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McLaren P1

Published in radical-mag.com

Respekt oder: Haggis?

Schottischer Regen nervt. So ganz allgemein und ganz besonders, wenn Du die 916 PS Systemleistung des McLaren P1 unter Deinem Hintern hast; da ist dann nicht nur das Gerät nervös, sondern noch mehr der Pilot. Kein Wunder, denn auch im vierten Gang drehen die hinteren Räder noch massiv durch, wenn das Fahrpedal nicht mit der nötigen Vorsicht behandelt wird. Dazu kommt: es ist ja nicht irgendein P1, der sich da durch Nebel und Gischt kämpft, sondern P100U, das letzte gebaute Exemplar, Nr. 375 von 375. Offizieller Verkaufspreis: ab 866’000 Pfund. Auf Auktionen bringen diese englischen Hypercar allerdings schon über zwei Millionen Dollar – nicht so schlecht für ein Automobil, das seine Premiere vor ganz genau fünf Jahren erlebte, dessen Produktion im Dezember 2015 ausgelaufen ist. Für den ersten fahrbaren Prototypen, P100V, hat McLaren schon Angebote von über vier Millionen Pfund erhalten, doch dieses Fahrzeug ist so unverkäuflich wie jenes, das «radical» gerade bewegen darf.

((Haggis. Wie kann man bloss auf die Idee kommen, Herz, Leber, Lunge und Nierenfett eines Schafes aus dem Magen eines ebensolchen essen zu wollen? Wahrscheinlich wurde Haggis von den Schotten nur erfunden, um mehr Whisky trinken zu können. Oder der Whisky wurde erdacht, um sich den furchtbaren Haggis-Geschmack aus dem Mund spülen zu können. Auch der Dudelsack hat etwas damit zu tun, aber wir lassen hier jetzt den Vergleich mit dem Verdauungsgeräuschen.))

Selbstverständlich hat man da: Respekt. Ich möchte zwar auch mit einem Dacia Duster nicht in einem dieser Steinmäuerchen einschlagen, welche die Schotten so gern auf ihre Grünflächen stellen. Es geht da gar nicht so sehr ums Geld (ok, doch, schon auch), aber ich bewege hier eine Ikone. Gut, Porsche hatte seinen Porsche 918 (768’426 Euro, 887 PS Systemleistung, 918 Exemplare) schon im März 2010 angekündigt, doch der McLaren war als erstes dieser Hypercar tatsächlich auf die Strasse (Markteinführung Oktober 2013, der Porsche kam einen Monat später). Und er ist halt noch seltener als der Ferrari LaFerrari (ca. 1 Million Euro, 963 PS Systemleistung, 500 Exemplare plus 210 Stück der Aperta). Und ja, man muss grossen Respekt haben vor der Leistung von McLaren, der P1 war erst das zweite Automobil, das der englische Hersteller nach seiner Neugründung auf den Markt brachte, eine höchst komplexe Maschine, ein Plug-in-Hybrid mit einem doppelt aufgeladenen 3,8-Liter-V6 sowie einem Elektromotor, der den P1 bei Bedarf auch etwa 10 Kilometer lokal emissionsfrei bewegen kann.

((Sie sind auch sonst eigenartig, diese Schotten. Sie scheinen Angst zu haben, in der Nacht ersticken zu müssen – anders lässt es sich nicht erklären, weshalb wohl kein Fenster nördlich von Cairngaan einigermassen dicht ist. Noch eine Angst umtreibt sie: die Vermischung von kaltem und warmem Wasser – kann irgendjemand erklären, weshalb die beiden Wasserhähne derart weit auseinander stehen müssen? Andererseits: muss man wirklich alles verstehen wollen? Und da war ja noch die Frage, weshalb die Briten ihr Bier lauwarm trinken: Weil auch die Kühlschränke von Lucas, Prince of Darkness, stammen.))

Mehr nackte Zahlen: in 2,8 Sekunden auf 100, in 6,8 Sekunden auf 200, in 16,5 Sekunden auf 300. Die Höchstgeschwindigkeit bei elektronisch begrenzten 350 km/h. Ein Verbrauch von offiziell nur gerade 8,3 Litern. Ein maximales Drehmoment von 900 Nm. Wohl etwa 1500 Kilo Gewicht, doch so ganz genau wollte das McLaren nie erzählen. Und das alles kann man nicht beschreiben, das muss man erlebt haben. Wobei es auf nasser Strasse halt eher schwierig ist, man fährt da besser immer zwei Gänge zu hoch (das Doppelkupplungsgetriebe verfügt über sechs Gänge) und legt sich geistig eine kleine Pyramide aus rohen Eiern unter das Gaspedal. Auch am sechsstufigen ESP fummelt man dann besser nicht rum, die Kraft ist zu heftig, der Schub kommt zu brachial, so schnell kann ein Mensch gar nicht reagieren. Und wenn man dann da auf der Rennstrecke von Knoxville einmal so richtig quer in der Landschaft steht, das Heck überholen will und die Front schon in Richtung Streckenbegrenzung zeigt, dann ist der Adrenalin-Vorrat für die nächsten zwei Monate erschöpft. Bremsen? Ja, ganz gut, von Akebono, die gleichen Karbon-Keramik-Dinger, die auch in der Formel 1 verwendet werden. Wahrscheinlich kamen sie nicht einmal auf Betriebstemperatur, weder auf der Rennstrecke noch auf den verwinkelten Gassen in den schottischen Highlands.

