Ford Focus ST
Wir hatten ihn vor ein paar Monaten schon einmal im Test. Doch da stand der Ford Focus ST auf Winterreifen und das Wetter war, nunja, suboptimal. Vergangene Woche sah das anders aus. Michelin Pilot Sport 4S und saubere 20 Grad – Idealbedingungen für unseren Axel Griesinger also.
Sagen wir mal so, die Kategorie „hot hatch“ ist aktuell komplett aus dem Leim gegangen. Kompakt ist da eigentlich nichts mehr. Ausmaße, Gewicht, Technik, Preis – alles völlig außer Rand und Band. Und um diese Maßlosigkeit zu kaschieren, blasen die Entwickler die Motoren immer weiter auf. Die Hersteller kokettieren dabei mit völlig abstrusen PS Zahlen weit jenseits der Zahl 300 und bei Mercedes-AMG haben sie jetzt den Bogen mit dem Durchbrechen der 400 PS Schallmauer mit dem A45 S komplett überspannt.
Bringt das überhaupt noch den gewünschten Fahrspaß, der so Heroen, wie Golf GTI, Kadett GSI, 205 Gti, Clio Williams hervorgebracht hat? Bedingt. Schaufeln sich die Hot Hatches also derzeit ihr eigenes Grab? Vielleicht. Doch es gibt auch Hoffnung. Ein neuer alter Bekannter scheint fast so etwas wie der Retter des Fahrspasses in diesem Segment zu sein: Der Ford Focus ST Mk IV.
Ford Focus ST – mit 1.508 kg nicht ganz aus dem Leim gegangen
„Klar, Fahrwerke können die halt in Köln. Und der ST? Nett, jetzt warten wir aber erstmal auf den neuen RS, dann wird’s wirklich lustig!“ Ja, der erste Satz stimmt und das erklären wir später auch, aber beim zweiten Satz müssen wir leider widersprechen: Da kommt kein Allrad RS. WLTP und CO2 Grenzen (drohende Strafzahlungen inklusive) haben den eigentlich fest eingeplanten Top-Focus noch vor der Geburt sterben lassen. Aber kein Grund zum jammern, denn der kleine frontgetriebene Bruder ist ein mehr als würdiger Ersatz. Wirklich! Man muss nur bei der Konfiguration die Richtigen Häkchen setzen.
Weil der Turnier sowieso schon einmal ausscheidet und wir Sport treiben wollen: Benziner statt Diesel. Der Ölmotor mit 190 PS und 400 Nm ist zwar nett, aber ein wenig mehr Drehfreude sollte es schon sein: 2,3 Liter wuchten den Focus nicht nur zum derzeitigen Hubraumkönig seiner Klasse (der alte König Audi RS3 ist ja derzeit tot) sondern liefern auch 280 PS und 420 Newtonmeter.
Macht 33.500 Euro. Getriebe? Gibt es aktuell nur manuell (was uns sehr erfreut!). Also brauchen wir nur noch das Häckchen für das Performance Paket setzen. Das bringt einen zusätzlichen Fahrmodus „Rennstrecke“, Launch Control, Zwischengasfunktion und eine elektronische Dämpferreglung. Macht 1200 EUR zusätzlich und so kommen wir auf ein Preis von 34.700 Euro. Damit ist dann alles Fahrdynamische an Bord. Los geht’s.
5,7s für den Standardsprint und 250 Spitze machten bei uns 9,4l Verbrauch
Man merkt dabei schnell, für zarte Gemüter ist dieser Focus nichts, denn auch im normalen Fahrmodus teilt das Fahrwerk klar mit, wie der Fahrbahnzustand ist. Da kann auch die elektronische Dämpferregelung nichts retten, sondern macht es je nach Fahrmodus nur noch derber. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch: Verweichlicht ist hier nix, Spagate zwischen bequemen Reisewagen und dynamischen Kurvenkratzer versuchen die Kölner gar nicht erst.
