TVR Grantura
Böswilliges Fahrverhalten
Wohl nicht viele Fahrzeuge können auf eine derart wechselvolle Geschichte zurückblicken wie der TVR Grantura. Einverstanden, das ist immer so, wenn es um TVR geht, die Marke, die Trevor Wilkinson 1946 in Blackpool gegründet hatte. Nachdem er in den 50er Jahren einige offene Sportwagen gebaut hatte, die Einzelstücke blieben, konstruierte Wilkinson auf Initiative des amerikanischen Importeurs Ray Saidel den Open Sports und das Coupé, die dann tatsächlich in einer kleinen Serie verkauft werden konnten; Saidel selber wandelte das Coupé leicht ab und bot es dann als Jomar an. Davon hatte Wilkinson aber nichts, also musste TVR Engineering 1958 Konkurs anmelden – um kurz darauf zuerst als Layton Sports Cars (1959) sowie TVR Cars (1961) wieder von vorne zu beginnen. Ab 1959 baute Layton eine überarbeitete Version des Jomar und bot sie als Grantura an. Bis 1967 entstanden fünf verschiedene Serien (die dann noch weiter unterteilt werden können), doch da war alles andere als Friede, Freude, Eierkuchen, denn TVR Cars ging 1962 in Konkurs, wurde von der Grantura Engineering abgelöst, der 1965 ebenfalls das Geld ausging, um schliesslich 1966 unter der Führung von Martin Lilley bei der neu gegründeten TVR Engineering wieder ein neues Daheim zu erhalten. Alles unklar? Nein, denn es gab da auch noch die Griffth 200 und 400.
Zwei Dinge blieben über die ganze Bauzeit und alle fünf Serien des TVR Grantura gleich: Gitterrohr-Rahmen, Kunststoff-Karosse. Auf die einzelnen kosmetischen Änderungen einzugehen, erscheint uns wenig sinnvoll, allein schon die Anpassungen am Chassis sind spannend genug. Die ersten Grantura, die auf dem Jomar basierten, der wiederum auf dem TVR Coupé basierte, verfügte über einen Rahmen in Form eines Y; die Schenkel vorne trugen Motor und Vorderradaufhängung. Das Konstrukt wurde der durch eine Vielzahl von weiteren Stahlrohren verstärkt, vorne kam eine Kurbellenkerachse aus dem VW Käfer zum Einsatz (gerne als «Porsche Type» bezeichnet). Überhaupt waren diese frühen Grantura ein Puzzle aus vielen verschiedenen Fremdteilen, die Bremsen stammten von Austin-Healey 100, die Lenkung vom Ford Anglia, die Frontscheibe vom Ford Zodiac.
Doch es war eine feine Konstruktion. Der Radstand betrug gerade einmal 2,12 Meter, die gesamte Länge 3,47 Meter – das Gewicht, je nach Motorisierung, ab etwa 650 Kilo. Speziell war die Panorama-Kunststoffscheibe hinten, ein Stilmittel auch für viele spätere TVR. Einen Kofferraum gab es nicht wirklich, der Ablageraum hinter den zwei Sitzen liess sich nur von innen erreichen. Als Motor kam meist der 1,2-Liter-Coventry-Climax mit etwa 80 PS zum Einsatz, doch es konnten auch der 1,6-Liter-BMC mit 78 PS oder verschiedene Ford-Antriebe eingebaut werden. Rund 100 Stück der ersten Serie des Grantura wurden gebaut, von der zweiten dann 400 Exemplare. Sie war optisch etwas modernisiert, vor allem im Heckbereich, wurde vor allem mit dem BMC-Motor ausgeliefert (wie er auch im MGA eingebaut war) – und konnte sowohl als komplettes Fahrzeug (1960: 1188 Pfund teuer) wie auch als Bausatz (1960: 888 Pfund) gekauft werden. Der Grantura IIa verfügte dann über die Scheibenbremsen aus dem Austin-Healey 3000; das grüne Fahrzeug hier stammt aus dieser zweiten Serie.
