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Die Bentley Continental

Published in radical-mag.com

Reisegeschwindigkeit

Es war ja keine schöne Geschichte. Bentley hatte seit seiner Gründung 1919 wunderfeine Automobile gebaut, W.O. Bentley darf sicher als einer der grossen Namen der Automobilgeschichte bezeichnet werden. Die Rennerei war so ein bisschen sein Ding, in Le Mans gewannen die schnellsten Lastwagen der Welt, wie sie Ettore Bugatti bezeichnete, 1924 und dann gleich viermal hintereinander, von 1927 bis 1930. Doch dann wurde das Geld knapp, so knapp, dass Bentley an Napier verkaufen musste. Oder zumindest: wollte. 103’675 Pfund wollte Napier bezahlen, dies sollte vor Gericht besiegelt werden. Doch am 20. November 1931 platzierte während dieser öffentlichen Verhandlung ein völlig unbekanntes Unternehmen mit dem Namen «British Central Equitable Trust Limited» ein neues Gebot. Der Richter ordnete an, dass beide Parteien bis 16.30 Uhr Zeit hatten, ein letztes Gebot abzugeben – und der Trust war wieder höher als Napier. Wenige Tage später wurde Bentley an Rolls-Royce übergeben. W.O. Bentley war der Gelackmeierte, er blieb zwar noch im Unternehmen bis 1935, doch als Rolls-Royce ihm sein liebstes Spielzeug, die Rennwagen-Abteilung, wegnahm, hielt ihn nichts mehr. Er hat also eigentlich mit dieser Geschichte hier gar nichts mehr zu tun.

Nach dem 2. Weltkrieg kam dann zuerst der Mark VI, der zwar auf dem Rolls-Royce Silver Wraith basierte, aber noch so einigermassen selbständig stehen durfte. Es folgte ab 1952 der nur geringfügig veränderte R-Type, von dem es erstmals die so genannten Continental gab, etwas sportlichere Ableger – die Bezeichnung soll daher kommen, dass auf dem Festland, dem Kontinent, damals höhere Reisegeschwindigkeiten möglich waren als auf der Insel. Wobei: die Bezeichnung «Continental» geht wahrscheinlich auf einen Vortriebs-Bentley zurück, den berühmten «Embiricos», den Georges Paulin entwarf und der von Pourtout 1938 für den damals bekannten Sportler Andre Embiricos gebaut wurde. Das Fahrzeug, das auf einem 4 1/2 Litre Bentley basierte, brach damals mehre Geschwindigkeitsrekorde – und wurde auch als Vorbild für die R-Type verwendet. Wir können hier nur ein paar Bilder einer so genannten Recreation zeigen, aber man wird merken, weshalb genau dieser Bentley so legendär ist.

Der R-Type war der letzte Bentley, der sich sowohl im technischen wie auch stilistischen Bereich noch von den Rolls-Royce unterschied. Unter der Haube arbeitete der bewährte 4,5-Liter-Reihensechszylinder, dessen Hubraum 1954 auf 4,9 Liter erhöht wurde, was den Bentley dann wohl etwa 130 PS stark machte. Die meisten der 207 gebauten R-Type Continental verfügten über eine von Stanley Watts gezeichnete und von H.J. Muliner gebaute Ponton-Karosserie, ein schönes zweitüriges Coupé, das sich optisch am schon erwähnten «Embiricos»-Bentley sowie wohl auch nicht ganz zufällig am Cadillac Series 62 Coupé orientierte.

Es gab aber noch andere Aufbauten, bei Park Ward entstanden mindestens sechs Exemplare, eines davon offen, in der Schweiz kleidete Graber auch drei Stück ein – und sogar Pininfarina versuchte sich am Continental. Wir können hier noch eine Arbeit von Franay zeigen, von der wahrscheinlich fünf Stück entstanden.

1956 kam dann der S-Type, und der war dann eigentlich bis auf Kühlergrill, Insignien und einige Karosseriedetails identisch mit dem 1955 vorgestellten Rolls-Royce Silver Cloud. Und damit der erste Bentley, der kein Bentley mehr sein durfte. Als Motor diente weiterhin der bekannte Bentley-Sechszylinder, unterdessen bei 4887 cm3 Hubraum angelangt; Leistungsangaben gab es selbstverständlich keine (bei Rolls-Royce hiess es einst: genügend), doch man darf von etwas mehr als 130 PS ausgehen. Die Höchstgeschwindigkeit lag bei etwa 160 km/h, das war damals ganz flott für dieses riesige Trumm (nur die Cadillac waren schneller und komfortabler und trotzdem fahrdynamischer, aber das haben die Europäer bis heute nicht begriffen). Geschaltet wurde manuell über 4 Gänge (selten) oder dann über eine 4-Gang-Automatik (häufig). Die S1 (es gab ja dann später noch weitere S-Type) kamen mit zwei Radständen, 3,124 Meter sowie ab 1957 auch mit 3,226 Metern. Gesamtlänge: mindestens 5,4 Meter. Die Karosserie kam vom Werk, auf Wunsch baute Park Ward auch Cabrios – und es entstanden diverse Sonderaufbauten vom S1 von Graber, Hooper, James Young und auch H.J. Muliner.

