Volvo XC90 – einmal anders
NAVIGO ERGO SUM
Nordische Automobilhersteller haben es geschafft, mit ihren Produkten feingeistige Connaisseurs in ihren Bann zu ziehen, egal an wie viele Bäume sich ebendiese in den 80ern gekettet oder vor wie viele Castor-Transporte sie sich gelegt haben. Das kunstaffine Kognitariat findet seine edle Weltanschauung am deutlichsten in schwedischem Stahl gespiegelt.
Das Ziel war klar. Als altgedientes Ding-Dong Redaktionsmitglied durfte ich nach der fadenscheinigen Ablehnung meines letzten Themanvorschlags (Fadenkreuz), diesmal einen weiteren seriösen Kandidaten ins Rennen bringen: AUTOKORREKTUR. Während sich meine Kolleginnen mit der zerstörerischen Macht der automatisierten Korrektur moderner Computer-Algorithmen oder der hoffnungsvollen Entwicklung des matriarchalischen Korrektivs in Bhutan auseinandersetzen würden, dürfte ich mich auf den AUTO-Teil des Titels konzentrieren und als Teil meines Rechercheprozesses (Wochenendausfahrten), die luxuriöseste Form des Individualverkehrs testen. Kurz: Ich würde mich ein paar Wochenenden auf Strassen vergnügen, die sich wie von Gotteshand drapierte Asphalt-Spaghetti über die Berge dieses Landes legen. Das war der Plan. Doch die Menschen, welche für das Ausleihen von Wagen an Medienvertreter verantwortlich zeichnen, haben, so scheint es, mit Google Maps einen Blick auf den HKB Parkplatz geworfen und ob all der erblickten Elektrovelos und verrosteter Toyota Camrys entschieden, dass sich durch einen Verleih an mich kein neues, zahlungsfreudiges Kundensegment eröffnen würde. Dabei gibt es an der HKB durchaus die ein oder andere Person, der ein rassiges Gefährt etwas mehr Verve verleihen würde …
Die Suche nach grosszügigen Autofirmen führte mich schlussendlich doch noch ans Ziel. Der den Inbegriff der nordischen Eleganz und des revolutionären Interieur-Designs darstellende Volvo XC90 wurde mir für eine geschlagene Woche zur Verfügung gestellt. Volvo hat sich designtechnisch schon lange des klotzigen Traktoren-Images entledigt und verkörpert zeitgenössische, unangestrengte Coolness geradezu emblematisch. Der Grund, warum Volvo nicht als erstes für einen Test angefragt wurde ist simpel: auch wenn ich mir den ausgeliehenen XC 90 nie werde leisten können, so habe ich doch, ohne je ein neues Modell gefahren zu haben, immer gespürt, dass ich, würde ich je ein Auto besitzen, mich für die Marke aus Göteborg entscheiden würde. Design und Image der coolen Nordländer treffen bei vielen kunstaffinen Menschen auf eine ganz besondere Resonanz, doch dazu später mehr. Ausserdem hätte mir der Test eines Sportwagens erlaubt, ein Wochenende lang in eine Rolle zu schlüpfen, die ich auch bei dem Jahreseinkommen eines texanischen Öl-Magnaten nicht dauerhaft würde besetzen wollen: die des Maserati-, Jaguar- oder Porschefahrers. Lieber wäre ich durch einen Sportwagentest für kurze Zeit zu einer Person geworden, die ich NICHT bin, als durch den famosen Volvo einen Ausblick in eine Welt kriegen, die ich nur aus fehlendem pekuniären Erfolg nicht meine eigene nenne. Die Tatsache, dass sich Volvo Schweiz als einzige der sieben angefragten Firmen bereit erklärte, mir nicht IRGENDEINEN Testwagen zur Verfügung zu stellen, sondern ihr exquisites Topmodell, soll als weiteres Zeugnis der ewigen Beziehung der Schweden mit den Künsten dienen.
Volvo macht auch deshalb Sinn, weil es ja zu einem Teil auch uns Schweizern gehört. Oder wer hat noch nie eine ähnliche Konversation mit einem geografieschwachen Amerikaner erlebt:
„WHERE ARE YOU FROM?“
„SWITZERLAND“
„OH, HOW VERY INTERESTING, I HAVE A FRIEND WHO DRIVES A VOLVO …“
Nordische Automobilhersteller haben es geschafft, mit ihren Produkten feingeistige HOMO ARTISTICI in ihren Bann zu ziehen. Egal an wie viele Bäume sich der Architekturstudent in den 80ern gekettet oder vor wie viele Castor-Transporte er sich gelegt hat und wie unvorstellbar es für ihn nun, Mitte Fünfzig wäre, einen «vulgären Maserati» oder «protzigen BMW» zu fahren; ein Saab oder Volvo bilden eine gegenüber jeglichen schöngeistigen und gutmenschlichen Vorbehalten autarke Kategorie des gehobenen automobilen Understatements. Der Saab 900 (ein von der Redaktionsleiterin gern gefahrenes Automobil) wird nicht von ungefähr bis heute als Architektenkarre bezeichnet. Das abgehobene Kognitariat findet seine edle Weltanschauung am deutlichsten in schwedischem Stahl gespiegelt.
