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Sehr geehrter Herr Stadler

Published in radical-mag.com

(Offener Brief vom 13. Mai 2014)

zuerst einmal möchte ich Ihnen ganz herzlich gratulieren zum grossartigen Erfolg von Audi. Gefühlt jedes zweite Automobil, das in den geschwindigkeitsbeschränkten Abschnitten auf der Autobahn hinten eindeutig zu nah aufschliesst, ist eines der Ihren. Das ist grossartig, Sie haben eine tolle Kundschaft, und auch all die Milliarden Euro, die bei Audi auf der Haben-Seite liegenblieben dank der Gleichteile-Strategie mit Skoda, sind ein wirklich feiner Verdienst.

Trotzdem möchte ich Ihnen einen Rat geben: Leihen Sie sich einmal für zwei, drei Tage einen Alfa Romeo 4C aus. Das dürfte für Sie kein Problem darstellen, Ihre oberste Chefin fährt, ok, besitzt ja das eine oder andere Produkt der schönsten Tochter des Mutter-Konzerns von Alfa, da wird sich sicher etwas richten lassen.

Wahrscheinlich werden Sie gleich in Ohnmacht fallen, wenn Sie den Alfa von aussen betrachten. Ja, es ist schade, dass da die Spaltmasse nicht so aufs Millimeterlein stimmen wie bei Ihren Produkten, ohja, das Automobil wäre (noch) schöner, wenn die einzelnen Linien so richtig sauber geführt wären, die Teile zueinander passen würden. Und doch, dann kann man auch einen Schritt zurückgehen, nicht am Detail kritteln, sondern das von Walser propagierte Grosseganze zu sehen versuchen, und dann ist da: Sex. Jener ohne Blümchen. Nicht quick. Aber dafür richtig dirty. Das geht ans Herz und direkt in die Hose und auch noch ans Händchen; man möchte ihn berühren, den Alfa.

Der 4C hat einen Spurhalte-Assi. In Form des Lenkrads. Er hat auch einen Regensensor. Indem der Fahrer da rechts an einem Schalter rumfummelt, schneller, langsamer, gar nicht. Er hat einen Tempomaten, der heisst Gasfuss, und er hat auch einen Abstandsradar, nämlich die Augen des Piloten in Zusammenarbeit mit der Bremse. Das Licht des Alfa ist Schrott, aber die so unendlich aufwendigen Laternen bei Ihren Audi sieht ja eh niemand, weil die Piloten Ihrer Fahrzeuge immer so nah auffahren (in den geschwindigkeitsbeschränkten Bereichen zumindest, oder hatten wir das schon?). Und ja, ich gebe zu: hätte der Italiener auch so ein feines Doppelkupplungsgetriebe, wie es der Volkswagen-Konzern in die Seat und Skoda und Audi verbaut, dann wäre er noch grossartiger. Hat er aber nicht. Und wissen Sie was? Es trübt die Fahrfreude ungefähr eine Zehntelsekunde, höchstens.

Der Alfa ist schon laut, wenn er nur parkiert. Den Nachbarn fallen die Plomben aus dem Gebiss, wenn man die Kiste startet. Er röhrt und stottert und knallt und lärmt, er saugt viel Luft und bläst sie irgendwie unkontrolliert von sich, er macht unnötige Geräusche; er ist ein Krawallbruder. Und oberhalb von 5000/min ist so ein bisschen, als ob man einem von Flöhen geplagten Strassenköter in die Weichteile tritt, AC/DC meets schlecht gelaunte Celtic Frost – und es ist einfach nur: gut. Weil: ehrlich. 4-Zylinder-Turbo können keinen anständigen Lärm machen? Falsch. Sie können. Wenn man nur will. Und keine Sound-Aktuatoren verbaut.

Was will ich Ihnen mit diesen Zeilen eigentlich mitteilen? Also: werfen Sie den neuen TT weg. Schaufeln Sie MQB ein Grab – und beginnen Sie von vorne. Der TT trägt sowieso nur Promille bei zu Ihrem gewaltigen Konzerngewinn, auf die können Sie getrost verzichten. Aber der TT könnte, müsste doch ein Imageträger sein für Ihre Marke. Kein dickes Schwein mit Retro-Zitaten und dem ewig gleichen 2-Liter-TFSI, der uns in seiner linearen Kraftentwicklung nicht bloss langweilt, sondern unterdessen nach Golf, Golf GTI, Golf R, Octavia RS, Ibiza tralala und auch Cupra soundso, S1, A3, S3 und washabenwirnochvergessen schlicht und einfach: ankotzt. Charakter, werter Herr Stadler, bauen Sie bitte wieder einmal oder endlich einmal ein Auto mit Charakter. Nicht Lifestyle, sondern: Haltung. Haben Sie Mut, bitte haben Sie endlich einmal: balls. Cojones. Dicke Eier. Nicht nur an Ostern.

Alfa hat den 4C aus dem Nichts geschaffen. Keine Leichtbauerfahrungen wie Audi seit bald Jahrzehnten – und jetzt 895 Kilo. Das ist nix italienische Messung, sondern: DIN. Der letzte Mittelmotor-Alfa war der 33er, also: der Rennwagen, in den 70ern, also: Neuland für die Italos. Das geht. Das ist möglich. Erst recht dann, wenn man über die Ressourcen verfügt, die finanziellen wie auch personellen, wie Sie es können. Allrad? Für Tussis. Ja, durchaus möglich, dass Sie ohne «quattro» sieben Stücker weltweit weniger verkaufen, weil die Millionärsgattin in South Carolina ein bisserl überfordert ist, weil die Bald-hab-ich-dann-ein-Coming-Out-Hipster sich erschrecken könnten, aber – so what? Das letzte «geile» Auto, das Audi gebaut hat, war der – keine Ahnung, war wohl der Ur-quattro. Aber vielleicht wäre es an der Zeit, dass aus Ingolstadt wieder einmal ein Automobil kommt, das nichts mit «habenmüssen» in gewissen wohlbetuchten Schichten, sondern endlich einmal mit «habenwollen» unter den Vollgas-Freaks zu tun hat? Ihre Controller können ja unterdessen Ausflüge machen mit ihren auf den A4-Diesel-Avant gepackten Fahrrädern.

Und dann: fahren Sie den 4C mal aus. Sie werden ein nervöses, fieses Teil erleben, das den Fahrer jede Sekunde des Weges fordert. Man will mit ihm nicht von München nach Hamburg fahren, dafür ist er zu laut, zu grob, zu aktiv, man würde schweissgebadet ankommen. Doch dafür will man am Sonntagmorgen um 5 aufstehen, zwei, drei Pässe fressen, sich dann unter die Dusche stellen – und der Familie bestens gelaunt das Frühstück servieren. Ja, ich weiss, es gibt in Ihrem Mutterkonzern auch eine Marke, die solche Fahrzeuge baut, die können Sie sich vielleicht auch leisten, aber der Alfa ist halt viel günstiger. Und um genau so viel auch: geiler. Und ganz sicher nicht langsamer als so ein Cayman. Ausser vielleicht von Hamburg nach München. Aber da, wo die Fahrfreude lebt, da ist er grossartig. Derzeit einzigartig. Ihr TT dagegen wird die perfektionierte Schlaftablette.

In diesem Sinne verbleibe ich gerne mit freundlichen Grüssen, Peter Ruch (damals veröffentlich bei ps.welt.de, gibt es leider nicht mehr. Wie ja auch Herr Stadler bei Audi nichts mehr zu entscheiden hat.)

Der Beitrag Sehr geehrter Herr Stadler erschien zuerst auf radicalmag.