Genf 2018 – erstens
Same procedure as every year?
Bereits lange im Vorfeld war klar, dass einige grosse Player wie Opel nicht in Genf ausstellen werden. Und dass andere wie Peugeot oder Citroen deutlich weniger Raum einnehmen. Das lässt Platz für kleinere Anbieter, so meine Hoffnung. Und die Kleinen, das ist bei jeder Ausstellung so, sind das Salz in der Suppe. Ich hatte eine Weile pausiert, was den Besuch des Salon in Genf angeht. Nun habe ich, als alternder Ex-Journalist, den Weg in die Calvin-Stadt doch wieder einmal auf mich genommen. Und war ziemlich überrascht. Positiv überrascht.
Natürlich habe ich Genf nicht mit dem Auto besucht, sondern ökologisch-vorbildlich mit dem Zug. Ja, die SBB, welch wunderbare Institution. Pünktlich, saubere Wagen, freundliches Personal. So zumindest die Selbstdarstellung. Im Grossen und Ganzen hat das an diesem Dienstag auch den Tatsachen entsprochen. Völlig easy in Bern in der Intercity steigen, genügend Platz für alle Passagiere, sogar einen durchaus trinkbaren Kaffee im Bistro-Wagen gab es. Aber dann fährt der metallene Tatzelwurm in Lausanne ein. Und was dort morgens um acht Uhr passiert, spottet jeglicher Beschreibung. Klar, die SBB können nichts für ihre Fahrgäste. Aber das Benehmen der Menschenmasse, die von Lausanne nach Genf will: der blanke Horror. Ich werde, falls ich wieder einmal um diese Zeit über Lausanne fahre, die Eishockeyausrüstung anziehen – so viele völlig anstandsbefreite Menschen auf einem Haufen findet man eigentlich nur noch in einigen Fussballstadien.
Doch was solls, irgendwann ist man ja dann in Genf-Flughafen und die paar Schritte bis zum Eingang sind schnell gemacht. Also rein ins Getümmel, mal einen Ueberblick verschaffen. Und tatsächlich, das Fehlen einiger grosser Player ist spürbar. Mein Weg beginnt traditionsgemäss dort, wo einst der Stand der Automobil Revue war. Schliesslich war ich für meinen ehemaligen Arbeitgeber jahrelang am Salon, zum Teil die ganzen 10 Tage – Salon-Koller inklusive. Dort empfängt einem, wie jedes Jahr, Toyota. Der Stand der Japaner ist so – wie immer. «Same procedure as every year» eben. Da steht verloren irgendwo ein Schwingerkönig rum, nette Hostessen drapieren sich um irgendwelche Kleinwagen – so wie man sich einen Autosalon vorstellt eben. Ambiance? Unterirdisch. Die einzige Innovation? Naja, Opel ist ja nicht da, drum hat man sich für die Schriften auf dem riesigen Bildschirm gleich mal das Opel-Gelb gekrallt… Waren meine Vorstellungen, dass nun vieles anders und auch besser ist in Genf, also ein Irrglauben? Ja, zumindest was die Hallen in den unteren Etagen angeht. Jeep hat so ziemlich jedes Auto, dass 2018 bisher produziert wurde, nach Genf gekarrt, nur um die riesige Ausstellungsfläche zu füllen. Und Fiat verkauft immer noch einen mittlerweile elf Jahre alten Kleinwagen als Sonderserie für die Hausfrau von Welt. Klar, überall stehen so genannte Weltneuheiten herum, bei Ferrari kommt man nur vorbei, wenn man eine Hockeyausrüstung besitzt (gut, wenn man im Zug zwischen Lausanne und Genf bereits etwas geübt hat) und Rolls Royce stellt seine Autos eigentlich nur aus Mitleid gegenüber dem ordinären Volk aus. Von Mercedes und BMW, die sich immer noch krampfhaft bemühen, frisch und jung zu wirken, gar nicht zu reden.
Spannend, ja spannend wird es erst, wenn man die Rolltreppe hochfährt und das ganze Volkswagen-Gedöns rechts liegen lässt. Denn VW, Audi und Co. langweilen nicht nur mit dem Standkonzept, sondern auch mit den Beschriftungen. Nur 1,8 Liter Verbrauch auf 100 km steht da, so nach dem Motto «kauf mich und die bist der ökologischste Mensch der Welt», da kann man anhand der Schummeleien um Verbrauchs- und Abgaswerte nur den Kopf schütteln. Das Standpersonal, vor allem hochnäsige Studenten mit dem Besserwisser-Blick, wirken so sympathisch wie ein Professor Dudenhöfer, der über die Fehler der Autoindustrie schwadroniert – da kann es dem normalen Besucher nur schlecht werden. Also ab in die andere Richtung. Und da wird es auf einmal interessant. Kleine Hersteller, die versuchen im Reigen der Grossen irgendwie mitzumachen. Dreiräder, die zum Helikopter werden, selbstfahrende Business-Lounges, wunderbare Sportwagen – allein diese 2000 Quadratmeter machen einen Besuch in Genf lohnenswert. Ganz zu schweigen von der Sonderschau «le retour du futur» mit einigen wirklich seltenen, wunderbaren Exponaten. Ich denke, dass der Salon 2018 für einen Besucher der interessanteste seit etwa zehn Jahren ist. Ganz schön auch: durch die Absage einiger Hersteller und Scharlatane gibt es mehr Platz für die Besucher. Dichtes Gedränge bildet sich nur an den bekannten neuralgischen Stellen, wenn zum Beispiel wieder einer sein Gepäck unbedingt auf der grossen Treppe umpacken muss…
Natürlich haben auch die grossen Hersteller einiges zu bieten. Mazda mit komplett neuem, edlen Stand hat ein paar wunderschöne Modelle und Studien ausgestellt, die zeigen, dass man in Japan sehr innovativ geblieben ist. Dasselbe gilt für Honda mit den wirklich heissen Elektroauto-Flitzern. Und auch für die Ewiggestrigen wie mich hat es einige tolle Exponate, etwa den Bullit-Mustang bei Ford. Was kann man dem Salon-Besucher noch raten? Zum Beispiel, die Verpflegung selber mitzunehmen. Nicht nur wegen der horrenden Preise, sondern auch, weil das enorm teure Futter auch von eher bescheidener Qualität ist. Das ist zwar nicht neu, aber immer noch sehr nervend. Denn seit die Palexpo vor einigen Jahren die Foodstand-Betreiber von ausserhalb ausgesperrt hat, bekommt man auf und ums Gelände nur noch den labbrigen Palexpo-Einheitsbrei.
Wir bedanken uns bei Markus Chalilow; mehr schöne Geschichten von ihm gibt es bei uns im Archiv.
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