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McLaren 650S

Published in radical-mag.com

Eine Zigarette

(Wir waren grad bei McLaren, mal wieder. Durften den P1 fahren. Diese Geschichte kommt dann nächste Woche, ausführlich. In diesem Zusammenhang haben wir uns an eine alte Story erinnert. Und es gibt sie ja auch gebraucht, die 650er. Auf den 720er muss man eine Ewigkeit warten.)

Eine Zigarette. Die Cola ist schon halb leer. Noch eine zweite Zigarette, ein älterer Herr, leicht angetrunken, auch schon länger ungeduscht, sucht das Gespräch. Keine Ahnung, was er sagen will, in welcher Sprache. Ein Lastwagenfahrer öffnet die Tür, kotzt aus etwa zwei Metern Höhe auf den Boden, ich denke an Monty Python; er schlägt die Tür wieder zu. Drei junge Italiener, Zigarette in der Hand, im Mund, wieder in der Hand, gehen um den orangenen Sportwagen, gestikulieren, diskutieren laut, angeregt, ich verstehe nur einzelne Gesprächsbrocken, die der Wind hinüberweht, Ferrari kommt häufig vor, Porsche. Es war viel Adrenalin, also noch eine Zigarette; es ist weit nach Mitternacht auf der Autobahn-Raststätte Hunnenberg.

Axel hatte gesagt, zuerst hoch nach Heilbronn, dann Richtung Würzburg, da habe es nächtens oft die Testfahrer von Mercedes und Porsche. Ein paar Porsche hätte ich mir gewünscht, aber es waren dann nur zwei Cayenne, und die zählen nicht. Eine Fuhre A/CLA45 AMG war aber unterwegs, denen hab ich mich dann angehängt. Weil ich die Strecke nicht kannte. Weil es teilweise goss wie aus Kübeln. Weil meine Pirelli Corsa, fiese Semi-Slicks, alles andere als geeignet bei Nässe, einfach nicht warm werden wollten. Was man auf dem Bordcomputer nachprüfen kann, sich durchs Menu klicken, da, irgendwo, gleich nach dem Reifendruck. Bei 200 im strömenden Regen nur die zweitbeste Idee, aber wann sonst hätte ich es machen sollen? Den Sternen zu folgen war die Buchstabensuppe, um mich konzentrieren zu können, murmelte ich das längste finnische Wort, das ich kenne: epärjärjestelmällistyttämyydeläsäkäänkökö. Das heisst so viel wie: Durcheinander, und so tönt es ja auch. Ich dachte dabei an das eine oder auch noch andere gehaltvolle Getränk, das ich einst im hohen Norden, dann stellte ich den Blinker und arbeitete ein wenig mit der Lichthupe, bis die Benzen begriffen, dass für sie jetzt Feierabend ist. Wobei mindestens ein CLA irgendwie nicht ganz ab Stange war, der hatte erst bei Tacho 280 ein Einsehen. Ab 300 bist Du dann eh allein, nicht nur auf der Strasse, auch mit Dir selbst.

Ein Herr mit Brille und zu breiter Krawatte. Er möchte etwas sagen, fragen, nuckelt stattdessen an seiner Flasche. Er geht um den Wagen herum, schaut, schaut, bückt sich, schaut. Ich staune immer wieder, wie viele schlecht gekleidete Menschen es gibt, der billige Anzug, die schlechten Schuhe. Der miserable Frisör.
– Hmm.
Er deutet auf meine Zigarette.
– Ich hab vor zwei Jahren aufgehört.
Er lockert die Krawatte. Zieht seine Hose hoch. Was habe ich erwartet auf der Autobahn-Raststätte Hunnenberg – Gisele Bündchen? Den Geist von Reich-Ranicki? Ulf Poschardt?
– Toller Wagen.
Er schaut noch mal:
– 650S, oder? Ganz neu?
Ich nicke; er schaut in die Ferne:
– Möchte ich auch mal fahren.
Wieder arbeitet er an seiner Krawatte. Übersprungshandlung, sagt man dem wohl.
– Ich möchte noch nicht nach Hause. Das gibt wieder nur Ärger, ich bin viel zu spät. Vielleicht schläft sie schon. Wahrscheinlich nicht.
Ich greife in meine Jackentasche, hole die Zigaretten hervor. Er nimmt eine. Lässt sich Feuer geben.
– Ich lese immer Auto-Bild. Ich freue mich drauf. Ich kann mir solche Autos ja nicht leisten. Aber die Träume…

