Das Automobil – jetzt und bald
Schatz, wir müssen reden
Kürzlich, da fuhr «radical» mit einem Peugeot 508 aus der Schweiz nach Dänemark. Auf der ersten Etappe waren es genau 803 Kilometer, nach denen wir exakt 45,87 Liter Diesel einfüllen konnten, was einem Verbrauch von 5,71 Liter entspricht. Wir waren ganz flott unterwegs, sprich: so schnell, wie es der Verkehr und die Rennleitung halt zuliessen, keine Tankstopps, aber mit Kaffeepause dauerte es rund 6,5 Stunden mitten in die Pampa der Lüneburger Heide.
Vielleicht hätten sich mit dem Flugzeug door-to-door ein paar Minuten einsparen lassen; mit dem Zug hätte es länger gedauert, wäre teurer gewesen und die Geschichte mit dem Gepäck umständlich; mit dem E-Auto, auch mit einem Tesla, wäre diese im Peugeot entspannte Reise ein Unternehmen von deutlich grösserem Umfang geworden.
Unsere These nun: eine grosse Mehrheit aller Automobile wird – zumindest dann und wann – genau so genutzt. Gut, vielleicht nicht so weit, auch nicht volles Rohr, aber es gibt Millionen von Fahrzeugen von Aussendienst-Mitarbeitern, der Wagen wird für Ferienfahrten genutzt, für Waren-Transporte. Zwar mag die durchschnittliche tägliche Kilometerleistung lächerlich gering sein, doch für lange Fahrten gibt es weiterhin und auch in absehbarer Zukunft nichts, schlicht und einfach nichts, was sich mit einem Diesel messen könnte.
Denn die Rechnung ist ja grundsätzlicher als bloss Schadstoffausstoss, es geht unbedingt auch um: Bares. Und ausserdem: Zeit. Sie ist, man weiss es, auch Geld; Geld hat wiederum einen ganz direkten Zusammenhang mit Energie. Es sind dies, also Zeit und Geld, zwei Punkte, die in allen Gesamtenergiebilanzen und well-to-wheel-Berechnungen vergessen gehen. Für den Automobilsten zählen sie aber ganz persönlich.
Es wird dies kein Pamphlet für den Diesel. Doch es soll hier darum gehen, was Sinn macht – und was nicht. Es soll eine kleine Übersicht über den Ist-Zustand beim Automobil entstehen – und darüber, wie es in absehbarer Zukunft sein wird. Nämlich: nicht grossartig anders als jetzt.
Der Grund dafür ist, dass wir gerade ein paar E-Autos fahren durften, auch ein Brennstoffzellen-Fahrzeug – und dass es auch neue Zahlen gibt. Ja, es ist uns klar, dass es für jede Studie mindestens eine gibt, die das Gegenteil behauptet, wir behaupten auch gar nicht, dass wir alles wissen können; wir werden das nicht wissenschaftlich interpretieren wollen, sondern unbedingt unsere eigenen Erfahrungen einbringen, daily drive, Geld, Zeit.
Wohl noch nie seit der Erfindung des Automobils sind die derzeitigen Entwicklungen rasanter, spannender, tiefgreifender gewesen. Täglich, fast schon stündlich gibt es Neuigkeiten, E-Autos, autonomes Fahren, Studien, Konzepte, Kooperationen – und bei ganz, ganz, ganz vielen Dingen fragt man sich nicht nur nach dem Sinn, sondern nach der Tiefe. David Staretz, immer wieder er, hat in der aktuellen «auto revue» eine interessante Auflistung verfasst und geschrieben: «Je konkreter die Vorschläge werden, desto ersichtlicher wird, dass das so alles gar nicht stattfinden wird». Er nennt etwa das selbstfahrende Motorrad, all die autonomen Bots, all die Apps, die allein darauf ausgerichtet sind, Daten zu sammeln – die Zukunft, schreibt Staretz, wird als Ersatz für Unterhaltung verstanden (Google+ ist übrigens tot – schon gemerkt?). Und er fragt, zurecht, warum wir zum Beispiel immer noch eingebunden sind in ein «unbefriedigend gelöstes Lowtech-Textilband mit Plastik-Verschlusstaste, genannt Sicherheitsgurt». Wir doppeln nach: Was bringen all diese Schönerwohnen-Stuben in all diesem autonomen Zukunftskapseln, wenn man weiterhin festgezurrt bleibt wie in einer Zwangsjacke? Oder: Könnte nicht einmal jemand ein paar Start-up-Milliarden in die seit gut einem Jahrhundert nicht mehr weiter entwickelte, schmierige Gummiwulst stecken, die wir Scheibenwischer nennen? Die Connectivity soll unendlich sein – das Wasser auf der Frontscheibe bleibt ein ungelöstes Rätsel. Apropos, gerade letzte Woche wieder in einem hochmodernen, hochpreisigen Fahrzeug: Radar-Kamera nicht funktionsfähig. Es nieselte leicht. Es ist all dies vollautonome Zeugs: Schrott. Es wird sowieso nicht kommen.
Denn autonom gefahren werden will niemand ausser den Finanzabteilungen der Automobil-Hersteller und der IT-Firmen, die ja ständig nach neuen Geschäftsfeldern suchen müssen. All die Fahrzeuge, die jetzt selbständig in eine Garage einparken können oder mit Schritttempo durch abgesperrte Fussgängerzonen rollen, sind unnötige und unnötig teure Fingerübungen, die rein gar nichts mit der Realität zu tun haben. Es wird, vielleicht, irgendwann selbstfahrende Kleinbusse geben im Nahestverkehr und allenfalls Lasten-Transporte auf ausgesuchten Spezialspuren auf Spezialverkehrswegen, doch sonst: forget it. Technisch bis auf Weiteres nicht lösbar (siehe auch: hier) – und rechtlich mit grösster Wahrscheinlichkeit gar nie. Vor allem: es müsste da doch zuerst einmal darüber diskutiert werden, wie die Städte der Zukunft aussehen müssen, denn den sich abzeichnenden Verkehrsinfarkt könnten ja selbstfahrende Fahrzeuge auch nicht abwenden.
