Gordon Murray Automotive T.50
Der Beste. Punkt.
Es ärgert ihn jedes Mal, wenn er einen sieht. Er ist einfach zu breit. Er hätte den Einlauf des Luftsammlers locker 50 Millimeter schmaler machen können. Es sieht einfach nicht gut aus.
Zum Glück sieht man ihn selten, oder: hat ihn quasi überhaupt nicht auf der Straße gesehen. Die Rede ist vom McLaren F1. Und von seinem Konstrukteur Gordon Murray, dem jedes Mal ein Schauer über den Rücken läuft, wenn er an die Patzer denkt, die ihm damals unterlaufen sind.
Wobei, Patzer waren es eigentlich nicht. Denn viele Dinge gingen früher einfach nicht besser, weder waren die Materialien so gut wie heute noch die Fertigungstechniken geschweige denn die Berechnungsmethoden und Festigkeitsanalysen. Und eigentlich geht die Geschichte auch ganz anders:
Stellen Sie sich vor, sie haben das beste Auto der Welt gebaut. Auf dem Nachmittagsspaziergang nach zwanzig Jahren im Geschäft, dekoriert mit F1-Weltmeistertiteln und den besten Konstruktionen, die der Rennwagenbau je gesehen hatte, quasi.
Alles davor war lächerlich, irgendwie. Da waren die wilden, feuerspuckenden und unfahrbaren – sowohl im wörtlichen als auch im Komfort-Sinne – Ferrari 288 GTO und F40. Da war der aufgeblähte und mit unfassbar komplexer Technik beladene Porsche 959. Da war der verkümmerte Jaguar XJ220. Da war der von Anfang an hoffnungslos überambitionierte Bugatti EB110.
Das neue Auto war die reine Lehre. Das neue Auto war der McLaren F1.
Und nun stellen sie sich vor, dass sich die Geschichte nach 30 Jahren wiederholt.
Alles in der Zwischenzeit war lächerlich. Da waren (und sind) die aufgeblähten Ferrari. Da war der etwas schwerknochige Porsche 918. Da waren die optisch ausufernden McLaren und Pagani und Koenigsegg. Da war der von Anfang an hoffnungslos überambitionierte Bugatti.
Das neue Auto ist die reine Lehre. Das neue Auto ist der Gordon Murray Automotive T.50.
Noch vor kurzem schrieben wir, dass es heutzutage unmöglich sei, im Alleingang ein Automobil zu konstruieren. Wir lagen falsch – auch wenn das natürlich nicht ganz richtig ist. Doch was am T.50 ist derart besonders? Es sind zwei Dinge. Erstens: die Vision seines Konstrukteurs. Zweitens: sein Name.
Gordon Murray war schon immer der Beste. Ein wilder Hund, nicht nur in Sachen Kleidung. Seine Rennwagen sind allesamt Legenden, aber alle verblassen sie gegen den F1. Die Summen, die für eine der 72 Strassenversionen gezahlt werden, sind absurd. Zehn Millionen Euro für ein Durchschnittsexemplar, besondere Varianten wie die LM oder Langheck-Modelle kosten dann auch gerne das Doppelte. Und das für einen Youngtimer.
Dabei liegt das nicht nur daran, dass man unter seinen Privatjetkumpels mit dem höchsten Auktionsergebnis auftrumpfen muss, sondern schlicht und ergreifend daran, dass kein Auto der vergangen dreissig Jahre auch nur annähernd so begehrenswert ist wie ein McLaren F1.
Er sieht hinreissend aus. Er klingt hinreissend. Und er fährt hinreissend.
Wer auch nur ein kleines bisschen «Auto» liebt, den ergreift es beim Anblick eines F1. Alles an ihm ist absolut dem Fahren untergeordnet. Und – wichtig! – dem Fahren, nicht dem Rennfahren. Zwar gewann der F1 mehr oder weniger aus der Kiste sogar die 24 Stunden von Le Mans, der Rennsieg war aber mehr ein Zirkelschluss. Denn wie gesagt: der F1 war das beste Fahrerauto – und in dieser Eigenschaft nicht nur einfacher, sondern eben auch langanhaltend schneller zu fahren als die meisten echten Rennwagen.
