Lamborghini Espada
Alleinstellungsmerkmal
Vielleicht war er einfach eine Strafaufgabe, der Lamborghini Espada. Heimlich, ohne das Wissen des grossen Patron Ferruccio Lamborghini, hatten Gian Paolo Dallara, Chefkonstrukteur, Paolo Stanzani, Produktionsleiter, und Bob Wallace, Testfahrer, 1965 ein Fahrzeug gebastelt, das absolut revolutionär war: den Miura (ja, kommt dann auch noch…). Ferruccio schlug seinen jungen Wilden den Wunsch nicht ab, der Miura kam 1966 auf den Markt und wird für immer das wunderbarste, wahnsinnigste, grossartigste Automobil sein und bleiben, das je in Sant’Agata gebaut wurde.
Doch im Herzen war Ferruccio Lamborghini mehr der Gentleman, mit Rennwagen hatte er gar nichts am Hut; er hatte sein Geld mit Traktoren gemacht, und ihm stand der Sinn mehr nach gepflegter Fortbewegung. Und wenn seine hochbegabte Truppe schon die Zeit fand, um in der Freizeit noch einen verkappten Rennwagen auf die Strasse zu bringen, dann würde sie auch die Musse haben, ihm seinen Traum vom grossen Coupé mit Platz für vier Personnen und ein bisschen Gepäck zu erfüllen. Den grossen, souveränen Reisewagen, von dem Ferruccio Lamborghini immer bedeutend intensiver geträumt hatte als von der ultimativen Fahrmaschine.
Wie begeistert Dallara und Stanzani vom Ansinnen ihres Chefs waren, das wissen wir nicht; Wallace kümmerte sich anscheinend nicht gross um das zukünftige Modell, sondern feilte lieber am Fahrverhalten des Miura. Weil die Zusammenarbeit mit Bertone beim Miura so gut geklappt hatte, wandte sich Sant’Agata wieder an das Studio in Grugliasco. Das heisst: dort war 1966/67 schon ein Fahrzeug entstanden, das den Espada vorwegnahm. Eigentlich waren es sogar zwei Fahrzeuge, der Bertone/Jaguar Pirana, auf Basis eines E-Type.
Und natürlich der Lamborghini Marzal. Dessen Geschichte wir schon ausführlich erzählt haben (den Link zu allen älteren Lamborghini-Stories gibt es weiter unten).
Wie auch immer, der endgültige Entwurf des genialen Marcello Gandini, der schon den Miura gezeichnet hatte, ähnelte dann mehr dem Pirana als dem Marzal. Gandini wollte unbedingt Flügeltüren wie beim Marzal, doch Ferruccio konnte damit gar nichts anfangen, der Espada sollte ja eine eher konservative Kundschaft bedienen (was man sich heute, bald 44 Jahre nach dem ersten Auftritt des Fahrzeugs am Genfer Salon 1968, gar nicht mehr so recht vorstellen kann), und so erhielt der Espada eine seiner Schwachstellen, die zu langen Türen. Es muss ein langer Kampf gewesen sein, wird erzählt, es sollen diverse Prototypen entstanden sein noch mit den Flügeltüren des Marzal sowie gemässigteren Varianten.
Doch Gandini zeichnete trotzdem wieder ein Werk für die Ewigkeit; unserer bescheidenen Meinung nach ist der Espada nach dem Islero der am meisten unterschätzte Lamborghini. Und der vielleicht schönste, unvergänglichste. Selbstverständlich ist ein Miura wilder, abartiger, aber der Espada, 4,74 Meter lang, 1,86 Meter breit und nur 1,19 Meter hoch, wirkt wie aus einem Guss, als ob der Stift des Zeichners – damals gab es noch keine Computer – nicht einmal stillgestanden hätte. Die Fensterflächen sind gross und grossartig, in einem Espada wird auch die Nacht zum Tag; die Heckscheibe dient als Kofferraumklappe (und schliesst leider oft nicht so recht). Ein Zusatz-Fensterchen, von aus dem Miura bekannten Stäbchen abgedeckt, setzt einen zusätzlichen Akzent und macht den Viersitzer zum Familien-Mitglied.
Die vier Sitze darf man als vollwertig bezeichnen, auch wenn der Zustieg auf die hinteren Ränge nicht ganz so locker ist. Ferruccio Lamborghini soll Bertone-Chefstylist Gandini beim Marzal noch mit folgenden Worten getadelt haben: «Die Beine einer Dame können nun von jedem gesehen werden.» Nun denn, beim Espada sieht der geneigte Betrachter auch bestens, ob die Dame denn wirklich eine Dame ist, wenn sie auf den hinteren Sitzen Platz nehmen muss. Der Radstand von 2,65 Metern lässt aber immerhin ein gewisses Mass an Beinfreiheit zu; um die Kopffreiheit ist es eher mässig bestellt. Eine Art Kofferraum ist vorhanden; unter einer Klappe liegt das Reserverad. Aber ein schlankes Gepäck konnte durchaus mitgeführt werden, und für den Transport von Bierkisten sollte man einen Espada, benannt nach dem Degen des Matadors, eh nicht unbedingt gebrauchen. Innen war der Lamborghini in seiner ersten Ausführung eher, sagen wir mal: etwas eigenartig. Die Sechsecke aus dem Marzal wurden zwar nicht 1:1 übernommen, aber die Designer von Bertone befanden sich Ende der 60er Jahre wohl gerade in ihrer kubistischen Phase.
