Die erste Fahrt
Im neuen Porsche 911
Es sei das beste Auto, das er je gebaut hat. Gut, Gustl* muss das sagen, es liegt schließlich in seiner Verantwortung. Und doch: eine neue Generation 911 ist immer eine Gratwanderung.
Zum Einen, weil es für den Externen nicht viel zu verbessern gibt – schließlich ist so ein Turbo-Carrera mit aktivem Fahrwerk, Hinterachslenkung und Optionsbereifung um absolut keine Antwort verlegen, wenn es ums Kurvenfeilen geht. Zum Anderen, weil es genau deshalb schon lange an der Perfektion entlangschrammt. Was also, wenn sie ihn noch perfekter machen? Wird der 911 dann zum gefühlskalten Klotz, der nur mehr funktioniert, aber nicht mehr berührt?
Alles Unsinn, meint Gustl.
Eine Krücke braucht man nicht toll finden, nur weil sie eine Krücke ist. Der Elfer ist gerade deshalb so hochemotional weil er immer besser und schneller wurde. Und überhaupt ist es ein bisschen Anmaßung, wenn man den Neuen schlecht redet, nur weil er neu ist. Er ist sicher keine Kostenoptimierungsmaschine wie manch Konkurrent, sondern immer noch das Leitmotiv und der Markenkern. Er – und nur er – ist die Summe der Eigenschaften an denen sich das ganze Unternehmen ausrichtet. Wer einmal in Weissach über den Mitarbeiterparkplatz läuft versteht das sofort.
Es sitzen hier keine Controller, die auf irgendeinem Managementplateau jeden Tag hunderte Powerpoint-Präsentationen zusammenklicken, nein. Es sind Verrückte, Wahnsinnige die mit 2.5 Grad Sturz auf der Hinterachse und einem Grad Vorspur an der Vorderachse bei 10 Grad Außentemperatur noch auf Cup-Reifen zur Arbeit kommen. Weil sie Fahren können. Weil sie Benzin im Blut haben. Und weil sie sich deshalb mit vielen Dingen kritischer auseinandersetzen, als es der meckernde Fan je könnte.
Im Ergebnis werden wir immer überzeugen, weiß Gustl.
Sicher, über die Form wird man streiten. Das feiste Heck mit dem flachen Leuchtenband und der neuen Auspuffanordnung. Aber: er ist dafür breiter geworden. 45mm, sogar als normaler Carrera. Heißt: WTL für alle, quasi. Auch die Front wurde 20mm breiter, dazu kamen wunderschön ausgestellte Kotflügel.
Es ist zum Fahren nötig. 20 Zoll vorn und 21 Zoll hinten. 305mm breit dort und natürlich voll aufrüstbar mit PASM, PDCC, PTV Plus und Hinterachslenkung. Sie haben ihn noch besser abgestimmt. Feiner, kraftvoller, mit einer größeren Spreizung als je zuvor. Es fällt sofort auf: Die Lenkung ist direkter, die Bremse fühlt sich ganz anders, bissiger und doch präziser an. Der 992 ist exakter geworden. Das spürt man sofort.
Und das ist vielleicht sein größter Verdienst, erklärt Gustl.
Wenn du den Unterschied nicht unmittelbar merkst, dann haben wir etwas falsch gemacht. Es darf nicht allein um die letzten Zehntel auf der Rundstrecke gehen, wenn wir von Fortschritt sprechen. Man darf nicht Röhrl oder Webber heißen müssen, um die neuen Talente erfahren zu können. Die wesentlichste Aufgabe ist das alle Kunden die Vorzüge des neuen Autos erfahren können. Natürlich ist auch klar, dass die Sprünge nicht mehr so groß sind wie auch schon. Die Zeiten des großen Umbruchs von G-Serie auf 964, oder die Einführung der neuen Wasserboxer – sie sind vorbei, man bewegt mathematisch gesprochen beinahe schon im asymptotischen Bereich. Und doch: Es muss dich packen, mitreißen, schon auf den ersten Probefahrt-Metern.
Wie zum Beweis tritt uns der 992 im Sport-Modus ausgangs der Wechselkurve auf der gesperrten Landstraße nach Flacht richtig ins Kreuz. Das PDK schnalzt zwei seiner acht Gänge auf den Punkt zurück, die Turbolader holen Luft und peitschen den Elfer mit wunderbar aggressivem Ton aus der Biegung.
Und da ist die Welt plötzlich wieder sehr in Ordnung.
Nicht nur für Gustl, auch für uns. Denn da ist es auf einmal egal, ob man sich an die neue Optik gewöhnen muss, oder ob man die neue alte Knieleiste im Cockpit und den Wegfall der meisten Schalter, oder den Einzug der Glasdisplays gut oder schlecht heißt: Es fährt besser denn je. Was das einzige Ziel war. Der Rest ist Geschmackssache.
*: August Achleitner, Leiter Baureihe 911 (und 718)
Text/Bilder: fm
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