Die Nacht im Porsche-Museum
Schlafen mit der «Sau»
(Ja, das ist ein älteres Stück, «Die Nacht im Porsche-Museum» ist unterdessen auch schon mehr als fünf Jahre her. Aber weil wir www.radical-classics.com umbauen und ganz zufällig auch die Bilder jener Nacht von Markus Leser (danke, nochmals!) wieder gefunden haben, bringen wir sie noch einmal. Auch, weil diese Story sicher zu den Höhepunkten in der Geschichte von «radical» gehört; heute ist das ein bisschen Mode geworden, das Übernachten in Auto-Museen, wir waren damals die Vorreiter. Und ja, irgendwie ist das schon cool, oder?)
Manchmal, da tun wir eigenartige Dinge. Aber wenn man eine intensive Beziehung zu Automobilen hat, dann darf man das. Wir wundern uns dann manchmal selbst, dass uns solche Sachen überhaupt erlaubt werden. Aber es gibt noch andere Menschen, die Autos lieben, die haben dann so ein bisschen Verständnis. Wobei, als wir da die ganze intensive Nähe zu einigen Porsche suchten, da war das anfangs nicht ganz so einfach.
«Und wie stellen Sie sich das vor?», hatte die Presse-Verantwortliche des Porsche-Museums ziemlich ungläubig gefragt. «Ganz einfach», antwortete ich, «ich bringe einen Schlafsack mit, und dann lege ich mich neben einem Auto schlafen.» «Und warum wollen Sie das machen?», fragte sie weiter. Gute Frage, musste ich zugeben: warum eigentlich wollte ich im Porsche-Museum in Stuttgart übernachten? So eine richtig gute Antwort hatte ich dann auch nicht, also, ich hätte schon eine gehabt, aber dann hätte die Dame sowieso nie zugesagt, also schwafelte ich etwas von vertiefter intellektueller Auseinandersetzung mit der Architektur sowie den Ausstellungsobjekten, der sensiblen Erfahrung mit dem Raum, die sich nur allein erleben lasse, von Ruhe und Musse. Die Dame blieb skeptisch, aber sie sagte zu; sie war sogar sehr skeptisch, denn sie wollte den Photographen und mich bis spät abends gar nicht mehr verlassen.
Was macht der Porsche-Liebhaber, wenn er das ganze Museum, ein Prachtsbau übrigens, von den österreichischen Architekten «Delugan Meissl Associated Architects» entworfen, am 31. Januar 2009 eröffnet, 100 Millionen Euro teuer und 5600 Quadratmeter gross, für sich allein hat? Er schaut sich mal alles in Ruhe an. Das Museumserlebnis ist ein ganz anderes, wenn nicht dauernd andere Besucher rumspazieren, Lärm machen, im Weg stehen. Aber so nach zwei Stunden ist man da auch durch, auch wenn man alle Tafeln genüsslich liest und sich über die einen Exponate freut, über andere wundert. Die Studie H50 zum Beispiel, aus dem Jahre 1987, ein viertüriger 928er, warum haben sie den nie gebaut? Der C88 von 1994, eine Studie für China, kam zum Glück nie auf die Strasse, und auch der Typ 915 nicht, ein um 35 Zentimeter gestreckter 911er aus dem Jahre 1970, der aus dem grossartigsten Sportwagen der vergangenen 50 Jahre einen Viersitzer hätte machen sollen.
Dann, nach besagten zwei Stunden, macht der Oldtimer-Liebhaber Dinge, für die ihn andere Menschen wohl für verrückt erklären lassen würden. Ich lege mich hinter die Autos – und studiere Auspuff-Konstruktionen. Also die alten Porsche, die sind langweilig, eigentlich sind auch die Serien-Produkte eher öd, wobei, bei den moderneren Exponaten wird das dann schon spannender. Doch so richtig toll sind die Rennwagen, am besten sind die Rennwagen aus den 50er und 60er Jahren. So richtig schön ist das etwa beim 550 Spyder von 1954, ein Vierzylinder mit 1,5 Liter Hubraum – aber hinten ein ganz mächtiges Rohr. Noch schöner: der 718 RS 60 Spyder von 1960, noch ein Vierzylinder, diesmal mit 1,6 Liter Hubraum, schon stolzen 160 PS, Sieger einst bei der Targa Florio und auch bei den 12 Stunden in Sebring, dem ersten Porsche-Grosserfolg in den USA. Aber mein Favorit ist noch ein anderer, ebenfalls ein 718, aber von 1962, der W-RS Spyder, denn der wird von einem 2-Liter-Motor mit acht Zylinder befeuert. Und seine Auspuffanlage ist ein wahres Kunstwerk, Tinguely kommt mir in den Sinn, oder ist es mehr Moore? Sieht sicher auch gut aus, wie ich da unter «der Grossmutter» – wie der 718 W-RS Spyder wegen seiner langen Motorsport-Karriere, die von 1961 bis 1964 dauerte, gerne bezeichnet wird – liege und ihr in die Eingeweiden schaue.
