mal durch die Sahara. Damit nicht genug, nachdem er den Wagen Anfang der 70er Jahre an einen einheimischen Arzt verkauft hatte, fand er ihn in den 80er Jahren dort in Nigeria wieder, kaufte ihn zurück – und liess ihn diesmal auf dem Seeweg nach England bringen.

Der Berichterstatter besass Anfang der 90er Jahre auch einmal einen Sahara. Für zwei Tage. Dann bot ihm ein Passant 6000 Franken, doch 2000 Franken mehr, als er dafür bezahlt hatte. Jener Sahara war eine Krücke, der vordere Motor liess sich, wenn überhaupt, nur über die Kurbel anwerfen, innen roch er wie eine Wasserleiche, was daran gelegen habe könnte, dass das Dach vor allem aus Fetzen bestand. Das Geschäft war eines der besseren, die der Schreiberling je eh mit einem klassischen Fahrzeug machte, nicht eine Sekunde musste er nachdenken. Heute macht ihn nachdenklich, dass über 150’000 Euro für solche 2CV Sahara bezahlt wurden. Allerdings sind die Preise wieder abgestürzt, es sind mehr so 70, 80k, die so ein Sahara bringt, obwohl es vielleicht noch etwa 50 Stück gibt, die tatsächlich funktionsfähig sind. Einer kommt am 25. Mai bei RM Sotheby’s unter den Hammer (jener unten; er scheint nicht in allen Belangen original zu sein), einen anderen (jener oben), der wahrhaft Perfekten, den ein Arzt in zehnjähriger Arbeit mit an Perversheit grenzender Akribie restaurierte, durften wir kürzlich in Bern ablichten.

Ja, der darf in unsere Serie: Die Aussergewöhnlichen. Mehr Citroën haben wir immer in unserem Archiv. Und dann sind ja noch: 100 Jahre Citroën, da haben wir eine Übersicht.

Der Beitrag Citroën 2CV Sahara erschien zuerst auf radicalmag.