Maserati MC20
Das Herz, das Blut
Es sei der totale Stillstand gewesen in Modena, hört man aus selbstverständlich sehr gut informierten Quellen. Drei Monate lang waren im italienischen Corona-Frühling die Verkäufe von Maserati um 99,9 Prozent zurückgegangen; dass es nicht 100 Prozent waren, lag einzig und allein an statistischen Vorgaben, verkauft haben die Italiener während des Lockdown nämlich kein einziges Stück. Eine ganz schwierige Zeit, denn eigentlich wollte Maserati in dieser Zeit ein neues Werk einrichten, sich selber neu aufbauen, ein ganz neues Modell lancieren (den MC20, um den es hier geht), seine Palette ausbauen (die Trofeo, die wir schon beschrieben haben, hier) – und intensiv die Elektrifizierung der Marke vorantreiben. Da wird so einiges kommen, der MC20, den wir hier vorstellen, wird auch noch rein elektrisch werden, die Nachfolger von Gran Turismo/Gran Cabrio ebenfalls. Und das alles auch noch: bald, wir sprechen von 2021/22. Aber Maserati ist sich ja Leid gewohnt, wohl keine andere Marke kam so oft wie Phoenix aus der Asche wie die Modenesen – und dies schon lange vor dem ersten Tag ihrer Gründung vor 106 Jahren, am 1. Dezember 1914. Denn die treibende Kraft hinter den Gebrüdern Maserati, Carlo, war schon 1910 verstorben; die anderen Brüder, Bindo, Alfieri, Mario, Ettore und Ernesto verwalteten in erster Linie das Erbe ihres ältesten Bruders. Und verpassten dabei wohl auch, dass der erste Weltkrieg schon begonnen hatte, als sie ihr Unternehmen gründeten.
Vielleicht mag Ferrari berühmter sein, heute heller strahlen (ok, in der Formel 1 aktuell: nicht so), doch Maserati ist eigentlich (zusammen mit Alfa Romeo) der wahre Kern der italienischen Sportwagen, das Herz, das Blut; Enzo Ferrari war ein Emporkömmling, auch ein Blender, er bediente im Vergleich zu Maserati und Alfa die Neureichen und die Möchtegerne, und eigentlich ist das auch heute noch so. Selbstverständlich liegen da tiefe Schatten über der Maserati-Geschichte, vor allem über den jüngeren, spätestens seit jener Übernahme durch Citroën (1968) und durch de Tomaso (1975) und durch Fiat (1993) und durch Ferrari (1997) und wieder durch Fiat (2005). Andererseits baute Maserati einige der grossartigsten Renn- und Sportwagen überhaupt, dem Kenner bedeutet 250F mehr als 250 GTO, Birdcage viel mehr als BB – und all die A6 sind überhaupt ein bisschen die Quintessenz von wunderschönen und schnellen Automobilen. Einer der grossartigsten Formel-1-Weltmeister-Titel überhaupt war jener von Juan Manuel Fangio im Jahre 1957 auf Maserati, eines der grossartigsten Rennen aller Zeiten jenes auf dem Nürburgring im gleichen Jahr, als Fangio aus völlig aussichtsloser Position doch noch gewinnen konnte. Und man vergisst heute oft, dass die 5000 GT und Mistral und Ghibli und Co. den Ferrari und Lamborghini jener Jahre in Sachen Stil (und Verkaufszahlen) deutlich überlegen waren.
Lange, viel zu lange musste Maserati warten, doch jetzt, genau jetzt macht es den Eindruck, als ob man zu einstiger Grösse zurückkehren kann. FCA lässt Modena an einer erstaunlich langen Leine – und quasi als Dank dafür konstruierte Maserati aus dem sprichwörtlichen Nichts den wahrscheinlich spannendsten, fortschrittlichsten Motor der vergangenen und zukünftigen Jahre, den Nettuno. Der jetzt auch ein Fahrzeug erhält, das er antreiben darf, den MC20. Das in ziemlich jeder Hinsicht die einzig mögliche Antwort der italienischen Sportwagen-Produzenten ist auf McLaren (und auch so ein bisschen auf den ebenso überraschenden Gordon Murray Automotive T.50) – eine Antwort, zu der Ferrari und Lamborghini (und übrigens auch: Porsche) nicht fähig zu sein scheinen.
To be honest: In unseren Träumen eines neuen Supersportwagens von Maserati haben wir ihn uns wilder, animalischer, heftiger vorgestellt. Und müssen gleichzeitig be- und erkennen, dass solches Treiben eben gar nicht zur Marke gepasst hätte, dass der ziemlich pragmatische Ansatz jener ist, den Maserati gehen muss – und will. Klar, das Design eines Mittelmotor-Fahrzeugs ist einigermassen definiert, das war schon beim Bora so (dem sicher schönsten Mittelmotor-Auto der 70er Jahre), das ist jetzt nicht anders. Der MC20 kann dafür ohne jegliche aerodynamische Anbauten (Porsche, Lamborghini) auskommen, er ist in der Schlichtheit seines Designs auch ein deutliches Statement. Man darf sich übrigens auch einen Spider freuen – und eine rein elektrische Variante.
Doch vorerst freuen wir uns einmal auf den MC20 mit dem «Nettuno», 3 Liter Hubraum, Doppelturbo, Vorkammerzündung, 630 PS bei 7500/min, ein maximales Drehmoment von 730 Nm zwischen 3000 und 5500/min; 8-Gang-Doppelkupplungsgetriebe, selbstverständlich nur Heckantrieb. In 3 Sekunden auf 100, Höchstgeschwindigkeit etwa 325 km/h; Verbrauchsangaben gibt es noch keine, Preise auch nicht. Der Wagen ist 4,6 Meter lang, 2 Meter breit, nur 1,22 Meter hoch, dies bei einem Radstand von 2,7 Metern. Nicht so sehr begeistert sind wir vom Leergewicht: 1470 Kilo, das ist doch reichlich, zumal der Maserati ja über ein vollkommen neues Karbon-Monocoque verfügt.
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