Polo Storico Lamborghini
Klarheit schaffen
Die Geschichte von Lamborghini verlief ja nicht nur gradlinig. Klarheit gibt es seit 1998, als Audi die italienische Marke übernahm, so einigermassen normal verliefen auch die Jahre 1963 bis 1972, als noch Ferruccio Lamborghini das Sagen hatte. Doch dazwischen liegt vieles im Dunkeln, von 1972 bis 1977 waren die Schweizer Georges-Henri Rossetti und René Leimer am Steuer, zwischen 1977 und 1980 war schlicht und einfach Insolvenz, es folgte von 1980 bis 1987 Patrick Mimran, dann bis 1994 Chrysler, dann noch für ein paar Jährchen der indonesische MegaTech-Konzern. Zwar war immer Sant’Agata das Zentrum, zwar lässt sich heute vieles rekonstruieren auch aus jenen dunklen Jahren, doch es war wirklich an der Zeit, dass sich die Italiener professionell um ihr Erbe kümmern – und dies nicht bloss, weil zum Beispiel Ferrari und Porsche mit ihren Klassiker-Abteilungen viel Geld und Ruhm verdienen. Polo Storico heisst die im vergangenen Jahr gegründete Abteilung, die mit zehn Mitarbeitern zwar nur klein ist, aber dafür sehr fein. Und da passiert jetzt endlich das, was für den Heritage der Marke so wichtig ist: Aufbau eines professionellen Archivs, Zertifizierungen von Klassikern – und Restaurationen auf höchstem Niveau.
Zwölf Modelle hat Lamborghini ausgemacht, um die sich das Polo Storico kümmern soll: 350 GT, 400 GT, Miura, Islero, Espada, Jarama, Countach, Urraco, Silhouette, Jalpa, LM002, Diablo. Gut, mehr Modelle gibt es auch nicht, die man als Lamborghini-Klassiker bezeichnen könnte, insgesamt wohl etwa 9400 gebaute Fahrzeuge für den Zeitraum zwischen 1963 bis 2001. Allerdings gilt zu beachten: der heutige Marktwerk all dieser Fahrzeuge beläuft sich auf schätzungsweise 3,4 Milliarden Euro. Da reissen die Miura SV (150 Stück) natürlich gegen oben aus, während man einen Jalpa (420 Stück) noch relativ günstig erhält.
Der Chef des Polo Storico heisst Enrico Maffeo. Er ist nicht der heissblütige Italiener, wie man ihn bei Lamborghini erwarten würde, sondern der stilvolle, mit Hosenträgern bewehrte Gentleman, er spricht mit leiser Stimme und betont gern, dass er nicht alles wissen könne. Doch er macht das gut, er weiss sehr, sehr viel, hat die Geschichte im Griff, kennt den Markt, hat eine klare Meinung über Entwicklungen und Wissenswertes, verfolgt die Preise und weiss ganz genau, wie es um die einzelnen Fahrzeuge steht. Manch eine schöne Anekdote weiss er auch zu erzählen, lässt zwar dann und wann einen Namen fallen, doch er bleibt diskret, plaudert nur das aus, was man mit etwas Recherche sowieso erfahren könnte, etwa die Geschichte vom schneeweissen Miura, den sich Lamborghini-Legende Gian Paolo Dallara im vergangenen Jahr zu seinem 80. Geburtstag geleistet hat. Ein Fahrzeug übrigens, das vom Polo Storico zertifiziert wurde.
Eine saubere Zertifizierung kostet 6100 Euro. Dafür erhält der Kunde dann aber ein schönes Buch mit professionellen Photos, allen auffindbaren Angaben aus dem Archiv, eine sehr genaue Bestandesaufnahme des Zustandes und allenfalls auch der bekannten Geschichte. Um es deutlich auszudrücken: Es macht dies einen höherwertigen Eindruck als bei anderen Marken, die Ähnliches anbieten, es ist liebevoller – und man sieht die Handschrift von Maffeo. Und etwas ist klar: dieses Zertifikat ist sein Geld unbedingt wert, es ist akribisch recherchiert und bestens dokumentiert – wer seinen Lamborghini zu einem guten Preis verkaufen will (oder wer einen kaufen möchte), wird in Zukunft wohl nicht um diese Bestätigung der Echtheit durch das Werk herumkommen (müssen wir an dieser Stelle schreiben, dass es um den «Wahrheitsgehalt» gewisser Zertifikate eines nur wenige Kilometer südlich von Sant’Agata angesiedelten Herstellers durchaus berechtigte Zweifel gibt?).
Die Räumlichkeiten innerhalb des Lamborghini-Werks in Sant’Agata, die dem Polo Storico zur Verfügung stehen, sind klein, ein Büro, ein Show-Room, eine nicht wirklich grosse Werkstatt. An den Fahrzeugen gearbeitet wird deshalb auch ausserhalb, bislang kann man maximal 12 Komplett-Restaurationen pro Jahr durchführen, doch Maffeo hofft, das mittelfristig auf 18 steigern zu können. Und wenn man ihm dann zuhört, wie solches abläuft, dann hört man den profunden Kenner der Materie, er kennt sämtliche Möglichkeiten, wie man einen klassischen Lamborghini in seine Einzelteile zerlegen kann, er spricht von alten Farben und vom Leder, das einst so ganz anders war als heute, er kennt die Zulieferer, die noch arbeiten wie damals, er weiss genau, mit welchen Tricks die Restaurationsbetriebe ein Fahrzeug auf «schön» und «echt» trimmen können. Er sagt aber auch, dass Lamborghini da einen gewissen Vorteil habe, bis vor wenigen Jahren waren die Fahrzeuge noch nicht so teuer, dass sich Fälschungen gelohnt hätten. Und wie steht es um die Miura SV? Maffeo lächelt nur.
Draussen im Show-Room steht ein nackter Miura, Chassisnummer #4863, rechtsgelenkt. Auf den ersten Blick sieht das alles ganz anständig aus, doch dann erklärt der Chef des Polo Storico, dass er keine guten Nachrichten habe für den Besitzer, dass dieses Fahrzeug deutlich mehr brauche als nur Kosmetik. Maffeo erzählt auch, dass man die Besitzer dazu ermuntere, die Fahrzeuge wieder in den Originalzustand zu versetzen, mit jener Farbe, mit der der Wagen einst das Werk verliess, mit dem passenden Interieur, denn auf Dauer mache das das Fahrzeug sicher wertvoller. Und wenn halt schon viel gebastelt wurde am Klassiker, dann muss dann im Polo Storico auch viel (zurück)gebaut werden. Aber man verfügt halt auch über die entsprechenden Kontakte zu den Handwerkern, die das auch können, die so arbeiten, wie in den 60er Jahren an einem Miura geschraubt wurde, die ihn auch wieder in den Originalzustand zurückversetzen können. Ja, das kostet Geld, manchmal viel Geld, denn 1000 Arbeitsstunden – und erst recht 2000 -müssen ja bezahlt sein.
Mehr Lamborghini haben wir in unserem Archiv. Bald folgt hier auch noch der Bericht vom Huracan Performante, den wir im Zusammenhang mit #theitalianjobs auch ausführlich fahren durften.
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