Es ist dann auch der Grund, warum die moderne heilige Dreifaltigkeit der hybriden Ferrari, Porsche und McLaren nicht an den Reiz des F1 herankommt. In absoluten Zahlen stechen sie ihn aus. Auf der Geraden auch, selbst um das Eck. Die Freude aber, die grosse grosse Emotion, die packen sie nicht, nicht einmal im Ansatz.
Und damit wären wir beim Fundament des T.50. Seine Vision ist klar: den F1 noch einmal konstruieren. Nach allen Regeln der Kunst, mit voller Ausschöpfung aller 30 Entwicklungsjahre in Sachen Materialien, Simulationstechnik, Fertigungsmöglichkeiten und Erfahrungen mit dem alten Auto.
Natürlich schaffst Du so etwas heute nicht mehr allein. Aber das muss ein Gordon Murray auch nicht. Egal, wo er anklopfte – der T.50 sollte ein echtes britisches Auto werden, entsprechend kommen beinahe alle Teile von Zulieferern aus Grossbritannien –, ein jeder war nicht nur sofort im Boot, er stellte auch nur die Besten der Besten für das Projekt ab.
Die Chance, die Geschichte des Supercars noch einmal neu zu schreiben, noch einmal diesen F1-Moment miterleben zu können – es entfesselte etwas, das die Welt noch nicht gesehen hat.
Das Chassis
Vollcarbon, selbstverständlich. Ein Werkstoff, den Murray nun schon seit über 40 Jahren einsetzt. Selbstverständlich ebenfalls als aufwendiger Honeycomb, also mit einlaminierten «bienenwabenförmigen» Einleger aus (mehr oder weniger) extrastarker Alufolie. Das Ergebnis ist so robust, dass man mit dem Panzer drüberwegbügeln kann und das Teil danach noch verwenden kann (also: den Panzer vielleicht nicht mehr). Leicht ist es obendrein. Sonst wäre es nicht verwendet worden, klar. Spannend auch: sie erkennen den Einzug, den die Fahrgastzelle hinter den Vorderrädern macht? Unglaublich wichtig für die Aerodynamik, sicher 30% der Strömungswiderstands der Unterboden-Aero kann hier entweichen, gleichfalls werden Radkästen und Kühlerpakete entlüftet. Warum er beim F1 nicht da war? Weil man Kohlefaser früher weder so gut berechnen noch so exakt einlegen konnte. Es ist ein erster Vorteil, ein erster grosser Schritt des Neuen, an dem er den Alten deutlich zurücklässt. Die Crash-Strukturen sind obendrein ebenfalls aus Kohlefaser mit präzise definierten Verformungspfaden zur Energieaufnahme beim Unfall. Früher waren noch Alubarrieren montiert als Knautschzone. Die Obsession Murrays in Sachen Leichtbau zeigt sich auch bei der Windschutzscheibe. Das stark gekrümmte Panoramaglas ist 28% dünner als der herkömmliche Automotive-Standard mit entsprechender Gewichtseinsparung. Insgesamt bringt das gesamte Chassis mit allen Karosserieteilen keine 150 Kilogramm auf die Waage. Ein F1-Chassis kam beinahe auf das doppelte Gewicht.
Der Motor
Damals war es so, dass er eigentlich mit Honda hätte zusammenarbeiten müssen. Sie waren der Motorenpartner in der Formel 1, es lag also nah. Doch den Japanern war die Aufgabe nicht nur bloss zu schwer, sie schien unmöglich. 250 Kilogramm für das gesamte V12-Aggregat mit gewünschten 550PS inklusive Ansaugsystem und Auspuffanlage zur Einhaltung aller weltweiten Abgas- und Geräuschvorschriften. Es drohte der grosse Rückschlag. Murray rief dann seinen alten Freund Rosche an, der Rest ist Geschichte. Dem Bayer war nicht nur die Aufgabe nicht zu schwer, er hatte die Lösung quasi schon in der Schublade. Ein paar kleine Anpassungen und fertig war er. Nur beim Gewicht musste er Murray vertrösten. Es sind dann 265kg gewesen. Dafür lag er bei der Leistung 77 PS über dem Zielwert, was Murray nicht nur versöhnlich stimmte, sondern eben schlicht ein Ding der Unmöglichkeit war, siehe: Japan.
