Die Lincoln-Continental-Story
Luft nach oben
Es ist wieder eine dieser Geschichten, wie sie nur das pralle Leben schreiben kann. Henry M. Leland, geboren 1843, war einer dieser amerikanischen Pioniere mit Rauschebart, die Grossartiges vollbrachten, aber trotzdem immer wieder scheiterten. Leland hatte beim Pistolen-Hersteller Colt als Mechaniker gearbeitet – und er begann schon um 1870 an einem ersten Motor zu arbeiten. Dieses Aggregat sollte später das erste einigermassen erfolgreiche amerikanische Automobil antreiben, den ab 1901 gebauten Oldsmobile Dashed Curve. Den gleichen Einzylinder-Motor brachte er 1902 auch zur Henry Ford Company. Doch die beiden Henry hatten bald Ärger miteinander, Ford verliess seine eigene Firma (und erhielt dafür 900 Dollar), Leland baute seinen Einzylinder in das von Ford entwickelte Auto ein – und nannte die Firma ab sofort Cadillac.
Cadillac war das Beste, was es in dieser Frühzeit des Automobils in den USA zu kaufen gab. Das wusste auch William C. Durant, der 1908 das Konglomerat General Motors gegründet hatte: am 29. Juli 1909 kaufte Durant Leland Cadillac für 4,5 Millionen Dollar ab. Leland blieb noch bei Cadillac bis 1915, dann verliess er sein eigenes Werk im Grimm, denn er wollte für die amerikanische Armee Flugzeug-Motoren bauen, doch Durant war ein strikter Pazifist und verweigerte Leland dieses Projekt. Leland trieb 10 Millionen Dollar auf, gründete eine neue Firma, die Lincoln Motor Company, und baute die V12-Liberty-Motoren. Nach dem 1. Weltkrieg stellte er sofort um auf die Herstellung von luxuriösen Automobilen – und hatte nicht ganz den Erfolg, den er erwartet hatte. 1922 war Lincoln insolvent – und die Ford Motor Company war zur Stelle. Henry Ford, der sich nur zu gut an Lelands Rolle im Jahr 1920 erinnerte, bot 5 Millionen Dollar für das Unternehmen, das mindestens 16 Millionen Wert hatte allein mit seinen Produktionsanlagen und Immobilien; ein Richter verfügte, dass Ford 8 Millionen zu bezahlen hatte. Am 4. Februar 1922 wurden die Verträge unterschrieben.
Henry M. Leland und sein Sohn Wilfried blieben bei Lincoln, im Glauben, weiterhin das Sagen zu haben. Doch schon wenige Monate später, am 10. Juni 1922, liess Henry Ford Henry Leland und seinen Sohn aus der Fabrik werfen. Die Lelands zogen sich verbittert aus dem Automobil-Geschäft zurück, Henry M. Leland, einer der grossen Pioniere des Automobils, der viele entscheidende Erfindungen gemacht hatte, starb 1932 im Alter von 89 Jahren. Lincoln blieb unabhängig bis 1940, dann wurde das Unternehmen endgültig in die Ford Motor Company eingegliedert.
Lincoln war immer das Aushängeschild von Ford (und soll es auch wieder werden). Es wurden grossartige Automobile konstruiert, der Chef von Lincoln war Edsel Ford, ein Mann mit einem sicheren Gespür für grossartiges Design; er stellte auch Eugene T. Gregoire ein, einen der wichtigsten Designer der 30er Jahre. Gemeinsam entwickelten sie den Zephyr, der über eine stromlinienförmige sowie selbsttragende Karosserie verfügte. Auf diesem Zephyr baute dann auch ein neues Modell auf, das Edsel Ford als persönliches Einzelstück für seinen Florida-Urlaub bei Gregoire bestellte hatte und das dieser, sagt man, in nur einer Stunde gezeichnet haben soll: der Continental. Zwar konnte man den Zephyr in diesem Anfang 1939 erstellten One-Off noch bestens erkennen, doch er zeigte auch klare Merkmale der zukünftige Conti-Reihe, den fast völligen Verzicht auf Chrom etwa, die bedeutend tiefer liegende Motorhaube, und vor allem die hinten angepappten, verkleideten Ersatzräder, die als Continental-Kit in die Geschichte eingehen sollte.