Damit es klar ist: der McLaren 650S ist nicht wirklich neu. Er trägt einen neuen Namen, das ist gut so, denn MP4-12C war unsäglich. Er trägt das Gesicht des P1, das ist auch gut so, zwei Modelle ergeben zwar noch keine Familie, aber so ein bisschen Wiedererkennungswert ist gut, gerade auf der deutschen Autobahn. Da hupfen nämlich nur die Eingeweihten weg, bringen sich rechts in Sicherheit, doch in den Polo-Diesel, die mit 84 km/h den 700 Meter weiter vorne fahrenden polnischen Laster niederringen wollen, sitzen ja selten Auskenner. Vor den Benzen sind sie geflüchtet, vor mir haben sie sich aber wieder reingedrängt. Es wird noch ein paar Jahre und Modelle brauchen, bis die McLaren sowas wie Überhol-Prestige haben. 650S gleich 650 PS. Die Maschine ist die gleiche wie im MP4-12C, es ist nur ein Software-Update, der mehr Pferde über die Koppel treibt. Er ist auch für den MP4-12C erhältlich, übrigens, weil sich McLaren ganz allgemein in die Hose macht, die bestehende Kundschaft zu verärgern, also gibt es fast alle neuen Teile am 650S auch für den Vorgänger. Mit Ausnahme der Schnauze und ein paar Carbon-Dingers. Aber den wichtigsten Up-date, jenen für das Getriebe, kann man auch für «den Alten» haben, und das ist wichtig und das ist gut, denn damit schaltet der McLaren endlich so, wie man das in dieser preislichen Höhenluft von einem Supersportwagen auch erwarten darf. 3,0 Sekunden von 0 auf 100 km/h, sagen die Engländer, das erscheint uns etwas optimistisch. Denn es ists ja nur (und zum Glück) Heckantrieb, der Porsche 911 Turbo S mit seinem zwar «nur» 560 Pferden kann über alle Viere, das hilft in dieser Liga extrem. Aber irgendwie ist das typisch für die Jungs von der Insel, Lotus hat auch immer so extreme Beschleunigungsorgien kommuniziert, welche die Fahrzeuge dann nie auch nur annähernd geschafft haben. Auf die Frage, warum, wie sie denn auf diese Angaben kommen, erhielt ich dann einst die wunderbare Antwort:
– Wir würfeln.

– Darf ich mich einmal reinsetzen?
Biep-biep. Es ist erfreulicherweise nicht mehr das blöde Gefummel an der Tür wie beim MP4-12C, sie öffnet sich jetzt tatsächlich; auch wenn Ron Dennis, der McLaren-Patron, nicht diesen Eindruck erweckt, aber anscheinend ist man in Woking, der Heimat der McLaren-Formel-1-Bande und auch der Sportwagen der Marke, sogar ein bisschen lernfähig.
– Ich heisse Karsten. Ist das Deiner?
Ich murmle etwas von Testwagen. Er zieht an allen Hebeln, blinkt. Hupt. Danke. Die drei Italiener mit den Zigaretten kommen jetzt auch angelaufen. Und der ältere Herr, leicht angetrunken, ungeduscht, schleicht ebenfalls ums Auto.
– Darf ich mal, äh, den Motor?
Es gibt Grenzen, ich sage ihm, dass ich jetzt eh weiter muss, er könne ja dann zuhören, wenn ich losfahre. Das mache ich dann auch, ach, ich frage mich jeweils selber, was mich dazu treibt, dann mit durchdrehenden Rädern, so ziemlich quer über den Parkplatz, ist mir erst kürzlich schon einmal passiert, bei der Corvette C7, als ich meinen Sohn vom Fussball-Training abholte und der Aufforderung der anderen Väter, es doch einmal rauchen zu lassen, tatsächlich nachkam. Fragwürdig, solches Verhalten.