Die Unmöglichkeiten sollten auch für den T.50 gelten.
Die Zahl der Zylinder war alternativlos. Zwölf, keiner mehr und keiner weniger. Denn alles unter dem Dutzend ist erbärmlich, schon in Sachen Laufkultur. Alles darüber Show und unnötiges Gewicht. Beim Hubraum wurde es dann schon schwierig. 3,3 Liter sollten es sein, weil das auch schon im Colombo-V12 so gut funktioniert hat und das überhaupt einer der charakterstärksten Motoren aller Zeiten war. Eine schnelle Überschlagsrechnung liess aber selbst Murray zweifeln. Er müsste, um sein Ziel-Leistungsgewicht zu erreichen, das Gesamtgewicht auf unter 900kg senken. Unpackbar. Er drehte die Rechnung also um, die Experten von Cosworth sassen zu dieser Zeit schon lange mit am Tisch, und man kam bei exakt 3,9 Litern zum Ergebnis.
Weitere Bedingungen: Murray wollte den lebendigsten, den spontansten und überhaupt den emotionalsten Motor, der je in ein Automobil eingebaut wurde. Für ihn ist der wichtigsten Parameter für diese Definition das relative Drehvermögen, also das Beschleunigungsverhalten des Triebwerks beim Hochtouren. Der alte 6,1-Liter-V12 aus dem F1 war in dieser Kategorie eines der besten Exemplare, und er sollte übertroffen werden. Mit dem Cosworth-GMA-V12 verschieben die Briten die Messlatte nun nicht nur in eine andere Liga, sondern in eine andere Welt. 28‘400 Umdrehungen pro Sekunde schafft der T50 beim sogenannten „pick-up-speed“. Um das zu veranschaulichen: Blinzeln sie. Und nun bewegen sie ihren rechten Zeh im Takt mit dem Blinzeln und auch nur so lange. Es sind im Schnitt 0,15 Sekunden. In dieser Zeit dreht der Cosworth-V12 vom Leerlauf bis auf 8‘000 Touren. Während eines Wimpernschlags. Doch es ist nicht nur die Dynamik, die beeindruckt. Auch die absoluten Zahlen, von denen Murray gar kein grossser Fan ist, sind imposant. 12‘100 Umdrehungen Drehzahlgrenze. 3,9 Liter Hubraum. 663 PS bei 11‘500 Umdrehungen. 467 Nm bei 9‘000 Umdrehungen. Dabei ist das Triebwerk selbst eher konventionell, dafür aber mit Liebe und frei von Kompromissen konstruiert. Ein starrer Ventiltrieb mit variablen Phasenstellern für Einlass und Auslass kümmert sich um den Gaswechsel. Es kommen konventionelle Ventilfedern zum Einsatz mit leichten Titanventilen und ebensolchen Tellern, auch die Pleuel sind aus Titan. Die Feinheiten stecken in den Details. So liegt die Mittelachse der Kurbelwelle gerade einmal 85mm über der Unterkante des Motors – und das bei 63,8mm Hub. Zum Glück hat Cosworth schon seit dem legendären DFV-Motor Erfahrung derartiger Enge in der Ölwanne. Während sein Trockengewicht von 178kg allein schon einen Rekord in der Leistungsklasse darstellt, spart die teilstrukturelle Montage noch einmal 25kg für die ansonsten nötige Motoraufhängung.
Übrigens: der Lufteinlass hat im T.50 nun genau die richtige Breite. Nicht nur ästhetisch, sondern auch funktional. Und das Carbonfaser-Dachmittelteil hält nicht nur den Regen vom Fahrerkopf fern, es arbeitet auch als Lautsprecher. Denn, so sieht es Murray, 50% des Fahrerlebnisses kommen vom Motor allein, er muss also auch akustisch abliefern. Und weil der Fahrer in der mittigen Ausrichtung mit den Füssen auf der Vorderachse sitzt, sind seine Ohren relativ weit vom Auspuff entfernt. Das ist schlecht, weil es vom Genuss raubt. Glücklicherweise wringt man 663PS bei 12‘100 Touren nur mit relativ heftiger Ventilüberschneidung aus dem Motor. Die Ansaugung ist also auch Auspuff, zumindest in der Strömungsdynamik. Und das Beste daran: dies nur bei offener Drosselklappe. Wer im Leerlauf dahintrödelt, dem summt es nicht aus dem Ansaugschnorchel, wehe aber, wenn die vier Klappen auf Durchzug stehen. Dann pulsiert die dramatische Melodie derart heftig gegen den Fahrtwind, dass Dir als Fahrer die Tränen kommen. Verstärkt sogar, denn jenes angesprochene Dachmittelteil wirkt als grosse Lautsprechermembran.