Lange waren Autos und Motorräder alles für mich. Die Fahrprüfungen beider Fortbewegungsmittel wurden zeitnah dem 18. Geburtstag bestanden (alles andere kommt im Aargau dem Aussatz gleich) und selbst als Kind mussten die weichen Teddy Bären und Plüschaffen im Bett den harten Matchbox Autöli weichen. Doch dann kam, für einen aargauischen Prolo-Bauern etwas unerwartet, der Eintritt in die Kunstwelt und die heimliche Liebe wich fürs erste der Beschäftigung mit hochstehender geistiger wie retinaler Nahrung. Eines Tages fiel mir jedoch Roland Barthes Essay über den neuen Citroën DS, welches in seinem Buch MYTHOLOGIEN DES ALLTAGS publiziert ist, in die Hände. Barthes vergleicht darin das Auto mit gotischen Kathedralen, spricht von der «Preisung der Scheiben» und der «Vergeistigung des Automobils» (schicksalhaft wurde Barthes in Paris von einem Kleintransporter überfahren und starb einen Monat später an den Folgen des Unfalls). Offenkundig durfte die Gestaltung eines Fahrzeuges auch komplexe Geister bewegen, ohne dass eine solche Beschäftigung als Beweis einer zerebralen Simplizität herhalten musste.
Während vieler Jahre gab es aus der Welt des Automobils nichts wirklich Aufregendes zu berichten. Ein Design glich dem anderen, CW-Werte und Windkanäle bestimmten die Form und führten dementsprechend zu einem sämigen Einheitsbrei an Gestaltungsentwürfen. Nicht so heute. So wurden in den letzten Jahren nicht nur spannende Karosserien geschmiedet, sondern vermehrt ein Augenmerk auf den Ort gelegt, in dem der Pilot, die Pilotin, am meisten Zeit verbringt: dem Cockpit, bzw. dem Innenraum. Von Fachjournalen als eines der schönsten Wageninterieurs der letzten Jahre gepriesen (lange eine Ehre, die sich Range Rover und Rolls Royce teilten), empfängt mich der XC 90 mit einem angenehm neutralen Ledergeruch. Auch wenn ich in meinem Test weniger über solch profane Fakten wie Preis (137’350chf) oder Leistung (407 PS) pontifizieren möchte, so werden beide dieser Faktoren schon in den ersten Fahrminuten evident. Mit gehörigem, von einem Elektromotor unterstützten, Zug, fahre ich gen Zürich. Man fühlt sich in dem hyper-stylischen Cockpit wärmstens aufgehoben. Die edlen Materialen wie die fischgrätähnlichen, offenporigen Echtholzapplikationen, das weiche Leder, der beleuchtete Schaltknauf aus Kristallglas des schwedischen Glasproduzenten Orrefors und der satte, 1400 Watt starke Sound aus den 19 Bowers & Wilkins Lautsprechern lassen einen gediegenen Wochenend-Roadtrip durch die österreichischen Alpen, Norditalien und das Valle di Poschiavo erahnen. Das Innenraum-Design verkörpert eine Dualität an kühler Futuristik und heimeliger Wärme, so dass man sich zwar als Teil einer zukunftsgewandten Gesellschaft des 21. Jahrhundert erkennt, ohne jedoch das Gefühl einer schützenden Nestwärme zu vermissen. Trotz seiner imposanten Aussenmasse (fast 5m lang, über 2m breit) und einem Gewicht von fast zweieinhalb Tonnen, strahlt der XC 90 ein Gefühl der unbekümmerten Eleganz und Lässigkeit aus. Dies ist nebst dem luxuriösen Fahrgastraum auch der alle Unebenheiten willig absorbierenden Luftfederung geschuldet. Besondere Freude hatten Fahrgäste allerdings nicht im Fahrersitz (der eh nicht zur Verfügung stand), sondern im Fond. Mir wurde nämlich nicht irgendeine Baureihe des XC 90 ausgeliehen, sondern das EXCELLENCE Modell, welches eigentlich für CEOs gedacht ist, die das Steuern eines Fahrzeuges lieber einem samtpfotenen Chauffeur überlassen. Abgesehen von den beschränkten Kapazitäten (man bezahlt mehrere Zehntausend Franken drauf, um statt sieben nur vier Personen transportieren zu können) bietet der EXCELLENCE Vorteile, welche man auf den ersten Blick als negierbar erachtet; nur um sich nach 30 minütiger Fahrt zu fragen, wie man je in einem Auto Platz nehmen konnte, welches nicht über belüftete Massagesitze und einen Champagnerkühlfach verfügten. Die Massagefunktion ist, Volvo sei Dank, auch in den Vordersitzen vorhanden, so dass kraft der akzentuierten Hot-Stone-Massage, selbst der ödeste Autobahnabschnitt des Landes (Zürich – Bern) zu einem erholsamen Unterfangen wird.