Der vielleicht beste Sitz, ever. Ein absolut hervorragendes Lenkrad, zwar bling-bling-lustig-lustig unten abgeflacht, aber halt einfach herrlich zur Hand. Alcantara, das ist sowieso die Mass‘ aller Dinge. It’s a drivers car, aber sowas von. Alles auf den Fahrer, nix lenkt ab, das Navi ist zwar ganzganz neu, aber weiterhin so sehr Schrott, dass es am besten ausgeschaltet bleibt. Das machen die Engländer wahrscheinlich ganz bewusst, man kann ja des Weges fragen (und dabei schlecht gekleidete Herren mit zu breitem Schlips kennenlernen). Oder sich des Umweges erfreuen. Ich musste ja auch nicht nach Würzburg oder gar auf die Autobahn-Raststätte Hunnenberg, ich wollt einfach durch die Nacht. Der McLaren ist näher beim ewigen Formel-1-Intimfeind Ferrari als bei Porsche. So ein Porsche 911 Turbo S fühlt sich an wie auf die Strasse gemeisselt, der Italiener und der Engländer sind mehr so: filigran. Die Lenkung des 650S ist erstaunlich leichtgängig – und trotzdem sehr präzis. Ein Zucken mit der Wimper, und schon folgt er der Richtung. Natürlich verhärtet sich das alles bei höheren und hohen Tempi, es ist trotzdem gewöhnungsbedürftig, die ersten Kurven fuhr ich sehr eckig. Auch das Fahrpedal ist toll. Kaum wird der Fuss etwas nervös, schon ist der McLaren weit schneller, als es das Gesetz erlaubt. Natürlich braucht auch der 650S viel Elektronik, damit die gewaltigen Kräfte einigermassen beherrscht werden können. Doch das Fahrwerk ist ausgezeichnet abgestimmt, vielleicht eine Spur zu komfortabel für unsereins, die gerne noch prüfen, ob die Plomben auch richtig fest sitzen im Gebiss, die Software greift erfreulich spät und erfreulich sanft ein – der Fahrer mit Gefühl im Hintern darf den Wagen auch mal quer und bis an seine klar definierten Grenzen treiben. Und die sind so weit oben wie bei einem Ferrari oder Porsche. «Erfahren» kann man solches aber nur auf der Rennstrecke. Oder dann halt – wherever.

Die drei Italiener rauchen noch eine.
– Ferrari?,
 fragen sie.
Mein Gott, es ist nicht mehr wie früher, da wusste doch jeder Bub, was aus Maranello kam. Und was aus – where the fuck is Woking?

Den 650S gibt es als Coupé und als Spyder. Beide Varianten sind sehr, sehr teuer; auch in der Preisgestaltung bewegen sich die Engländer auf dem Niveau der grossen Namen der Sportwagen-Welt. Das gilt auch für die Verarbeitung: sehr sauber ist er gemacht, der 650S. Feinste Materialien. Und schöne Details. Interessiert aber niemand, wenn die Pirelli Corsa nicht warm werden wollen. Was halt noch fehlt: das richtige Image. Doch mit jedem Exemplar, das die Briten auf die Strasse bringen, wächst die Verehrung.

Mehr McLaren haben wir in unserem Archiv. Und eben, nächste Woche: der P1.

Der Beitrag McLaren 650S erschien zuerst auf radicalmag.