Fahrbericht Opel Admiral V8
Die Erfindung des Überhol-Prestige
Das Überhol-Prestige wurde in Deutschland erfunden, irgendwann in der 60er Jahren. Zwar gab es in den USA diese grossen Highways, doch da fuhr ja niemand schnell – in Deutschland aber gab es die Autobahnen. Und in Deutschland wurde in jenen Jahren die automobile Zwei-Klassen-Gesellschaft zum Leben erweckt. VW Käfer – und noch langsamer – zuckelten so ein bisschen einher und waren überhaupt froh, wenn sie irgendwann das Ziel erreichten. Dann kamen aber die ersten grossen Mercedes, es begann vielleicht mit dem «Adenauer» (W189, 3-Liter-Sechszylinder, 160 PS, 165 km/h schnell), es folgte der W112 (als 300 SE mit bis zu 170 PS, bis zu 180 km/h Höchstgeschwindigkeit), schliesslich ab 1965 der W109.
Und dann gab es da noch die Opel. Den ersten Opel Kapitän gab es bereits 1938, er sollte das letzte Opel-Modell sein, das noch vor dem 2. Weltkrieg vorgestellt wurde; bis im Herbst 1940 wurden 25’371 Exemplare gebaut. 1948 wurde die Produktion dann wieder aufgenommen, und die verschiedenen Varianten des Kapitän blieben in den 50er und 60er Jahren die Flaggschiffe der Marke. Im Frühling 1964 setzte Opel aber endlich einen drauf: die so genannte KAD-Reihe. Sie bestand aus dem Kapitän, dem besser ausgestatteten Admiral sowie dem Diplomat, der einen 4,6 Liter-Achtzylinder erhielt und das Topmodell darstellte. 1965 kam noch das Diplomat Coupé dazu, 1966 dann in beiden Diplomaten gegen Aufpreis von 960 DM der 5,4-Liter-V8, der 230 PS leistete. Diese Diplomat waren nicht die ersten deutschen Automobile, deren Tacho bis 250 km/h reichte, diese Ehre gebührt wohl Porsche, doch in der Oberklasse waren sie ganz vorn. Womit das mit dem Überhol-Prestige eigentlich schon erklärt wäre – weg da, ich hab den Grössten. Und den Schnellsten.
Von der KAD-A-Reihe, die bis 1968 gebaut wurde, war der Admiral das meistverkaufte Modell, innert vier Jahren wurden über 55’000 Exemplare abgesetzt. Die Basisversion verfügte über den 2,6-Liter-Reihensechser mit 100 PS, der schon im Herbst vom 2,8-Liter-Reihensechser mit 125 PS abgelöst wurde; ab 1967 kam dann noch die HL-Variante (HL für Hochleistung) mit 140 PS dazu. Schon im September 1965 wurde aber der Admiral V8 eingeführt, den wir kürzlich fahren durften. Nur 623 Stück dieser Version, die von einem 4,6 Liter grossen, 190 PS starken V8 angerieben wurde, wurden ab Rüsselsheim ausgeliefert. Die Maschine stammte nicht von Opel, sondern kam aus den USA, aus den grossen Chevrolet-Regalen. So aufgerüstet sprintete der Admiral in 10 Sekunden von 0 auf 100 km/h und war 200 km/h schnell. Also: theoretisch. Sehr oft wurde die Geschwindigkeit wohl kaum erreicht, das Fahrverhalten der «Gummikuh» erforderte über 150 km/h schon einiges an Geschicklichkeit am Lenkrad sowie Mut. Trotzdem: im Vergleich, was damals sonst so über die deutschen Autobahnen kroch, war das richtig wilde Kraft, auf langen Autobahn-Geraden waren schon einmal 170, 180 km/h möglich.
Und so ein Admiral V8 stand damals ziemlich allein auf der Gasse (abgesehen vom Diplomat); die Sterne aus Stuttgart waren bis 1968, als dann der 250 PS starke 300 SEL 6.3 eingeführt wurde, laue Luft, vom BMW gab es nichts in jenen Jahren (die E3 kamen erst 1968), und wenn ein Automobil den grossen Opel das Wasser hätte reichen können, dann wären es andere GM-Produkte gewesen, vor allem die noch stärkeren und noch schnelleren Cadillac. Doch die waren in Europa damals so selten wie heute. Das gilt auch für die Sportwagen: die ersten Porsche 911 schafften ab 1964 zwar auch 200 km/h Höchstgeschwindigkeit, aber dies ebenfalls nur auf dem Papier, das brauchte ziemlich «balls», um die Stuttgarter «Blindschleiche» (so genannt ob ihres eigenartigen Fahrverhaltens) flott über die Bahn zu treiben. Wenn etwas schneller war, dann absolute Exoten wie Ferrari, Facel-Vega oder so; beim Admiral sprechen wir aber von einem – Opel.
