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Fahrbericht Porsche 911/992 Cabriolet

Published in radical-mag.com

Dem Himmel näher

Zwei Sekunden dauert es, bis sich das Windschott des neuen Porsche 911 Cabriolet auf Knopfdruck in Position gebracht hat. Darauf sind die Ingenieure in Stuttgart stolz, das ist anscheinend ein Wert, der in der Industrie als so genannter «benchmark» gelten darf. Nun denn, freuen wir uns mit Porsche darüber, dass das so schnell klappt, da dürfte dann als gesichert gelten, dass die Frisur der Zahnarzt-Gattin innert dieser zwei Sekunden keinen Schaden nimmt. Wobei da dann eher die Frage ist, ob ebendiese das Dach überhaupt je öffnet, man sieht das ja oft, geschlossene Cabrios, auch bei schönstem Wetter. 30 Prozent der Elfer, sagt Porsche, werden als Cabriolets bestellt, das ist ja dann reichlich, weil es ja die bösen Geräte, GT3 und GT2, nicht offen gibt. Und auch deshalb hat man in der Entwicklungsabteilung grossen Aufwand betrieben, das dreiteilige Stoffdach mit seinen Magnesium-Verstärkungen noch besser zu machen, dichter und stabiler, so dass man bei geschlossenem Dach das genaue gleiche Fahrgefühl hat wie im Coupé. Schneller haben sie es auch noch hingekriegt, 12 Sekunden dauert es nur noch, bis das Dach auf Knopfdruck offen oder geschlossen ist, und das geht auch während der Fahrt mit maximal 50 km/h. Wer alert ist und einen flinken Finger hat, kann in dieser Zeit auch sechs Mal das Windschott auf- und niederklappen. Man kann derweil aber auch das Ballett bewundern, das Dach und Abdeckung aufführen, das sieht noch gut aus.

Es sei so ausgedrückt: Wer dies Cabrio nur mit geschlossenen Fenstern und Windschott zu bewegen gedenkt, der braucht es nicht, der kann auch das Coupé bestellen – und damit stolze 18’900 Franken sparen. Denn Frischluft dringt da nicht mehr viel in den Passagierraum, die haben die Aerodynamiker rausgearbeitet; man muss auch ziemlich flott unterwegs sein, bis man die Windgeräusche hört. Klar, die Aussicht gen oben ist besser ohne Dach, doch halt auch nur so mässig spannend. Was wir sonst noch lieben an offenen Fahrzeugen, dass man näher am Leben ist, dass man eben auch einmal die Ausdüstungen der weidenden Kühe mitbekommt oder das Grillfest im Biergarten, das ist irgendwie auch nicht, man sitzt zwar im Freien, aber irgendwie doch in einem hermetisch abgeriegelten Raum. Deshalb: Kein Windschott. Obwohl es «benchmark» ist. Und wer wirklich mutig ist, der hat dann auch noch die Fenster unten. Dann, ja dann, und nur dann ist man dem Himmel näher.

Zwar sind wir zwei dieser neuen Cabrios gefahren, einmal 4S, einmal S, aber beide hatten sie keine Sportauspuff-Anlage; deshalb können wir jetzt auch nichts darüber schreiben, ob der Sound ein Genuss ist. Ohne diese Anlage ist er ok, aber nicht viel mehr, diesen Aufpreis sollte man sich wohl leisten. Wir hätten auch noch gerne etwas geschrieben zur Burmester-High-End-Anlage, doch leider fehlte diese auch. Wir hatten aber ein Windschott, immerhin. Doch wir wollen nicht jammern, irgendetwas ist ja immer, und es war abgesehen davon, dass wir viel zu lange durch übervölkerte Vororte schleichen mussten, bis der Berg dann endlich rufen durfte, eine wunderbare Ausfahrt – auf der wir einmal mehr die Erfahrung machten, dass ein nur heckgetriebenes Fahrzeug einfach viel, viel mehr Spass macht (und auch noch 10’400 Franken weniger kostet…). Schreiben wir es so: der 4S ist grossartig, das Ding geht wie auf Schienen, er zieht jederzeit eine ganz saubere Linie – man ist schnell und weiss, dass es noch viel schneller geht (siehe auch: Fahrbericht vom Coupé, da steht übrigens auch ganz viel zu den technischen Feinheiten des Neuen). Ja, da arbeitet viel Elektronik mit, auch bei Federung und Dämpfung, auch auf schlechten Strassen ist so ein 911er heute komfortabler als der Vorgänger der aktuellen S-Klasse, aber so richtig scharf ist das halt nicht – es ist so ähnlich wie Fahren mit Windschott, alles ok, aber halt irgendwie digital, in Watte gepackt. Doch wir bewundern diese Abstimmungsarbeit, wie das alles mit- und füreinander spielt. Das lässt sich zwar sicher am Bildschirm simulieren, doch nur auf der Strasse erleben.