In der dritten Generation, ab 1962, kam es dann zu tiefer greifenden Änderungen. Das Fahrgestell wurde von John Thurner massiv überarbeitet, wobei massiv der zentrale Punkt ist, denn es gab deutlich mehr Querverstrebungen, der Radstand wurde um 4 Zentimeter verlängert, die vordere Aufhängung stammte von vom Triumph Herald, die hintere Aufhängung konstruierte TVR Cars selber mit Doppelquerlenkern und Schraubenfedern. Ab 1963 erhielt der Grantura dann den 95 PS starken 1,8-Liter-Motor aus dem MGB (doch die Kunden konnten weiterhin einbauen, was sie wollten), nach einigen Änderungen wurde der Wagen dann als 1800 S bezeichnet, ab 1965 dann als Grantura Mk IV. Oder als 1800 Mk IV – obwohl diese Mk IV eigentlich schon die fünfte Serie waren. Diese letzten Modelle waren dann schon 3,51 Meter lang und über 800 Kilo schwer. Und sie sind einfach zu erkennen an ihrem steil abfallenden Heck mit den runden Heckleuchten des Ford Cortina.
Die Geschichte nimmt nun noch einen Umweg. Dick Monnich importierte ab 1961 die Grantura in die USA. Eines dieser Exemplare fiel in die Hände von Jack Griffith, der beeindruckt war von der AC Cobra, die Carroll Shelby ab 1962 auf die Räder gestellt hatte. Aus der Cobra von Rennfahrer Mark Donohue stammte dann auch der Ford-Achtzylinder, den Griffith als Versuchsträger in einen Grantura einbaute. Der Plan war schnell geboren, Grantura Engineering (siehe oben) schickte fertige Grantura Mk III ohne Motor und Getriebe in USA, dort baute Griffith die Achtzylinder ein. Es gab zwei Leistungsstufen des 4,7-Liter-V8 (289 ci), die Basis mit 195 PS, den HiPo (für High Power) mit 271 PS; dazu gab es die üblichen Tuning-Möglichkeiten. Man muss es sich vorstellen: Das eh schon nicht über alle Zweifel erhabene Fahrwerk des Grantura traf mit dem Ford-V8 auf einen sehr ernsthaften Gegner. Rich Taylor schrieb: «Zu leicht und filigran, übermotorisiert, mit böswilligem Fahrverhalten – es hat nie ein gefährlicheres Serienauto gegeben». Ok, das Ding marschierte auch in knapp 5 Sekunden auf 100 und war über 260 km/h schnell – mit den Bremschen aus dem Triumph Herald. John Bolster beschrieb das schön: «Ab 240 km/h fühlte sich zunächst das Auto, daraufhin der Magen des Fahrers etwas instabil an.» Trotzdem wurden wohl etwa 190 Exemplare des Griffith 200 verkauft; er kostete mit 3995 Dollar auch nur etwa so viel wie eine Corvette C2, für die Cobra verlangte Shelby immerhin 6500 Dollar. Der rote Wagen hier ist ein Griffith 200 aus der famosen Elkhart-Collection und wird (allenfalls) am 1./2. Mai von RM Sotheby’s versteigert.
Und als ob es damit noch nicht genug kompliziert wäre: es gab genau dieses Fahrzeug auch noch in einer englischen Version, als TVR Griffith 200 bezeichnet. Von dem allerdings nur etwa 20 Stück gebaut wurden. Und dann auf Basis des Grantura IV noch eine zweite Serie eben dieses TVR Griffith 200 (gebaut bis 1967). Der in den USA dann Griffith 400 hiess. Jetzt ist aber gut, oder?
Weitere Exoten gibt es bei uns im Archiv. Oder unter: «Die Aussergewöhnlichen».
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