Es hat noch ein paar andere ältere Porsche, die ich jetzt in aller Ruhe betrachten kann. Ich habe ein paar Geschichtsbücher dabei, ich habe ja jetzt Musse und den perfekten Anschauungsunterricht, ich kann mich endlich einmal den 550ern widmen, einem 550 Spyder von 1954, dem ersten Porsche, der eigens für den Renneinsatz entwickelt worden war. Da lese ich dann von der Mille Miglia, bei der Hans Herrmann genau dieses Fahrzeug unter einer sich schliessenden – oder schon geschlossenen, die Bücher sind sich da nicht einig – Bahnschranke durchgezwängt hatte; Fahrer und Auto blieben auf jeden Fall unversehrt. Oder dieser wunderbare 550 A Spyder von 1956, je, genau der, von James Dean. Er war auf dem Weg zu einer Rennstrecke, als ihm ein anderer Autofahrer die Vorfahrt nahm. Ich mag auch den 356 B 1600 GS Carrera GTL Abarth von 1960, oder den 356 B 2000 GS Carrera GT von 1963, aufgrund seiner eigenartigen Form als «Dreikantschaber» bezeichnet; er war der letzte Porsche mit einer Alu-Karosse. Und dann sind da natürlich noch der 904 Carrera GTS, entworfen von Ferdinand Alexander Porsche und 1964 der erste Porsche mit einer Kunststoff-Karosserie, einer der schönsten Rennwagen aller Zeiten, und sein grösserer Bruder, der 906 Carrera 6 von 1966, das erste reine Rennfahrzeug von Porsche, 2 Liter Hubraum, 210 PS, 280 km/h schnell und Sieger der 50. Targa Florio.
Stundenlang könnte ich noch, aber irgendwann ist Schlafenszeit, es ist weit nach Mitternacht, als ich meine Auspuff-Konstruktions-Betrachtungen sowie die Geschichtstsudien beendet habe. Also begebe ich mich auf Wanderschaft. Zuerst versuche ich es einmal unter dem 962 C von 1987, mit dem Stuck/Bell/Holbert in Le Mans gewonnen hatten. Und unter, das ist durchaus buchstäblich zu verstehen, denn der 962er wurde im Porsche Museum an die Decke gehängt, um den Anpressdruck zu demonstrieren, den dieses Fahrzeug entwickelte. Doch dort ist mir dann doch unwohl, auch wenn ich um die Perfektion weiss, um die sich Porsche auch im Museum bemüht. Von einem Le-Mans-Sieger erschlagen werden im Schlaf, das muss ja dann auch nicht sein.
Bei den ganz Alten gefällt es mir auch nicht, und mich vor den wunderbaren Carrera RS 2.7 von 1973 zu legen, das ist irgendwie auch zu – gewöhnlich? Aber wunderschön ist er schon – ach, warum baut Porsche keine solchen Fahrzeuge mehr, klein, leicht, laut, schnell?
Ich kann es hier gestehen, ich wusste von Anfang an, neben welchem Fahrzeug ich schlafen würde. Meine liebsten Porsche waren immer die 917, die ab 1969 auf der Rennstrecke sämtliche Gegner in Grund und Boden fuhren, 1970 Porsche endlich auch den ersten Le-Mans-Sieg bescherten und in ihrer stärksten Version (917/30 von 1973) stolze 1200 PS stark waren. Wunderbare Fahrzeuge, alle, die Le-Mans-Sieger von 1970 und 1971 stehen da im Museum, besonders schön der 70er, weiss-rot lackiert, mit der Startnummer 23: im strömenden Regen hatten Hans Herrmann und Richard Attwood ihre Gegner in Grund und Boden gefahren.
Doch dann sah ich, zum ersten Mal: sie. Es war klar. Es ging gar nicht anders, wir mussten irgendwann zusammenkommen. Ich wusste, dass es sie gibt, ich musste sie nur noch finden: die Liebe meines Lebens. Und dann stand sie da, ganz ruhig, in ihrer Schönheit einmalig. Die kleine Nase, die lange Beine, um die Hüften schön weiblich – unvergleichlich. Einverstanden, ihr Teint war vielleicht etwas gar rosig, doch dann schielte sie mich aus ihren vier Augen an – und ich war verloren. Ach, du Sau: wie schön du bist, wie animalisch. Sau? Die «Sau» hat den Jahrgang 1971, wurde als 917/20 bezeichnet und war der Versuch von Porsche, die Vorteile von Kurz- und Langheck-917 zu verbinden; die Idee für die aussergewöhnliche Lackierung, eine Metzger-Tafel, wie die einzelnen Stücke eines Schweins heissen, stammte anscheinend vom späteren Porsche-Chefdesigner Anatole Lapine. Und dann liege ich so da, schräg hinter dem Auto, ich schaue von unten in den Motorraum, 12 Zylinder, 4,9 Liter Hubraum, etwa 600 PS – 360 km/h schnell soll «die Sau» in Le Mans gerannt sein. Auch «dicke Berta» genannt, gehört der 917/20 zu den wenigen 917er, die keinen Erfolg hatten – und irgendwie macht das «die Sau» noch sympathischer.
So ein Auto, auch wenn es im Museum steht, riecht relativ streng. Auch wenn da natürlich kein Benzin mehr im Tank ist – es riecht danach. Und auch nach Öl. Aber am meisten riecht es nach Gummi. Was daran liegen könnte, dass ich ich mein Ohr quasi an den rechten hinteren Reifen der «Sau» bette, um ihr besonders nahe zu sein. Ich weiss nicht, ob ich sie auch noch zu umarmen versuchte.
Mehr Porsche haben wir in unserem Archiv.
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