Edsel zeigte den Conti bei seinen Freunden und Bekannten im Florida rum – und kabelte nach Detroit, dass sofort 5000 Stück gebaut werden sollten. Ganz so schnell ging das dann allerdings nicht, 1939 wurden noch etwa zwei Dutzend in Handarbeit zusammengebastelt, 1940 dann wohl etwa 400, doch dann kam der 2. Weltkrieg, und damit war dann mal Sendepause in der Continental-Geschichte. Ab 1946 wurde die Produktion wieder aufgenommen, bis 1948 wurde der Continental quasi unverändert weiter gebaut – und er sollte damit zum letzten amerikanischen Automobil mit V12-Motor werden.
Es dauerte bis 1952, bis der Name Continental wieder auftauchte. Und zwar gleich als eigenständige Marke, noch oberhalb von Lincoln angesiedelt: es dauerte aber bis 1955, bis das erste Automobil dieser jüngsten Ford-Tochter vorgestellt wurde, für den Modelljahrgang 1956. Doch das lange Warten hatte sich gelohnt: der Continental Mark II war sicher das aussergewöhnlichste Fahrzeug, das damals in den USA gebaut wurde. Er basierte nicht auf einem anderen Ford-Modell, er musste auch kaum Teile teilen, sondern wurde fast komplett in Handarbeit erstellt, unter für die damalige Zeit extremen Qualitätsvorgaben. Mit dem Continental wollte Ford nicht einfach nur Konkurrent Cadillac in den Schatten stellen, sondern zu den ganz grossen Namen aufschliessen, Rolls-Royce war etwa ein Name, der immer wieder gerne genannt wurde.
Mit einem Preis von 10’000 Dollar befand sich der Mark II auch tatsächlich auf Augenhöhe mit den Engländern; einen «profanen» Ford gab es 1956 schon ab etwa 1600 Dollar. Gebaut wurden vom Continental Mark II von den Modelljährgängen 1956/57 2996 Stück; davon wurden zwei Exemplare als Cabrios ausgeliefert. Die Ford-Händler hatten genau Vorgaben, an welche Art von Kundschaft der Conti abgegeben werden durfte – Frank Sinatra hatte einen, Elvis Presley, Nelson Rockefeller und auch Henry Kissinger. Und trotzdem verlor Ford mit jedem gebauten Continental Mark II Geld, genau wie Cadillac mit seinem Eldorado Brougham. Unter der Haube arbeitete ein 6-Liter-V8, der so genannte Y-Block.
Schon 1958 kam der Continental Mark III auf den Markt, und bereits änderte Ford wieder die Strategie. Zwar blieb Continental vorerst noch eine eigene Marke, doch der Mark III basierte nun wieder auf den üblichen Lincoln-Modellen, mit besserer Ausstattung und anderen Dachlinien; auch mit der Handarbeit war es bereits wieder vorbei. Das lag auch daran, dass die neuen Contis in der neuen Fabrik in Wixom gebaut wurden, und eine komplett neue Plattform hatten, den so genannten «Unibody», eine Art selbsttragender Karosserie. Der Continental Mark III, angetrieben von einem 7-Liter-V8, geschaltet über eine 3.Gang-Automatik, war ein gewaltiges Gefährt, 5,82 Meter lang, 2,04 Meter breit; der Radstand betrug 3,33 Meter. 1959 kam der Mark IV, 1960 dann der Mark V, doch diese Modelle wiesen ausser bei der Namensgebung kaum Verbesserungen gegenüber dem Mark III auf; Lincoln/Continental soll allein von 1958 bis 1960 60 Millionen Dollar verloren haben, was so einiges über den Erfolg der Marke Continental aussagt.