Murray hatte das schon im F1 montiert, damals aber genau zehn Minuten für die Festlegung der Faserstärke und -orientierung gehabt. Das Ergebnis damals: das beste Ansauggeräusch in der Geschichte des Verbrennungsmotors. Das Ergebnis heute: man kann es sich denken. Murray nickt und schweigt.
Das Getriebe
In der ersten Vision des T50 dachte Murray noch an ein sequenzielles Getriebe. Doch die ersten Kunden rannten offene Türen bei ihm ein: es musste ein klassisch manuell geschaltetes Getriebe sein. Entsprechend mutet die Sechsgang-Box vielleicht als unspektakulärster Teil des Fahrzeugs an. Doch das Xtrac-Getriebe mit seinem H-Schaltschema hat es in sich.
Denn wenn Murray mit einem nicht zufrieden war, dann mit der Schaltbarkeit des F1 bei kaltem Getriebe. Was nicht etwa an den absolut irren Knackigkeit der Wege lag – die Gassenspreizung betrug exakt 9 Grad, soviel wie in Sennas und Prosts MP4/4, der ein Jahr vor Entwicklungsbeginn des F1 in der echten Formel 1 15 von 16 Rennen gewann. Es lag an den Synchronringen. Rosches V12 brachte derart viel Drehmoment auf die Welle, dass «gigantische» Gangräder montiert werden mussten, erinnert sich Murray. Viel Masse = viel zu bremsende Energie. Entsprechend mächtig musste die Synchronisierung ausfallen. Und entsprechend zäh war das Ganze im kalten Zustand zu schalten.
Damit Derartiges nicht mehr passiert, baute die Xtrac-Mannschaft extra für die Neuentwicklung ein Prototypen-Getriebe, bei der man nicht nur die Federkraft der Muffenführung von aussen einstellen konnte, sondern auch das Hebelverhältnis von der eigentlichen Handbewegung in die tatsächliche Bewegung im Getriebe. Shell verpflichtete sich überdies, ein Getriebeöl zu entwerfen, dessen Additivpaket bei jeder Temperatur die bestmögliche Schaltbarkeit gewährleistet.
Während dieser Erprobung stellt Murray übrigens fest, dass die 8mm Durchmesser des Titanschalthebels nicht ausreichten. Bei Belastung und zu heftiger Krafteinleitung bog sich das zierliche Teil durch. Nun sind es 9mm Schaftdurchmesser. Dennoch konnte im gesamten Mechanismus – der wie der Hebel komplett aus Titan besteht – 800g Gewicht gespart werden. Um im Gegensatz zum F1, in dem die Mimik in einer Box versteckt wurde, steht die gesamte Kinematik im T.50 offen in einem Kohlefasergerippe zur Schau.
Ebenfalls hübsch anzuschauen, dennoch dem Diktat des Leichtbaus unterworfen ist die organische Form des Getriebegehäuses. Modernste Simulationstools ermöglichten auch hier das Undenkbare: 2,4mm Materialstärke im Gussgehäuse. So erreicht das Sechsgang-Getriebe ein Gesamtgewicht von 80,5kg – und das unter Verwendung der langen Sechsten, die ein besonders grosses Getrieberadpaar bedingt. Wer einen kurzen Gang für optimale 0-300km/h-Beschleunigung wünscht, der kann dies ohne Aufpreis bei der Bestellung angeben und noch einmal ein paar Gramm sparen.