Bitte gestatten Sie mir hier einen kurzen Exkurs in die Frage, warum fahrzeugbezogenes Interieur Design lange Zeit diesen Ausdruck nicht wirklich verdiente und warum es grösstenteils dafür verantwortlich zeichnet, wie man sich beim Navigieren eines Gefährts fühlt. Die offensichtliche Tatsache ausser Acht lassend, dass man die meiste Zeit IM und nicht UMS Auto verbringt, geht es um viel mehr als ergonomisch adäquat platzierte Knöpfe und Schalter. Vielmehr versprüht das noble Interieur ein SENTIMENT DE BONHEUR und eine Überlegenheit der allgemeinen Lugubrität unserer Zeit gegenüber. Die Plastiklawinen, welchen einen beim Einsteigen in die meisten Fahrzeuge der 80er Jahre verschlangen, sind glücklicherweise passé. Viele Autobauer bevorzugen eine eher aufrechte Sitzposition, wie man sie beispielsweise beim Golf oder praktisch allen Porsche 911 vorfindet. Was ich mich schon als 11-jähriger Bub beim Betrachten eines Lamborghini Countach Cockpits fragte: Warum sind nicht alle Fahrgasträume mit enorm hohen, den Fahrenden und die Fahrende umwickelnden Mittelkonsolen versehen, die eine viel immersivere Fahrerfahrung provozieren. Auch fühlt man sich durch die räumliche Eingrenzung des eigenen Körpers wie in einem schützenden Kokon. War es früher italienischen Supersportwagen vorbehalten, ihr Inneres so zu präsentieren, gestalten immer mehr Designer heutige Interieurs nach diesem Prinzip. Selbst Porsche hat mit dem Typus 991 ab 2011 das erste Mal eine solch hochgezogene Mittelkonsole präsentiert. Volvo wendet in all seinen neuen Modellen dieses Design an, sehr zur Freude des an einem holistischen und non-exhaustiven Fahrgenuss interessierten Connaisseurs.
Ich bin kein pseudo-neutraler Auto-Journalist. Die kritische Distanz als Credo jeglicher journalistischen Schreibe ist für mich kein Muss. Natürlich gibt es auch beim XC 90 Verbesserungsmöglichkeiten (z.B. den Verbrauch). Nichtsdestotrotz fällt nach tagelangen Ausfahrten auf Strassen dieses wundervollen Kontinents, die Rückgabe des stolzen Begleiters schwer. Wie werde ich die Dank der grosszügig isolierten Fahrgastzelle wohltuende Ruhe vermissen, wenn sich bei der nächsten Zugfahrt ein Baby bemerkbar macht oder zwei pensionierte Wanderer das letzte Abstimmungsergebnis diskutieren? „ISOLATION IS THE ESSENCE OF LAND ART“, sprach Walter De Maria. Ich würde dem beifügen: „THE ESSENCE OF LUXURY IS ISOLATION“. Beim letzten Aussteigen vergegenwärtige ich mir die Tatsache, dass ich höchstwahrscheinlich nie mehr in ein Gefährt von solch unbestechlichem Luxus steigen werde. Ein Luxus, der nicht auf grossspurigem Protzen und ostentativer Zurschaustellung materieller Mittel beruht, sondern den mühelosen Genuss, des an seiner Umwelt nicht sonderlich interessierten Zeitgenossen, auf eine solch unaufgeregte Art befördert, dass er gänzlich unbemerkt die Misere dieser Welt etwas erträglicher erscheinen lässt.
Das Testfahrzeug wurde grosszügigerweise von Volvo Schweiz und der Garage Häusermann in Effretikon zur Verfügung gestellt. Der Autor Stefan Sulzer ist Künstler und hat Bildende Kunst in Zürich, Glasgow, New York und London studiert, arbeitet seit einigen Jahren an der Hochschule der Künste Bern und ist, obwohl nur Besitzer eines General Abonnements, nach wie vor leidenschaftlicher Auto und Motorradfahrer. Berufsbedingt lässt sich eine gewisse Affinität zu innovativem Design und dem Affekt, den gewisse Fortbewegungsmittel evozieren, nicht absprechen.
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