Mit dem Modell-Jahrgang 1961 begann die Geschichte von Lincoln quasi von vorne. Es gab keine Schwester namens Continental mehr, die Begriffe Lincoln und Continental durften wieder zusammengehören, und überhaupt rückte Lincoln wieder näher zu Ford. Sehr nahe eigentlich, denn es wurden nicht bloss die bisherigen Modell-Linien Capri und Premiere gekappt – das Fahrzeug, das 1961 als Lincoln Continental (ohne «Mark»-Zusatz) auf den Markt kam, hätte eigentlich das 58er-Modell vom Ford Thunderbird sein sollen. Das Design stammte von Elwood Engel, wurde ein bisschen gestreckt (längerer Radstand, vier statt nur zwei Türen) – und schon war eines der grossartigsten Automobile aller Zeiten fertig.
Man muss das schon im richtigen Zusammenhang sehen. Der Modelljahrgang 1959 von General Motors hatte die grössten, wahnsinnigsten Heckflossen aller Zeiten hervorgebracht, nie waren sie höher (Cadillac), nie waren sie breiter (Chevrolet Impala). Und GM hatte Erfolg mit dieser Art von Design, das von Harley Earl stammte – so viel Erfolg, dass allen anderen amerikanischen Marken nur das Nachsehen blieb. Elwood Engel hatte schon früher Gegensteuer geben wollen, das schon mit dem Entwurf für den 58er Thunderbird ausgedrückt, doch er konnte sich zuerst nicht durchsetzen. Als sein Vorschlag dann für den Lincoln-Modelljahrgang 1961 angenommen wurde, war Engel schon auf dem Weg zu Chrysler, wo er in den 60er Jahren als Chefdesigner grosse Erfolge feierte. Noch ein anderer grosser Name des Ford-Designs hat übrigens an der 4. Conti-Generation mitgearbeitet, John Najjar, der später den Mustang zeichnete.
Wie auch immer: der neue Lincoln Continental von 1961 war ein ganz, ganz grosser Wurf. Das komplette Gegenteil der GM-Absurditäten, mit glatten, grosszügigen Flächen, praktisch chromfrei. Das war in jenen Jahren sehr gewagt – und machte den Conti zum Erfolg. 25’160 Exemplare wurden vom 61er Jahrgang verkauft – das darf man als grossartig bezeichnen, denn günstig war der Lincoln beim besten Willen nicht. Und weil mindestens 2,2 Tonnen schwer war, war er trotz des anfangs eingesetzten 7-Liter-V8 auch nicht übermotorisiert; die ärgsten Konkurrenten von Cadillac waren sowohl leichter wie auch stärker. Doch für den Conti sprach noch ein Verkaufsargument: er war das erste amerikanische Produkt, das mit einer so genannten «bumper-to-bumper»-Garantie über 2 Jahre oder 24’000 Meilen angeboten wurde. Man war bei der Lincoln-Mercury-Division, die den Continental herstellte, schon sehr überzeugt von seiner Qualität.
Aber der neue Continental sah einfach phänomenal aus. Eines seiner wichtigsten Merkmale, auch optisch, waren sicher die so genannten «suicide doors», die hinteren Türen, die hinten angeschlagen waren. Und diese Türkonstruktion gab es sowohl beim Sedan wie auch beim Cabrio – dem ersten viertürigen Cabrio, übrigens, das nach dem 2. Weltkrieg in den USA auf den Markt kam (ok, da gab es 1951 den Frazer Manhattan, doch den kennt ja eh niemand). Es war dies ein sehr komplexes Teil, dieses Cabrio, die Seitenscheiben liessen sich komplett versenken (damals noch nicht Usus) – und nicht nur die hinteren Türen waren hinten angeschlagen, sondern auch die Kofferraum-Klappe. Das war deshalb notwendig, weil sich sonst das Dach, eine Konstruktion, die sich der Conti mit dem Thunderbird teilte, nicht verstauen liess. Die Konstruktion des Dachaufbaus ging auf den Ford Fairline 500 Skyliner Retractable zurück, dessen in Zusammenarbeit mit Flugzeugkonstrukteur Lockheed konstruiertes Metalldach man als Vorläufer des heutigen Metalldach-Cabrios sehen darf (und ja, wir wissen, dass Peugeot noch früher war). Das Öffnen und Schliessen des Dachs war ein sehr spektakulärer Vorgang, ganz grosses Kino.
