Fahrbericht McLaren 600LT Spider
cojones, baby
Fast erwartet man, dass im Display eine Meldung aufploppt: «Fahr schneller!». Oder: «Ich, Dein McLaren 600LT, langweile mich». Vielleicht sogar: «Kauf doch ein Elektroauto, wenn Du nur schleichen willst». Gut, die USA mit ihren etwas eigenartigen Geschwindigkeitsbegrenzungen sind wahrlich nicht das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, wenn man mit einem Sportwagen unterwegs ist, mitten in der Wüste in Arizona kann jederzeit der Sheriff hinter dem Kaktus lauern – und das Einatmen von gesiebter Luft* für die zwei Meilen zu viel gehört ja nicht dringend zu den erfreulichen Dingen im Leben. Und trotzdem, da ausserhalb von Wickenburg, das Gelände ist etwas hügelig, die Gasse zwar breit, aber schön kurvig, lassen wir den Hammer dann mal ein bisschen fallen.
Pfff. Und kaum schaust Du zum ersten Mal auf den Tacho, stehen da schon dreistellige Zahlen in Meilen drauf. Doch es ist zu gut, es macht nur Freud’ und noch mehr Spass, es ist grossartig, den Wagen klebt am Asphalt, er schreit nach: mehr, mehr, mehr. Grossartig ist er in langezogenen Biegungen, er hält und hält und hält, auch wenn man noch mehr beschleunigt, die Fliehkräfte schon auf den Nacken hauen; enge Kurven kann er selbstverständlich auch bestens, er ist erfreulich agil. Und dann gibt man ihm noch ein bisschen mehr, das Gewissen ist schlecht, die Fahrfreud wird noch grösser – bis man dann bemerkt, dass der Beifahrer sich derartig verspannt hat, dass er jetzt dann gleich das Bodenbrett auf die Strasse tritt. Ok, piano, easy, wieder gondeln, gleiten, in aller Ruhe. Und fast glaubt man zu spüren, dass der Wagen enttäuscht ist – Anzeige im Display: «Das war alles?»
Doch bleiben wir mal auf dem Boden. Es hat uns ja schon das Coupé des McLaren 600LT gut gefallen (siehe: Fahrbericht). Als 600LT ist die Spider-Variante der fünfte «long tail», er ist zwar gut 50 Kilo schwerer als die geschlossene Version, aber wiegt halt trotzdem nur derer 1297 Kilo. Diese LT sollen ja so sein, im Vergleich zum schon nicht wirklich langweiligen 570S stärker (es sind 30 PS zusätzlich) und leichter (die Radbolzen aus Titanium sparen 420 Gramm ein) und logischerweise auch länger (hinten 47 Millimeter, vorne 27 Millimeter). Sie können alles ein bisschen besser (100 Kilo downforce bei 250 km/h) als die anderen Modelle der Sports Series, es gibt sie nur limitiert – eine genaue Zahl will McLaren nicht nennen, ab sofort läuft die Produktion für genau 12 Monate. Der Aufpreis zu einem 570S Spider beträgt zwischen 20 und 25 Prozent, zum 600LT Coupé sind es 10 Prozent, sprich: 250’000 Euro oder dann 278’000 Franken. Plus dann halt die Sonder-Ausstattungen, die locker noch einen anständigen Mittelklasse-Wagen teuer werden können. Wer morgen zum McLaren-Händler seines Vertrauens eilt, der dürfte noch einen kriegen.
Und: ja, unbedingt. Wenn man das Spaziergeld hat und Freud’ an richtig groben Sportwagen, dann ist es derzeit wahrscheinlich – genau dieser. Klar, man kann diskutieren, ob man ihn nun wirklich offen braucht oder doch lieber geschlossen; es sei hier die Behauptung gewagt, dass der Spider halt noch «mehr» ist, man dem Himmel näher sein kann, wenn man denn will – die 50 Kilo Mehrgewicht spüren auch die Profis nicht wirklich, sagen eben diese Profis, von denen McLaren ja reichlich beschäftigt. Der 600LT ist (auch als Spider) das fahraktivste Gerät, das man hier und heute für Geld kaufen kann – und ja, das ist unser Ritterschlag für dieses Unternehmen, das erst seit neun Jahren am Markt ist.