Und dann gab es auch wieder einen Continental, der sechs Monate nach dem S1 eingeführt wurde. Hier gab es nur Sonderaufbauten, insgesamt 431 Stück (vom S1 entstanden stolze 3107 Stücker). Am bekanntesten ist sicher ein viertüriges Coupé von H.J. Muliner (unten gibt es aber den Fastback Saloon von 1957), doch auch Park Ward (oben, ein Drophead Coupé von 1956), James Young und Hooper konnten schöne Fahrzeuge liefern. Grossartige Unterschiede zum S1 gab es ansonsten nicht, doch die Bentley-Fans mussten einen Continental haben (auch heute noch…), denn der «normale» S1 war zu sehr ein Rolls-Royce. Und zu «normal».

Wir haben hier noch einen S1 Continental, diesmal ein Fixed Head Coupé von Park Ward, 1958. Alle Bilder stammen übrigens von RM Sotheby’s.

Der 1959 eingeführte Bentley S2 unterschied sich optisch nicht grossartig vom S1. Es gab ihn wieder als SWB (Radstand 3,124 Meter) und LWB (Radstand 3,226 Meter); es gab wieder eine Karosse ab Werk, doch man konnte den S2 ebenfalls wieder nur als Fahrgestell bestellen und dann einen Karossier seiner Wahl beauftragen, den Wagen einzukleiden. Wichtigste Neuerung beim S war folglich: der Motor. Wir machen hier erstmals Bekanntschaft mit dem legendären 6,2-Liter-V8 (wie ihn auch der gleichzeitig vorgestellte Rolls-Royce Silver Cloud II hatte). Der Motorblock (mit nassen Laufbuchsen) und die Zylinderköpfe des neuen Motors bestanden aus Aluminiumguss, die hängenden Ventile wurden über Hydrostössel von einer zentralen Nockenwelle betätigt. Leistungsangaben gab es weiterhin keine, aber so etwa 180 PS dürften es schon gewesen sein – genug jedenfalls, um auch die Nebenaggregate wie etwa die Klimaanlage und die jetzt serienmässige Servolenkung anzutreiben. Bentley sagte damals, dass 180 km/h Höchstgeschwindigkeit möglich seien, aber das war eher optimistisch.

Und wie beim S1 gab es auch vom S2 wieder eine Continental-Version. So richtig erklären lässt sich der Unterschied zwischen einem gewöhnlichen S2 und einem Continental nicht, ausser: den Conti gab es «nur» als Fahrgestell mit massgeschneiderten Aufbauten, den S2 gab es «auch» als Fahrgestell mit massgeschneiderten Aufbauten. Mehr PS oder ein dynamischer abgestimmtes Fahrwerk oder so, das sucht man vergebens. Egal: vom S2 wurden zwischen 1959 und 1962 genau 388 Exemplare ausgeliefert.

 Und es waren wieder die gleichen Verdächtigen wie beim S1 Continental, die den S2 Continental einkleideten. H.J. Mulliner erfand den «Flying Spur», einen hübschen Viertürer, von dem stolze 128 Exemplare abgesetzt werden konnten; es gab auch einen Zweitürer von H.J. Mulliner, mit Stufenheck, von dem auch 98 Stück verkauft wurden. Doch das wohl schönste Stück entstand bei Park Ward, ein wunderbar einfaches, aber sehr elegantes viersitziges Cabrio, das vom Norweger Vilhem Koren entworfen worden war. 125 Stück wurden gebaut, sie sind heute sehr begehrt – und die «chinese eyes», die schrägstehenden Doppelscheinwerfer, wurden zur Legende. Interessant dabei: Rolls-Royce kaufte H.J. Mulliner schon 1959 – und fusionierte das Traditionshaus 1961 dann mit Park Ward (schon seit 1939 im Besitz von Rolls-Royce). Es arbeiteten also alle in die gleiche Tasche – und manchmal auch ein bisschen gegeneinander.

James Young baute 40 Stück einer viertürigen Limo, und ein paar wenige Zweitürer, und dann waren da auch noch einige seltene Aufbauten von Hooper sowie des Schweizers Graber. Wir zeigen hier einen wunderschönen 61er S2 Continental von H.J. Mulliner. Die Contis vom S1 und S2 sind teuer geworden, aber da hat es wohl in Zukunft noch Potenzial gegen oben, ganz besonders für jene mit den selteneren Karosserieaufbauten. Mehr schöne Oldtimer haben wir in unserem Archiv.

Der Beitrag Die Bentley Continental erschien zuerst auf radicalmag.