Der 50 Kilo leichtere Hecktriebler (1585 Kilo) dagegen ist – (fast) wie (viel) früher. Trotz all dieser Elektronik sollte man am Kurvenausgang nicht zu früh und nicht zu heftig auf den Pinsel, da kommt er dann hinten schon ziemlich flott – und fast etwas unvermittelt, denn das ist man sich heute gar nicht mehr gewohnt. Doch wenn man das weiss (S und ganz besonders S+ sind die richtigen Fahr-Modi) und dann mit dem entsprechenden Respekt (450 PS) sowie der richtigen Aufmerksamkeit (530 Nm maximales Drehmoment) unterwegs ist, dann ist das Vergnügen grösst – so gut wie schon lange nicht mehr (Ausnahme: die McLaren). Dazu trägt die Lenkung sehr, sehr viel bei, sie ist im Nicht-Allradler noch verbindlicher, noch feinfühliger, der Pilot denkt, der Wagen setzt um – das ist einfach nur die wahre Freud’. Und die Bremse ist so fein dosierbar, dass man auch auf der öffentlichen Strasse immer noch ein bisschen später. Und dann noch später. Das ist alles so gut wie in einem bisherigen GT3 – den es ja aber nicht offen gibt. Man braucht einen extrem sensiblen Hintern, um den Gewichtsunterschied zum Coupé (plus 70 Kilo) zu spüren; Verwindungen sind nicht, also nein, rein gar nicht.

Es sei Stuttgart dafür gelobt, wie innen aufgeräumt wurde. Natürlich könnte man auch alles komplett digitalisieren, noch grössere Screens, doch es würde uns solches im 911er als unpassend erscheinen: er ist und bleibt ein «driver’s car», er muss nicht mit diesen Smartphones auf Rädern konkurrieren. Zumal man alles bestens im Griff hat, die Bedienung kinderleicht bleibt, alles vorhanden ist, was die Menschheit heute anscheinend braucht, um mit der weiten Welt da draussen in Kontakt zu bleiben. Mehr Mühe haben wir damit ist, dass er halt schon ein Brocken ist, es ihn ja nur noch in der breiten Version gibt und mit Misch-Bereifung, 20 Zoll vorne, 21 Zoll hinten (die goldene Porno-Felge ist irgendwie ein Muss); günstiger wird der Unterhalt dadurch auch nicht. Und wir müssen halt auch erwähnen: er ist teuer, so richtig teuer, Porsche hat da nochmals reichlich Zuschlag auf den 992 gehauen. Das Coupé kostet mindestens 156’700 Franken, als Cabrio sind es 175’600 Franken, als 4S dann gar 186’000 Franken. Wir haben dann mal einen nett konfiguriert – und waren dann bei über 250k. Das ist dann: grob – und auf der Höhe eines McLaren 570S Spider. Aber es funktioniert ja anscheinend weiterhin, die Begehrlichkeiten – auch nach Sonderausstattungen – bleiben unvermindert hoch. Ja, der 992 ist grossartig, auch als Cabrio, aber man darf sich schon fragen, wie weit das Porsche noch treiben kann.

Mehr Porsche haben wir alleweil im Archiv.

Der Beitrag Fahrbericht Porsche 911/992 Cabriolet erschien zuerst auf radicalmag.