Und wie schön er ist. Ganz klassische Linien, zwar amerikanisch beeinflusst, dies aber europäisch geglättet (das Opel-Design-Studio in Rüsselsheim hatte als erstes seiner Art in Europa just 1964 seine Tore geöffnet). Sie stellten etwas dar, die Kapitäne, Admirale, Diplomaten, man war jemand im Wirtschaftswunder-Deutschland, wenn man solch einen Opel sein eigen nennen konnte. Die Grossserien-Technik macht keine Probleme (mit Ausnahme des 5,4-Liter-V8, der neigte anfangs zum Überhitzen) – und innen zeigt sich die wahre Erhabenheit. Das rote Leder, das rote Lenkrad, Sitze wie Fauteuils (mit null Seitenhalt) mit Chromleisten unten: welche Pracht. Leise schnurrt der Achtzylinder auch heute, sanft setzt sich das Trumm in Bewegung; schon damals verliefen die Schaltvorgänge der Automatik quasi rucklos, aber man spürt gleichzeitig auch, wie viel der stolzen Kraft irgendwo in diesem Getriebe versickert. Aschenbecher links und rechts in der Armauflage. In den Kurven aber eine Seitenneigung, dass man aufpassen muss, dass diese Aschenbecher sich nicht in den Innenraum entleeren. Rasen ist nicht – aber gleiten.
Die KAD-B-Reihe, gebaut von 1968 bis 1977, waren dann die letzten Oberklasse-Modelle von Opel. Das Einstiegsmodell, der Kapitän, kam mit einem 2,8-Liter-Sechszylinder mit bis zu 145 PS – und wurde 1970 eingestellt. Der Admiral mit 165 PS durfte mit einigen Retuschen bis 1976 im Programm bleiben. Topmodell blieb der Diplomat mit seinem 5,4-Liter-V8 und 230 PS, der in der Serienversion 21’556 DM kostete; deutlich weniger als der nur 200 PS starke Mercedes 300 SEL 3,5, der auf stolze 29’637 DM kam. Für den Diplomat gab es auf Wunsch Klimaanlage, ein elektrisches Schiebedach, von innen verstellbare Spiegel und sogar eine in die Windschutzscheibe integrierte Antenne. 1969 hatte Opel noch stolze 17’777 Exemplare des Diplomat verkauft, doch die Ölkrise (1973) und die Einführung der neuen S-Klasse von Mercedes (1972) machten dem grossen Opel das Leben schwer, 1974 konnten nur noch 1754 Stück abgesetzt werden; das Ende der KAD-Reihe war auch das Ende von Opel als Luxusfahrzeug-Hersteller. Schade eigentlich.
Und heute? Sie bleiben unterschätzt, die grossen Opel. Für das Diplomat Coupé mit dem grossen V8 werden zwar unterdessen anständige Preise bezahlt, doch im Vergleich zu anderen Fahrzeugen von nur gefühlt edler Herkunft, die ähnlich selten und auch nicht besser motorisiert sind, bleiben sie weiterhin absolute Schnäppchen; ob sich das je ändert, wer weiss das schon. Für die anderen Mitglieder der KAD-A- und KAD-B-Reihe haben die Preise zwar angezogen in den vergangenen ein, zwei Jahren, doch sie sind weiterhin viel zu günstig für ihre geschichtliche Bedeutung, für ihre damals so fortschrittliche Technik, für den Status, den sie einst hatten. Dazu kommt: sie sind ja einigermassen problemlos zu halten, die grossen Opel, doch es sind dank der grossen Verkaufszahlen fast alle Teile noch für vernünftiges Geld zu haben; das gilt ganz besonders für die amerikanische Massen-Mechanik.
Das sieht Uwe Mertin, ehemaliger Leiter des Opel-Museums in Rüsselsheim, ähnlich: «Bei der Admiral-A-V8-Limousine sind die Fahrzeugwerte gerade in diesem Jahr gestiegen. Wahrscheinlich auch durch den rasanten Preisanstieg für Diplomat-Coupé-Varianten. Im Zustand 2 beträgt der Wert derzeit etwa 25’000 Euro, im Zustand 1 sind bis zu 40’000 Euro fällig. Am günstigsten sind die 2,6-Liter-Kapitän-Modelle mit 100 PS. Das war ja die schwächste Ausstattungsvariante. Die Admiral-A-6-Zylinder-Modelle mit 2,8 Liter Hubraum sind ebenfalls recht günstig. Am meisten Potential ist unserer Meinung nach bei den V8-Modellen gegeben. Typische Schwächen gibt es bei den KAD-Modellen nicht. Zierleisten und Stoßstangen sind nicht einfach zu finden und deshalb relativ teuer. Für ein hinteres Blinkerglas sind durchaus 400 Euro zu zahlen».
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