Die Aerodynamik
«Vergesst die Skala, einzig wichtig ist der grüne Bereich. Sollte die Nadel fallen, dann fliegt ihr in der nächsten Kurve selbst bei 50km/h ab», erinnert sich Murray an seine Weisung an Lauda und Watson für die ersten Fahrten im Brabham BT46B. Um Chapman und seinen ground-effect-Autos Herr zu werden, wohl aber mit dem ausladenden Eisenschwein eine Alfa-180-Grad-V12 leben müssend, ersann Murray den Staubsauger. Denn wenn nur wenig Platz für einen Diffusor ist, dann muss der Unterdruck eben gewaltig sein. Problem: im Falle eines Abdichtungsfehlers nach aussen war der Unterdruck schlagartig weg und damit der Abtrieb. Als Referenz: der BT46B erreichte in Tests 5,5g Querbeschleunigung. Dabei war es egal, wie schnell der Fahrer dabei war, Hauptsache der Alfa tourte am Drehzahlbegrenzer und damit auch der Ventilator am Heck. Und als Überwachungssystem für den Unterdruck hatte Murray von einem Flugzeugfriedhof in den USA zwei Pitot-Staudruckrohre mit zugehörigen Anzeigen geklaut, diese montierte er dann im Cockpit des Brabham.
Ganz so arg läuft die 40cm-Turbine im Heck des T.50 nicht. Doch der alte Trick ist immer noch ein guter. Angetrieben von einem 8,5kW starken 48V-Motor beruhigt er nicht nur die Grenzschichtströmung am Unterboden, er saugt auch an der Fahrzeugoberseite ab bei Bedarf und verschiebt die Wirbelschleppe des Totwassers weit hinters Fahrzeug – virtual longtail nennen sie das dann. Im «Vmax-Boost»-Modus wirft das Gebläse bei 7‘000 Umdrehungen ganze 15 Kilogramm Schub in die Waagschale und nutzt die vollen 20kW des Starter-Generators für die Kurbelwelle. Das Ergebnis: 28,5 Mehr-kW und damit mehr als 700 Gesamt-PS.
Dabei merkt man Murray an, dass die Aerodynamik sein Lieblingsthema ist, sofern man in diesem detailverliebten Umfeld überhaupt davon sprechen kann. Wie ihm die optischen Auswüchse der Konkurrenz ein Graus sind, weil sie eben nicht im Windkanal geboren sind. Oder wie er mit Hingabe von der Steigung seines Diffursors spricht, von sich ablösender Strömung, von Wirbeln und überhaupt Fluiddynamik. Dabei spricht er nie von absoluten Zahlen, ausser, dass etwa der Bremsmodus aus 250km/h für einen 10 Meter geringeren Bremsweg sorgt und allein deshalb schon signifikanten Mengen an Abtrieb bringen muss.
In der «Auto»-Stellung ist der Ventilator übrigens passiv, auch die Diffusorklappen sind geschlossen. Erst mit dem «High-Downforce»-Modus wird der Lüfter angeworfen und der Diffusor aktiviert – und das unabhängig von der Fahrzeuggeschwindigkeit. Der T50 bringt die aerodynamischen Effekte entsprechend schon bei Landstrassentempo ins Erfahrbare. Doch das Auto kann den Effekt auch umgedreht nutzen. Statt den Abtrieb zu erhöhen, kann der T50 seinen Luftwiderstand aktiv verringern. «Streamline»-Modus nennt Murray das Ganze und lässt dabei die beiden aktiven Heckflügelchen um -10 Grad nach unten klappen, dadurch und durch den auf voller Drehzahl laufenden Lüfter reduziert sich der Totwasser-Unterdruck auf nahezu null. Entsprechend verliert auch der deaktivierte Diffusor das letzte bisschen Wirkung.
Ein weiterer Komfort-Schachzug: der Lüfter saugt in diesem Modus seine Luft oberhalb der Karosserie an. Das sorgt für eine Beruhigung der Luft und deutlich weniger Verwirbelungen. Es entstehen also weniger Windgeräusche. Und ein extra Gag: in die Kamera-Aussenspiegel sind ebenfalls Staudruckmesser integriert, die zusammen mit den Sensoren am Unterboden den aktuell generierten Unterdruck im Fahrercockpit einblenden, diesmal sogar mit der richtigen Skala. Man darf sich also besser fühlen als Lauda und Watson.
