Audi RS6 Avant performance
Exzess
Vollgas. Die Welt steht kurz still, dann verschwimmt sie. Eine Beschleunigung so momentan und vollinhaltlich, dass es dir fast schwindelig wird, nach dem dritten Mal eigentlich sogar schlecht.
Dabei ist die Existenz dieses Auto ein ideales Paradoxon. Ein Porsche 911 turbo etwa, oder ein Mazda MX-5, gerne auch irgendetwas beliebiges dazwischen, da ist es sozusagen etwas Natürliches: Motor, Getriebe, Karosserieform und Gewicht passen zusammen, bilden ein sinnvolles Ganzes. Hier, beim Audi RS6 Avant performance ist das Gegenteil der Fall.
Nichts passt zusammen.
Das Auto ist schwer, groß, hoch – ein Kombi, gebaut für eindeutige Zwecke. Um Gewicht und Aerodynamik auszugleichen, wird ihm eine Motorisierung verpasst, deren scharfes Aufbellen beim Start kein Gutenmorgen ist, kein freundlicher Gruß. Soll es auch nicht.
Denn hinter den ausgestellten Radhäusern, dem Wabengrill mit quattro-Schriftzug und den schenkeldicken Endrohren, schwarz vor Wut, lauert ein Monstrum. Sein Antritt ist jenseitig. Vom Stillstand bis 100 kommen nur die Besten mit, weiter auf 200 ist es weniger ein Beschleunigen, mehr so ein Zuschnappen.
Und bis 300 musste auch der billig schwarz folierte Porsche 991 turbo, dem sein kahl rasierter Leasingnehmer tüchtig ins Kreuz stieg, abreißen lassen. Es war eine Szene stiller Depression. Der RS6 kann das gut.
Dieser Exzess, dieses permanente Reingrätschen in den Grenzbereich zwischen Newton und Einstein, ist der Moment in dem die Angst die Bühne betritt: In Form von Keramikbremsen um knapp fünfstellig Geld, einer Wankausgleichshydraulik, eines Sportdifferenzials für die Hinterachse. Weil viel von den mehr als 2.000 Kilo des Audi turnen im vorderen Bereich (das reduzierte Leistungsgewicht, von dem Audi beim performance spricht, wurde nicht mit weniger Gewicht erreicht…), da muss sich die Regelelektronik vor allem an der Hinterachse abarbeiten, damit die ganze Fuhre nicht ständig untersteuernd in den Wald hinein abfliegt. Natürlich hilft der Allradantrieb bei der Traktion. Aber auch dieser ist genaugenommen ein Widerspruch zum Sportwagendenken.
Was man mit Gewalt gewinnt, kann man nur mit Gewalt behalten.
Das wusste schon Gandhi.
Und doch ist der RS6 Avant, so abgefahren riskant seine Übermotorisierung auch erscheint, ein reines, völlig durchgeplantes Kalkül. Du bist auch auf der Bergstraße schnell, da fühlt sich das Auto vergleichsweise leicht und luftig an, spielt souverän mit Beschleunigung und Verzögerung, lenkt sauber, wenn auch merklich käsiger als ein echter Sportler. Von seinem Potential kannst du auf der normalen Straße nur einen Bruchteil abschöpfen. Auf der Rennstrecke aber treten die Widersprüche des RS6 wieder deutlich zu Tage. Zu viel Gewicht, zu viel Elektronik. Schaltet man die eine weg, wird eben das andere zum Bremser.
Es bleibt die Längsdynamik als Lebensinhalt. Nach vorne performen mit der Wucht einer Trägerrakete und dem Komfort des Lieblingssessels.
Keiner kann das so gut wie der Audi. Denn Konkurrenz, nun auch endlich ganzheitlich in der absurden 600PS-Liga spielend, übertreibt es in vielen Dimensionen. Sie können – oder wollen? – eigentlich immer nur hart. Müssen jederzeit zeigen, was Sache ist, auch optisch. Das Publikum honoriert es jedenfalls mit eifrigem Handyfotografieren, bewundernden Blicken und unverhohlener Genugtuung.
Je mehr Migration, desto herzlicher der Applaus.
Der Audi trägt seine Insignien der Macht unauffällig, beinahe diskret. Zumal in dezentem „daytonagrau Matteffekt“. Selbst das Fahren ist jederzeit mühelos. Und wenn dann bei Tempo 270 zarte Windgeräusche von rechts ihren Weg durch die Spotify-Orgie in den 17 Lautsprechern der Bang&Olufsen-Anlage bahnen, kuschelt sich die Beifahrerin tiefer in die rautengesteppten Ultra-Edelledersitze und genießt schläfrig das Gleiten.
Selbst wenn du in diesem Moment in den Tiefen des drive selects die Kalibrierung des Motors auf dynamic stellst um die Wirkmacht der 605PS voll zu entfesseln, stört sich niemand daran. In der unerschütterlichen doppeltverglasten Abgeschiedenheit des Innenraums bekommt niemand mit, dass der RS6 gerade auf seiner eigenen Leuchtspur unterwegs ist.
321km/h notiert die in die Windschutzscheibe projizierte Anzeige, als dem Audi der Vortrieb abgedreht wird. Und wieder steht die Welt kurz still.
Tipp: niemand braucht einen Audi RS6 Avant performance. Aber – und das ist nun ein besonderes aber – probieren sie ihn aus. Die Zeit ist günstig: in Anbetracht der jungen Konkurrenz und des stramm heraneilenden Nachfolgers verschenken die Audi-Vertretungen die letzten Leasing-Verträge praktisch. Nehmen sie es mit, genießen sie es. Es wird das letzte Mal sein, dass wir Teil dieser alten – in jedem Detail bis zur Perfektion ausgearbeiteten – Welt des Exzesses sind.
Der Beitrag Audi RS6 Avant performance erschien zuerst auf radicalmag.