Der Fokus beim Focus ST liegt ganz klar auf Fahrdynamik. Einen wesentlichen Anteil steuert hierzu die serienmässige elektronische-Differenzialsperre (kurz eLSD) bei. Ein feines Stück Technik, bei dem über hydraulische Kupplungen die Drehmoment Verteilung an die Vorderräder gesteuert wird. Bei Bedarf sogar bis zu 100 Prozent der Leistung an das Rad mit der besseren Traktion. Der Vorteil: es wird komplett ohne Bremseingriff gearbeitet. Der Nebeneffekt: Es fühlt sich an, wie eine rein mechanische Sperre. Der ST scheint sich förmlich in Kurven einzuhaken, durchzufetzen und am Ende ohne durchdrehende Rädern herauszubeschleunigen. Der Nachteil: Man muss schon ordentlich zupacken, denn das Lenkrad zerrt beim Gaseinsatz in der Kurve schon spürbar in alle Richtungen. Eben wie ein klassisches Sperrdifferential.
Es fühlt sich also alles herrlich direkt an und macht mächtig Freude. Nix wird elektronisch verwässert, ausgebügelt, präventiv verhindert. Hat man sich dann noch am Lenkrad aus dem ST Modus in den Track Modus gedrückt, sind dem Spaß fast gar keine Grenzen mehr gesetzt. Das Heck arbeitet wunderbar mit, ohne für böse Überraschungen zu sorgen und wer das mit dem Hacke Spitze beim Runterschalten nie gelernt hat, mit der Zwischengasfunktion kommt die Getriebewelle von alleine auf die Motordrehzahl des niedrigeren Ganges.
Ja, wir hatten bei unserer Testfahrt nicht nur ein fettes Grinsen im Gesicht, sondern haben auf kurvigem Geläuf den einen oder anderen Mopped Fahrer überrascht, als wir formatfüllend in seinem Rückspiegel auftauchten und er fast beim Hang Off ganz vom Motorrad purzelte.
Die FWD Fahrspass Gang ist klein, aber fein und der ST vorne mit dabei
Der Ford Focus ST bestätigt also, dass sie Fahrwerke in Köln können und auch auch die Bremse dazu passt. Gut dosierbar und sehr standfest. Aber auch Motor und Getriebe spielen wunderbar zusammen. Kein Turboloch, stets sauber anliegendes Drehmoment und kurze Schaltwege. Nur Sound können sie bei Ford dann doch nicht so gut. Zumindest, was einem da in den Innenraum als Reminiszenz an den alten Fünfzylinder auf die Ohren gegeben wird, sollte Ford einfach streichen.
Dafür haben sie bei Ergonomie und Bedienung kräftig dazugelernt. Die Recaro Sitze sind nicht nur angenehm tief montiert, sondern geben auch guten Seitenhalt, ohne einengend zu wirken. Großer Touchscreen, digitales Cockpit und ein etwas überfrachtetes Lenkrad gehören in dieser Klasse mittlerweile fast zum guten Ton. Nur so richtig intuitiv wirkt das in der Kölner Interpretation im Zusammenspiel noch nicht. Das können die anderen zum Teil besser.
Doch wer sind diese anderen? Der 8er Golf GTI wird es vielleicht, steht aber noch nicht zum Test zur Verfügung. Also warten vor allen Dingen Hyundai i30 N, Renault Megane R.S und Honda Civic Type R draussen zum Spielen auf den Focus ST. Denn sie alle eint eins: Man braucht keine PS Exzesse, Allradantrieb und Preise jenseits der 50’000 Euro, um in der Klasse der Hot Hatches Spaß zu haben. Und innerhalb dieser Gilde der frontgetriebenen Freudenspender steht die vierte Generation Focus ST in der Startaufstellung weit vorne.
Technische Daten:
Modell: Ford Focus ST (Performance Pack)
Motor: Vierzylinder-Reihe, 2‘261ccm
Leistung: 280PS (206kW)
Drehmoment: 420Nm bei 3‘000-4’000U/min
Antrieb: Frontantrieb, Sechsgang-Schaltgetriebe
Verbrauch (NEFZ): 7,9 l Benzin/100km
Testverbrauch: 9,4 l Benzin/100km
Beschleunigung (0 – 100km/h): 5,7s
Höchstgeschwindigkeit: 250km/h (abgeregelt)
(Abmessungen (L/B/H): 4,39m/1,82m/1,46m
Gewicht: 1’508kg
Grundpreis: 33’500 EUR (34’700 EUR mit Performance Pack)
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