Ein gutes Zeichen für die hohe Kundenakzeptanz war auch, dass der Engel-Entwurf bis zum Modelljahrgang 1969 quasi unverändert beibehalten wurde; das war aussergewöhnlich in den USA, GM veränderte seine Modelle alle zwei Jahre massiv. Doch bei Lincoln hatte man Erfolg mit dieser Taktik, 1962 gab es einen einfacheren Grill vorne: 31’061 Stück wurden verkauft. 1963 gab es bessere Sitze vorne und weitere Verbesserungen im Detail: 31’233 Stück wurden verkauft. 1964 wurde der Radstand um 7,6 Zentimeter verlängert, damit die hinteren Passagiere mehr Platz hatten, das Armaturenbrett modernisiert: die Verkaufszahlen stiegen auf 36’297 Exemplare. 1965 wurden die Scheibenbremsen eingeführt, Sicherheitsgurten waren nun Standard: 40’180 Stück konnten abgesetzt werden.
1966 gab es dann es tiefgreifendere Verbesserung. Der Hubraum wurde von 7 auf 7,6 Liter erhöht, es gab ein neues Interieur sowie eine zweitürige Version (noch speziell bei einem Fahrzeug, das jetzt 5,61 Meter mass). Und die Verkaufszahlen stiegen auf 54’755 Stück. Die 67er Contis waren beinahe gleich wie die 66er, es war dies das letzte Jahr der Produktion des viertürigen Cabrios (das mit 2497 Kilo wohl auch das schwerste Cabrio der Welt war), und erstmals sanken die Verkaufszahlen wieder, noch 45’667 Exemplare konnten verkauft werden. 1968 gab es zwar einen neuen Motor, einen 7,5-Liter-V8, doch weil bei Ford noch so viele 7,6-Liter-V8 herumstanden, war die neue Maschine nur inoffiziell im Angebot. Doch im April 1968 wurde auch das neue Modell vorgestellt, etwas verwirrlich Continental Mark III genannt, das Ende des schönsten Continental aller Zeiten war absehbar. 1968 wurden aber trotzdem noch 39’134 Stück verkauft, und 1969 auch noch 38’383 Exemplare (plus bereits 30’858 Stück vom neuen Mark III). In diesem letzten Produktionsjahr gab es erstmals noch als Sonderausstattung den «Town Car» (für 249 Dollar Aufpreis), eine Bezeichnung, die sich bei Lincoln in den nächsten Jahrzehnten für die Top-Ausführung einbürgern sollte.
Ein Lincoln Continental erreichte traurige Berühmtheit, das Fahrzeug, das als SS-100-X in die Geschichte einging. In diesem Fahrzeug, Jahrgang 61, von den Spezialisten Hess & Eisenhart umgebaut, wurde am 22. November 1963 John F. Kennedy ermordet; das Fahrzeug steht unterdessen im Henry Ford Museum. Heute sind vor allem die frühen Convertibles – Basis von SS-100-X war übrigens auch ein Cabrio – des Continental sehr gesucht, da werden auch schon sechsstellige Dollar-Beträge dafür bezahlt. Aber auch die gewöhnlicheren Contis sind für amerikanische Gebrauchtwagen eher teuer, unter 50’000 Franken geht schon lange nichts mehr.
Mehr Ford (und andere schöne amerikanische Klassiker) gibt es in unserem Archiv. Und dort findet sich auch der neue Lincoln Continental.
Der Beitrag Die Lincoln-Continental-Story erschien zuerst auf radicalmag.