Dann doch noch: Rennstrecke. Und jetzt gibt es keine Entschuldigung mehr, kein Sheriff, kein schlechtes Gewissen, sondern nur noch you & me, man against machine. Auch wenn wir hier jetzt ja nicht die Nasenbohrer samt Schattenparker sind: der McLaren ist einfach besser. Er ist so gut, dass man als Fahrer eigentlich nur schlecht aussehen kann. Da zieht man den Bremspunkt nach der langen Gerade noch einmal zehn Meter weiter, die Vernunft sagt, no way, doch der Spider scheint nur zu lächeln, er hält sauber die Spur, er bleibt wunderbar stabil, er macht genau das, was der Pilot verlangt. Nächste Runde, cojones, baby, noch einmal zehn Meter später – und es ist irgendwie, ach, es geht locker noch mehr, wenn man denn die Eier dazu hätte. Perfekte, wunderbare Lenkung, leichtgängiger als bei anderen Sportwagen, diese grossartigen Bremsen, die Karosse macht fast keinen Wank – und diese so grossartigen Trofeo von Pirelli erledigen den Rest. Die besten Reifen für das beste Fahrwerk, diese Kombi ist halt – noch nett. Genial ist auch die Kraftentfaltung, nein, ein Turboloch gibt es nicht (obwohl: mit hoher Drehzahl reagiert er schon besser, noch unmittelbarer, real time) – und er bringt die 600 Pferde auch wirklich auf den Asphalt, die elektronischen Helferlein müssen kaum je eingreifen, weil der Wagen so hervorragend ausbalanciert ist. Ja, man kann das ESP selbstverständlich ausschalten, aber es bringt eigentlich nichts, man muss dann wohl in Le Mans ganz vorne mitfahren, um noch den einen oder anderen Zehntel rauszuwürgen.
Der 600LT Spider wurde uns zusammen mit dem 720S Spider (Fahrbericht folgt; dort wollen wir dann auch etwas über das Frischluft-Vergnügen schreiben) vorgestellt. Wir hatten das schon im Fahrbericht der Coupé-Version des 600LT geschrieben: optisch sind sich die verschiedenen McLaren-Modelle halt schon etwas gar nah. Wenn man sie nebeneinander sieht, die beiden neuen Spider, ist es kein Problem, doch wenn so ein 600LT auf der Strasse vorbeihuscht, dann muss man schon noch ein zweites oder drittes Mal schauen, um ganz sicher zu sein. Der Speedtail geht jetzt endlich neue Wege in Sachen Design, aber es wäre für die Engländer wohl schon noch wichtig, dass man die Modellreihen Sports Series (dazu gehört der 600LT), Super Series (mit dem 720S) und Ultimate Series (Speedtail, Senna – und wohl nächstes Jahr der Nachfolger des P1) auch wirklich noch unterscheiden kann. Es darf dies nicht falsch verstanden werden: der 600LT ist auch als Spider ein schönes, aufregendes Automobil, offen vielleicht sogar noch adretter als geschlossen, mit all diesen schönen Details, den Auspuffendrohren so weit oben, dem feststehenden Spoiler. Auch das zwar luxuriöse, aber in der Gestaltung wunderbar minimalistische Innenleben passt bestens zum Charakter des Fahrzeugs: drive, drive, drive. McLaren hat versprochen, niemals ein SUV zu bauen: danke.
Weiterhin der 3,8-Liter-V8, dem zwei Turbo 600 PS und ein maximales Drehmoment von 620 Nm einblasen. Der Spider geht wie das Coupé in 2,9 Sekunden auf 100 km/h und in deren 8 auf 200, oben ist dann erst bei 324 km/h fertig (offen: nur 315 km/h). Noch eine Zeitangabe: das Dach öffnet und schliesst sich in je 15 Sekunden. Ach ja, auch beeindruckend: der Bremsweg für 200 auf 0 beträgt 121 Meter. Nicht ganz so beeindruckend: der Sound. Aber das ist jetzt Jammern auf sehr hohem Niveau.
*(Hatte «radical» übrigens schon mal, vor einer halben Ewigkeit, als wir uns mit dieser bösen Kawasaki etwas einsam fühlten. Und nein, es waren damals nicht bloss zwei Meilen zu viel, sondern mehr als 100…)
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