((Charles Darwin hätte für seine Evolutionstheorien nicht um die ganze Welt reisen müssen, ein Ausflug nach Schottland hätte gereicht. In einer Landschaft, in der es gefühlt 400 von 365 Tagen regnet, erhält «survival of the fittest» eine ganz andere Bedeutung. Es entstand da eine ganz neue Spezies von Menschen, die absolut wasserdicht ist – und auch Haggis erträgt. Und Unmengen von Whisky. Und die durch den Nebel spaziert mit komischen Stöcken in der Hand und kleine weisse Bälle in die eigentlich wunderbare Landschaft haut. Da darf man sich auch nicht wundern, wenn sie beim Blick über die Seen manchmal komische Viecher sehen.))

«radical» hatte ja die Ehre mit schon so manchem McLaren (650S, 720S, 675LT, 570GT) – und ist immer wieder beeindruckt, wie grossartig die Qualitäten dieser jungen Marke sind, wie sie es schafft, schon wenige Jahre nach der Gründung auf Augenhöhe mit den ganz grossen Namen der Branche zu sein. Es sind grossartige Sitze, zwar eng, aber halt doch komfortabel. Es sind wunderfeine Materialien, bestens verarbeitet, liebevoll drapiert, Karbon, Alcantara, Leder, halt auch optisch schönst gemacht; da müssen sich Stuttgart und ganz besonders Maranello heftig strecken, das schaffen sie derzeit nicht in dieser Güte. Beim Bediensystem merkt man dem P1 schon an, dass er bereits fünf Jahre auf dem Buckel hat, aber in einem solchen Fahrzeug muss man auch das Smartphone nicht neu konfigurieren wollen oder Spotify-Playlisten zusammenstellen, da müsste eigentlich die reine Freude am Fahren im Vordergrund stehen. Auch im schottischen Dauerregen. Ist er schön, der P1? Ja, ist er. Er hat die Design-Sprache von McLaren definiert, auf einen sehr guten Weg, sportlich, aber doch elegant, harmonisch, ohne in die Warmduscher-Abteilung abzugleiten. Unsereins gefällt die dunkle «mean machine» allerdings besser als der gelbe Kanarienvogel.

((Broomhall House. Das darf man mal Doktor Google fragen. Da steht auf diversen Quadratkilometern nördlich von Edinburgh einfach so ein Schloss, es gehört seit 300 Jahren den Bruce’s. Gewöhnlichere Menschen heissen so zum Vornamen, hier ist es der Nachname. Hier traf sich einst die Ecurie Ecosse zu den Team-Meetings, man konnte auf den Strassen wohl auch gleich die Fahrzeuge testen. Heute würde das nicht mehr funktionieren, es braucht kein Tempolimit, denn Tausende von Rebhühnern und Fasanen rennen über die Weiden, die ansonsten von ebenfalls Tausenden von Schafen bevölkert werden, die dann später zu Haggis verarbeitet werden können. Sonst sieht man in Schottland keine solchen flugunfähigen Fluggeräte in freier Wildbahn, aber die Hausherrin von Broomhall House scheint Veganerin zu sein. Oder sie bestellt an Regentagen jeweils Haggis, also an gefühlt 400 von 365 Tagen pro Jahr.))

Und so rollen wir mit 913 PS ganz brav durch die Gegend. Und zuckeln so ein bisschen über die Rennstrecke, mit einem heftigst nervösen Instruktor auf dem Beifahrersitz. Man würde ihn gern ein bisschen erschrecken, und wäre es trocken, dann wäre es sicher eine Gaudi. So verharren wir in erster Linie in tiefem Respekt vor einem Fahrzeug, das wir schon immer einmal fahren wollten, das auf unserer «to do»-Liste ganzganz weit oben stand (weiter oben eigentlich nur noch: McLaren F1 – any suggestions?). Aber wann zuletzt konnten wir beim Fahren über Haggis nachdenken?

((Oben, das ist P100U in Schottland. Unten kommt dann noch P100V, ebenfalls in Schottland. Nachdem wir kürzlich schon Korsika als Reiseziel empfehlen konnten, machen wir das jetzt auch noch mit Schottland. Da, wo wir waren, gibt es so schöne Städtchen wie Dunfermline. Oder Cowdenbeath. Oder, typisch schottisch: Dollar. Loch Fitty ist in der Nähe, Scotlandwell ebenfalls, und Auchtermuchty. Mehr McLaren haben wir, wie schon geschrieben, in unserem Archiv. Und später des Abends werden wir dann auf youtube noch ein paar Videos hochladen.))

Der Beitrag McLaren P1 erschien zuerst auf radicalmag.