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Mondial de l’Automobile 2016

Published in radical-mag.com

Stimmungsbild

Es ist wie immer viel los in Paris. Bloss: Nur in der Stadt, nicht auf der Messe. Viele Hersteller sind gleich gar nicht gekommen. Ford etwa, Volvo, auch Mazda. Aber auch Bentley, Rolls-Royce oder Lamborghini. Eine Ausstellung mache keinen Sinn mehr, produziere im Verhältnis zu viele Kosten und man erreiche den Kunden heutzutage auch anderen Kanälen besser.

Recht haben sie. Wenn Livestreams von Weltpremieren und Pressekonferenzen dich daheim am Computer in die erste Reihe setzen, man Bild- und Informationsmaterial sowieso schon Wochen vorab in die Öffentlichkeit getickert hat, dann bleibt wirklich keine Notwendigkeit mehr vor Ort zu sein. Zumal das Internet daheim zuverlässiger und schneller arbeitet, die Steckdose stets frei ist und der Kaffee ohne lange Wartezeit jederzeit in die Tasse läuft. Es gibt dann aber doch einen Grund, weshalb sich einer von uns das Getümmel dann doch immer antut: die Stimmung.

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Papier und Präsentationen, pardon: keynotes, sind bekanntlich geduldig. Die Animationen und Werbefilmchen meist unfassbar aufwendig produziert, die technischen Daten atemberaubend und die Studien hochglänzend. Doch was dahinter passiert, wie es bei den Besuchern ankommt, wie sich der Rest der Marke präsentiert und vor allem positioniert – das kann man eben nur vor Ort spüren, wenn man sich ein bisschen Zeit nimmt, spazieren geht, beobachtet und auf sich wirken lässt. So zeigt sich der Salon in Paris dieses Jahr von einer sehr zwiespältigen Seite.

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Was haben die Grossen doch für eine Revolution angekündigt. Das neue, grosse grosse Ding der Mobilität – Ideen, Visionen, Wahnsinn. Ein digitaler Fortriss in die Moderne, weg vom alten stinkenden Mief.

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Allen voran Mercedes, «se fjudschör» ist die neue Gebetsmühle vom schwäbischen Schnauzbartträger Zetsche, mit der Generation EQ werden die Schwaben alles revolutionieren, vernetzen, cloudbasieren und überhaupt. Am Ende steht ein hochbeiniges Etwas am Stand, das von schräg hinten wie eine Mischung aus Renault Talisman und Porsche Macan aussieht und vorne gleich gar kein eigenes Gesicht bekam. Basieren soll es auf dem GLC, den Innenraum der neuen A-Klasse vorwegnehmen und natürlich mit Reichweite wie Leistung bei völliger Emissionsfreiheit glänzen. Nur es ist eben bloss ein Konzept. Irgendwas für die Zukunft. Vielleicht 2018. Oder aber erst 2019? Ansonsten gibt es: nichts. Nur warme Worte, ein nettes Lächeln und eben die unglaublich souverän machende Gewissheit, dass sie im Moment mit ihren herkömmlichen Verbrennern soviel Kohle scheffeln wie nie.

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„se fjudschör“? Gerne. Aber erst irgendwann, wenn sie die Kuh fertig gemolken haben.

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Es geht dann schon soweit, dass die Stern-Entourage beim obligatorischen Rundgang ganz offen und unverhohlen die Designsackgassen der Konkurrenz verhöhnt. Das haben wir in dieser Form noch nicht erlebt – auch wenn die Kritik in unseren Augen vielleicht berechtigt erscheinen mag – aber es zeigt doch, dass man vielleicht auf einem gefährlich hohen Ross sitzt. Zumal wirkliche Innovation auch in Stuttgart nur in einer Ideenwelt stattfand, nicht auf der Strasse und damit für den Kunden erwerbbar.

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Das gleiche Problem trifft Volkswagen. Bei all den anderen Problemen, mit denen man in Wolfsburg derzeit zu kämpfen hat. Mit grösster Spannung wurde das neue, den Dieselskandal #wastegate vergessen machende Elektroauto erwartet, stattdessen gab es: ID. Ein ähnlich generisch dreinschauendes Vehikel wie der Mercedes EQ. Technische Daten interessieren tatsächlich wenig, denn sie sind zum Markstart 2020 und bei der Autonomisierung in 2025 wahrscheinlich massiv überholt.

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Daneben steht ein e-Golf mit nun 300 Kilometer Zyklus-Reichweite, also gerade einmal 200 realen Strassenkilometern und ein e-up!, dem man zwar das neue Gesicht verpasst hat, die Technik aber gleich auf dem Stand von 2012 beliess. Glückwunsch! So geht Fortschritt, so kommt man aus der Krise und so schafft man beim Kunden, der heute ratlos vor seinem TDI steht, neues Vertrauen. Ein Trauerspiel, wirklich. Wir hatten viel erwartet von VW. Bei den anderen Konzernmarken war es noch schlimmer. In Ingolstadt findet moderne Antriebstechnik gleich gar nicht statt. Man zeigt stattdessen einen Q5, den nur Experten vom Vorgänger unterscheiden können und 400PS-starke Kompaktwagen. Seat: nichts. Skoda: nichts.

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Bei BMW lackieren sie den i8 nun immerhin in einer neuen Farbe, der i3 bekommt einen stärkeren Akku, aber daneben macht sich ebenfalls Ratlosigkeit breit. Was haben sie damals Geld in die Hand genommen für ihre i-Baureihen. Tolle Konzepte auf die Strasse gebracht mit feiner Technik und grossem Potenzial. Nun fehlt irgendwie der Mut. In die Breite schaffen sie es nicht, die Plugin-Modelle wirken allenfalls halbherzig und so richtig schafft man es nicht die Technologie-Führerschafft von i3 und i8 in all die 2er, 3er und 5er zu packen. Ebenfalls: schade!

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Daneben war bei Opel die Hölle los. Der Ampera E, oder Amperä – ganz wie man mag – war einer der Stars in Paris. 500 Kilometer elektrische Reichweite nach Norm bei bezahlbaren Preisen und (wirklich!) sofortiger Verfügbarkeit. Natürlich merkt man beim Styling und der Bedienung, dass es sich hier um einen Ami handelt, aber es ist weniger schlimm als beim Vorgänger und so wird der neue mit dem sperrigen Namen seinen Weg machen. Bei denen, die elektrisch fahren wollen.

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Heimlicher Sieger in Paris aber war der Renault Zoe. Heimlich still und leise haben sie seinen Akku bei gleichbleibender Grösse auf 41kWh Kapazität aufgestockt und sorgen so für 400 NEFZ-Kilometer. Am Tacho des augenscheinlich unter eigener Kraft vorgefahrenen Ausstellers zeigten sich dann 300km Reichweite, was angesichts der Preisklasse immer noch eine kleine Sensation ist. Denn: er kostet kaum 25’000 Euro.

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Es geht also mit der Elektromobilität. Wenn man denn will. Und es geht heute. Der Rundgang in Paris hat aber deutlich gezeigt, dass man mit herkömmlicher 08/15-Technik einfach noch viel mehr Geld verdienen kann. Und augenscheinlich will. Die Versuche, das mit hochtrabenden Visionen zu kaschieren, ist leider nicht gelungen.

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Wir danken Fabian Mechtel.

Der Beitrag Mondial de l’Automobile 2016 erschien zuerst auf radicalmag.