Als Unterbau dient wie bei allen vorherigen Lamborghini auch beim Espada ein Rohrrahmen; der Motor wird beim Viersitzer relativ weit vorne eingebaut, für ein besseres Platzangebot, und er ruht zusammen mit der Achsaufhängung in einem Hilfsrahmen, der die ganze Geschichte vorne anständig stabilisiert. Die Räder (7J x 15, Pirelli Cinturato 205 VR 15) werden an doppelten Dreieckslenkern und Schraubenfedern geführt und mit Federbeinen gestützt. Es hat dann, später, auf Wunsch auch eine hydropneumatische Federung gegeben, genannt Lancomatic, doch irgendwie scheint diese nicht sehr häufig bestellt worden zu sein, es wird auf jeden Fall nie ein Espada mit diesem System zum Verkauf angeboten (wir wären, wenn denn jemand hätte, interessiert an weiteren Infos). Die Lenkung kam von ZF, Kugelumlauf (anfangs sogar noch ohne Servo), die Scheibenbremsen kamen üblich von Girling (vorne 30 Zentimeter, hinten 28 Zentimeter).
Der Motor des Espada, der ist bekannt, die Weiterentwicklung des Bizzarrini-Aggregats aus den früheren Lamborghini, er entsprach jenem des Islero, der gleichzeitig mit dem Espada auf dem Genfer Salon 1968 vorgestellt wurde. Also dieser wunderbare Alu-V12 mit vier Liter Hubraum, mit seitlich angebrachten Doppel-Weber-Vergasern und einer im Vergleich zum Miura konventionellen Ölwanne, Verdichtung 9,5:1, 325 PS bei 6500/min, ein maximales Drehmoment von 374 Nm bei 4500/min. Geschaltet wurde über das hauseigene manuelle 5-Gang-Getriebe. Die Fahrleistungen waren für jene Jahre grossartig, den Sprint von 0 auf 100 km/h schaffte der Espada, intern Tipo 108 genannt, in 6,5 Sekunden, die Höchstgeschwindigkeit lag bei 245 km/h. Der Espada galt zwar als konventionell, doch er hatte keine Schwächen, war schnell, schön, und viele Journalisten lobten ihn als bestes Auto seiner Klasse (wohl auch deshalb, weil er in seinem Segment ziemlich alleine stand).
Die erste Serie des Espada 400 GT wurde von 1968 bis 1970 gebaut, 186 Exemplare wurden produziert. Diese S1 sind heute sehr gesucht – obwohl sie qualitativ nicht komplett zu überzeugen vermochten. 1970 wurde die zweite Serie nachgereicht, S2 oder GTE genannt, mit neu 350 PS. Auch sonst wurde am S2 fleissig gearbeitet, das im S1 noch eher futuristische Innenleben wurde geglättet, vereinfacht, der Unterboden wurde leicht abgesenkt, damit die Kopffreiheit etwas grösser werden konnte, auf Wunsch war jetzt auch eine Servolenkung zu haben. Zwischen 1970 und 1973 konnten vom S2 stolze 575 Stück abgesetzt werden; der Espada war längst zum kommerziell erfolgreichsten Lamborghini geworden. 1973 wurde noch einmal gebastelt, die ZF-Lenkung war nun hydraulisch, das Interieur endlich anständig, und auf Wunsch gab es auch eine 3-Gang-Automatik von Chrysler (mit den Fahrstufen: 1, D, R), die aber nur gerade sieben Mal bestellt wurde. Vom S3 wurden bis 1978 (oder auch 1980) noch 463 Exemplare verkauft. Es heisst, Bertone habe ab Mitte der 70er Jahre auch noch an einem viertürigen Espada gearbeitet.
Ach ja, der Espada bleibt eine der günstigsten Möglichkeiten, einen Lamborghini zu fahren, es gibt weiterhin gute Exemplare, die nicht einmal sechsstellig kosten. Irgendwie unverständlich, dass die Espada nicht höher geschätzt werden, hey, Lamborghini, V12, Gandini-Design, was will man denn mehr?
Mehr Lamborghini haben wir in unserem Archiv. Dort gibt es auch die Vorgeschichte:
Lamborghini 350 GTV.
Lamborghini 350/400 GT.
Lamborghini Islero.
Lamborghini Marzal.
Der Beitrag Lamborghini Espada erschien zuerst auf radicalmag.