Diskussionspunkte müssten die individuelle Mobiltät sein, der öffentliche Verkehr im Vergleich sowie als Konkurrenz dazu, die Stadtplanung ganz allgemein. Dazu passt, dass uns die viele der derzeitigen E-Autos derzeit als Nahverkehrsmittel untergejubelt werden sollen. Diese Überlegung ist komplett falsch – für die paar Meterchen zur Post, für die immer gleichen wenigen Kilometer zur Arbeit oder zum Tennisclub braucht niemand 1,5 Tonnen plus durch die Gegend zu bewegen, da soll er/sie eine andere Lösung finden, zu Fuss, mit dem Fahrrad, mit dem öffentlichen Verkehr. Da muss allenfalls (oder eher: unbedingt) auch gesellschaftlicher (politischer?) Druck ausgeübt werden. Und auch den E-Auto-Herstellern klargemacht werden, dass ein Stadt-Auto ein Widerspruch in sich selbst ist.
Andererseits: ökologisch einigermassen sinnvoll sind (derzeit) nur E-Autos mit kleiner Batterie (und folglich: geringer Reichweite). Es ist so: Derzeit fallen pro Kilowattstunde Speicherkapazität – vorsichtig gerechnet – 150 bis 200 Kilo CO2-Emissionen an. Das ergibt, zum Beispiel, bei einem Renault Zoe einen ökologischen Anker von 7000 Kilogramm CO2; damit fährt ein einigermassen moderner Verbrenner schon einmal 70’000 Kilometer weit, bevor der Renault überhaupt in Betrieb ist. Bei der 95-kWh-Batterie des neuen Audi e-tron sind wir dann aber schon bei deutlich über 150’000 Kilometern «Rückstand». Und da haben wir jetzt noch nicht über Lithium, Kobalt, Mangan, Neodym und die sich abzeichnende Abhängigkeit von zweifelhaften Rohstofflieferanten sowie noch manch andere damit einhergehende gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Themata diskutiert. Einverstanden, haben wir beim Diesel auch nicht. Aber da wissen wir wenigstens auf das Prozent genau, wie es mit dem Recycling aussieht; bei den Batterien gibt es da noch das eine und auch andere Fragezeichen.
In der dümmlichen Annahme, gegen Tesla anstinken zu müssen, hat noch so manche Premium-Marke in den vergangenen Monaten ein fettes Trumm ins E-Rennen geworfen. Den Mercedes, der ja nicht einmal selber weiss, wie er heisst, wollen wir gar nicht erst betrachten, der schiesst sich mit seiner Technik aus dem letzten Jahrtausend selber ins Knie, das Beste oder nichts ist hier definitiv: garnix. Aber auch die 2,2-Tönner-plus von Audi und Jaguar, mehr als 400 PS stark und in weniger als 5 Sekunden von 0 auf 100 km/h, unterliegen einem eklatanten Denkfehler: es geht nicht um die Umwelt, es geht um – Protz. Beide Fahrzeuge sind die typischen Längsdynamiker, also in der gleichen geistigen Liga wie all diese OMG- und M- und RS-SUV. Dabei müsste es doch auch (oder: gerade) bei den E-Autos um den möglichst schonenden Umgang mit den Ressourcen gehen, ein ganz prinzipielles Umdenken – so, wie die Milch nicht aus dem Tetrapack stammt, so kommt der Strom ja auch nicht einfach aus der Steckdose. Man kennt es ja von den Tesla: viel Leistung wird auch gern abgerufen. Und sie kostet viel Geld. Und viel Energie.
Bislang, so macht es den Eindruck, scheinen die E-Autos noch nicht darauf getrimmt zu sein, möglichst wenig Energie zu verbrauchen. Eher so: im Gegenteil. Sie sind zu gross, sie sind zu schwer, sie sind zu stark – und all das ist unnötig. Während beim eingangs erwähnten Peugeot jedes kleinste Detail auf maximalste Effizienz getrimmt ist. Diese dicken E-Autos bieten übrigens, wir mussten das kürzlich beim Jaguar i-Pace feststellen, auch nicht das, was wir als Fahrspass bezeichnen wollten. Wieder: zu gross, zu schwer, in der Folge zu schwammig. Auch E-Autos brauchen ein Fahrwerk. Und eine Lenkung. Aber da sparen die E-Auto-Produzenten dann, braucht man ja auch nicht für pure Längsdynamik.
Nein, das E-Auto ist nicht das, was die Welt heute braucht; das Brennstoffzellen-Auto wird es wohl nie werden. Vielleicht wird es dereinst anders sein; hoffentlich wird es dereinst anders sein, denn eine Welt, auf der auch unsere Kinder und deren Kinder noch leben bzw. fahren wollen, braucht eine Lösung. Bald. Vorerst, also: jetzt, heute sind die klassischen Verbrenner noch die für die Allgemeinheit beste und günstigste Lösung. Und im Wettbewerb müsste es weiterhin um Sparsamkeit gehen, in jedem Detail.
Erinnert sich eigentlich noch jemand an den VW XL1?
Man darf das gern mit uns diskutieren.
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