Der Komfort
Alles was den T50 betrifft beginnt beim Fahrer. Alles ist um ihn herum konzentriert, alles auf ihn fokussiert. Und er ist nicht nur dank der mittigen Sitzposition sprichwörtlich im Zentrum des Geschehens. Die Ablenkung soll so klein wie möglich sein.
Es gibt keine Touchscreens und keine Lenkstockhebel. Alles. was der Fahrer wirklich braucht, liegt im direkten Zugriff. Lenkrad, Schalthebel und Pedale. Hupe und Fernlicht sind über zwei Paddles am Lenkrad zu bedienen, ohne die Hände von selbigem zu nehmen. Gleiches gilt für die Blinkertasten auf der Vorderseite des Lenkrads. Dieses besteht übrigens aus Kohlefaser, nicht nur, um nur Gewicht zu sparen, sondern vor allem die Massenträgheit zu reduzieren und das Ansprechverhalten nicht zu trüben.
Hinter dem Lenkrad sitzt mittig ein grosser analoger Drehzahlmesser mit einer aus dem Vollen gefrästen Nadel. Daneben finden sich zwei Funktionsdisplays, die mit weisser Schrift auf schwarzem Grund höchstmögliche Ablesbarkeit gewährleisten. Links werden Motor- und Fahrzeugdaten angezeigt, rechts findet sich das Infotainment.
Ja richtig, Infotainment. Denn Musik spielt für Murray fast so eine grosse Rolle wie das Konstruieren. Nicht nur seine Sammlung von Bandshirts ist legendär, er nimmt auch heute noch Mixtapes auf von Bands, die ihm gefallen – wobei, unterdies dann eben auch als unkomprimierter Audiofile auf dem Smartphone. Entsprechend hoch seine Ansprüche an die Hi-Fi-Fähigkeiten seines Autos. Die Anlage wird entsprechend vom britischen Highend-Spezialisten Arcam zugeliefert und bringt zehn Lautsprecher und eine Verstärkerleistung von 700W in den Innenraum des T50. Wohlgemerkt: ohne physisches Radio oder CD-Laufwerk. Gespeist wird das im Gesamten nur 3,9kg schwere System drahtlos vom Handy des Fahrers. So, sagt Murray, blieben Navigations- und Unterhaltungssoftware ohne sein Zutun „over-the-air“ immer auf dem neuesten Stand.
Noch viel irrer ist aber die Konstruktion der Klimaanlage. Auch so ein Merkmal, dass für Murray zwingend zu einem Automobil dazugehört. Im F1 war es ihm immer ein bisschen peinlich. Denn sie funktionierte nicht richtig. Also: schon, aber eben nur bei Drehzahl. Denn einen Kompressor auslegen, der bei 8000 seinen Nenndruck in speist, dem pressiert es bei Leerlauf eher nicht so. Dumm nur, wenn der F1 dann in Abu Dhabi im Stau steht. Oder anderwo bei 30 Grad. Die Glasflächen waren ja nicht gerade klein. Das nächste Problem: er hatte keinen Platz für ordentliche Entlüftungsklappen im Innenraum vorgesehen. Und wie er in der Erprobung leidlich feststellen musste: du kannst nur Luft reindrücken, wenn du andernorts welche rauslässt. Es war also nicht nur das Betriebsfenster des Kompressors ein Problem, die ganze Strömung innerhalb der Fahrgastzelle war ein Krampf.
Im T50 sind die Ablüftungen entsprechend sehr grosszügig dimensioniert. Gleiches gilt für den Kompressor. Dieser treibt dann auch nicht der Motor an, bei 12‘100 Drehzahlgrenze wäre das Problem nur noch grösser geworden, sondern der 48V-Startergenerator. Murray hat schlicht einen Klimakompressor aus dem nächstbesten Hybrid geklaut. Das Ergebnis: eiskalt. Jederzeit.
Das Fahrwerk
Es ist wieder eine dieser herrlichen Anekdoten, die gar nicht oberlehrerhaft wirken, sondern: ehrlich. Auf die Frage nach Servolenkung in seinem T50 gibt er offen zu, dass die Lenkung im F1 keine gute gewesen sei. In Fahrt ja, da war sie ganz in Ordnung, aber beim Rangieren und im Stadtverkehr: ein Graus.
Dass heute so eine Hysterie um Lenkfeedback gemacht wird, ist für Murray völlig unverständlich. Denn es ist im Prinzip egal, welcher Art die Lenkunterstützung ist, ob nun hydraulisch oder elektrisch, wenn das Gefühl nicht da ist, dann liegt der Fehler meist tiefer. Genauer in den fünf Design-Freiheiten, die dem Entwickler für eine wirklich gute Lenkung bleiben: Spreizung, Nachlauf, Einpresstiefe, Ackermann und Schräglaufwinkel. Wer diese fünf ins richtige Verhältnis bringt, der wird mit der besten Lenkung belohnt.
Natürlich ist das in Sachen Packaging nicht immer einfach, vor allem nicht, wenn neben den Controllern noch die Designer mitreden wollen und ihre 22-Zoll-Felgen mit Tiefbett im Radhaus sehen möchten. Wie es dann doch geht, das zeigt sich allein an den Abmassen der Reifen des T50. 235mm auf 19 Zoll an der Vorderachse, 295mm auf 20 Zoll an der Hinterachse.
Dazu auch Michelin Pilot Sport 4S. Alles andere sei nur für die Marketing-Abteilung, sagt Murray. Oder aber für diejenigen, die ihr zu hohes Gewicht mit zu hoher Leistung und einer entsprechenden Materialschlacht für die Umsetzung kaschieren müssen. Filigrane Felgen, aus Aluminium (nicht etwa aus Magnesium oder Carbon – letzteres würde Murray niemals für eine Felge einsetzen, weil es im Schadensfall schlicht lebensgefährlich werden kann), die nach allen Regeln der Finite-Elemente-Berechnungskunst erleichtert, hinterfräst und optimiert wurden. Dazu geschmiedete Radträger und Federbeine, die per Pushrod-Geometrie angelenkt werden.
Es war dies der einzige Kompromiss, bei dem Murray eine schwerere Lösung der leichteren vorzog. Doch die Anlenkung des Fahrwerks über den Pushrod-Umweg gibt ihm mehr Freiheit für Ansprechverhalten, Federweg und entsprechend: Komfort. Die Dämpfer selbst sind übrigens nicht adaptiv. Sie sind auf das Gesamtkonzept des T50 abgestimmt, fertig. Keine Spielereien, keine Unschärfen. Alles ordnet sich dem Ziel der kompromisslosen Fahrbarkeit unter. Das gilt auch für das ESP. Dies ist allerdings nur an Bord, weil die Zulassungsvorschriften es erfordern. In der Abstimmung des T50 bleibt es inaktiv – und der Fahrer kann es mit einem Knopfdruck komplett deaktivieren.
Und dazu zählt eben auch die Alltagstauglichkeit. Ein GMA T50 braucht keinen hydraulischen Vorderachslift und keine mannigfaltig verstellbaren Fahrmodi. Wobei, zwei wählbare Mappings für die Motorsteuerung hat er schon. Das aber nur, weil Murray darauf bestand. Als er dann die beiden Drehmoment-Volllastkurven von Cosworth zur Abnahme bekam, war es ihm fast ein bisschen peinlich. «Wir sind eben heute nicht mehr in den Sechzigern, wo du entweder Drehzahl oder Drehmoment hattest», so Murray. Es ist dies aber der einzige Designfehler, der ihm diesmal unterlaufen ist. Deshalb steht zum ersten Mal in über 50 Jahren Ingenieurstätigkeit sein Name vorne auf der Haube.
100 Stück wird es geben, 2,36 Millionen Pfund werden verlangt; man muss leider davon ausgehen, dass alle schon weg sind. Ach ja, haben wir schon etwas vom Gewicht geschrieben? 986 Kilo. Danke.
Mehr feine Wagen haben wir in unserem Archiv. Es gebührt Fabian Mechtel grosser Dank für diese Story – für seinen Enthusiasmus. Und weil wir seine grossartige Story nicht gross von Bildern unterbrochen haben wollten, bringen wir jetzt hier noch alles, was wir haben.
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