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Trugschuss, Gedanken zur IAA 2015-1751

Published in radical-mag.com

Ruch, wie er lenkt und denkt

Noch nicht erstellt
Das Studium der Fach- und sonstigen Presse zur IAA 2015 macht: staunen. Nein, keine Kollegenschelte hier, es mögen die Damen und Herren be- und überhaupt schreiben, was sie wollen und so viel sie können, aber manch eine Einschätzung zeugt von sehr wenig Verständnis für die Zusammenhänge - oder ist sogar komplett daneben. Am heftigsten dort, wo es um zukünftige E-Autos geht, um Tesla - und um die ganz profane Realität. Denn die heisst VW Tiguan und Renault Mégane - und vielleicht auch noch ein bisschen Bentley Bentayga.

Um es einmal deutlich auszudrücken: schön, interessant, diese beiden Konzept-Fahrzeuge der Volkswagen-Gruppe, der Audi e-tron quattro Concept und der Porsche Mission E. Da zeigen Wolfsburg samt Mitstreiter, wo der Hammer hängt - anscheinend. Bloss: das ist Augenwischerei. Weder Audi noch Porsche verfügen derzeit über Speichermöglichkeiten, welche die «versprochenen» 500 Kilometer Reichweite ermöglichen würden. Und eine Ladezeit von 15 Minuten für 80 Prozent ist bei einer solch gigantischen Kapazität sowieso reine Utopie, beim heutigen Stand der Technik würde es dafür ein oberschenkeldickes Kabel samt Industrie-Kühlanlage brauchen. Und eine Stromversorgung, über die nicht einmal die Schwerindustrie verfügt, denn so mal grob, über den Daumen, wäre eine Ladekapazität von 600 kW nötig, das ist das Fünffache dessen, was der Supercharger von Tesla schafft. Aber jetzt und hier, also in den beiden Konzept-Fahrzeugen in Frankfurt: nein, no way & no go.

Es ist einfach eine «Vision», die die Volkswagen-Gruppe da für 2018 ankündigt - und leider schaut niemand genau hin. Möglich, dass die technischen Möglichkeiten bis in drei Jahren für solche Fahrzeuge tatsächlich bestehen, auch möglich, dass die VW-Gruppe aus der Forschung mehr weiss als unsereins, aber wenn dem tatsächlich so wäre - warum zeigt man uns dann nicht, was Sache ist?
©Petr Lovygin
©Petr Lovygin
Das wäre spannend, denn damit wäre wahrscheinlich auch noch manch anderes Energieproblemchen gelöst; die sehr theoretischen Rechenspielereien sind aber nicht einmal ein halbwegs brauchbarer Ansatz.

Dagegen ist auch gar nichts einzuwenden, eigentlich, dafür sind Konzept-Fahrzeuge schliesslich da: sie müssen nicht die Realität abbilden, sondern eine Vision für die Zukunft aufzeigen. Befremdend ist in diesem Zusammenhang einzig, dass die Zahlen für bare Münze genommen werden, so: ganz allgemein. Wir werden dann sehen, wie weit die Auto-Industrie in drei Jahren sein wird, ob die «Versprechen» von der IAA 2015 das Papier wert sind, auf das die Presse-Mitteilungen gedruckt wurden. Ich wage die Behauptung: nein. Bloss wird in drei Jahren kein Hahn mehr danach krähen, es sind dann vielleicht 300 Kilometer und eine Ladezeit von 30 Minuten, und alle werden jubeln, den Fortschritt preisen. Der gar keiner ist, denn das kann Tesla ja jetzt schon.
©Petr Lovygin
©Petr Lovygin
©Petr Lovygin
©Petr Lovygin
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Ach, Tesla - das ganz grosse Schreckgespenst der «klassischen» Auto-Industrie, anscheinend. Es wird da, in der Schweizer Presse, mit Zahlen jongliert, die Porsche, zumindest den Panamera, tatsächlich alt aussehen lassen. Holland wird angeführt und ganz besonders gern Norwegen - wo die Tesla-Verkäufe aber komplett eingebrochen sind, seit es keine steuerlichen Vorteile mehr gibt. Egal, dann nimmt man halt den alten Käs', Hauptsache, man kann irgendeine These stützen. Es gibt aber gar keine These, sondern nur harte Fakten, und die heissen bei Tesla: no money. In China nicht, in Amerika nicht, in Deutschland auch nicht. Tesla verliert an jedem verkauften Fahrzeug Geld, ein kleinerer Wagen und ein mittleres SUV sind längst überfällig, aber rechnen sich eben noch weniger - und das ist kein tragbares Geschäftsmodell. Zumindest nicht eines, das sich einer der so langweiligen Auto-Hersteller abschauen möchte. Dass Tesla etwa in Wolfsburg Angst und Schrecken verbreiten soll, ist blödes Geschwätz; wahrscheinlich könnte Martin Winterkorn die amerikanische Geldvernichtungsmaschine aus dem eigenen, ja sehr gut gefüllten Säckel bezahlen. Wenn er denn wollte. Will er aber sicher nicht. Apple gedenkt ja auch nicht, die Smartphone-Sparte von Nokia auf Vordermann bringen zu wollen.

Es fehlt, viel zu oft, der Blick auf die Realität - und auf die grossen Zusammenhänge. Geld verdienen wird Wolfsburg auch in den nächsten Jahren, weit über 2018 hinaus, etwa mit dem Tiguan. Nicht mit dem Tiguan GTE, also dem Plug-in-Hybrid, der auch kommen wird, sondern mit den fetten, bestens ausgestatteten und völlig profanen Dieseln und Benzinern - da bleibt Kohle liegen, und zwar: viel. Die Aufpreise für stärkere Motorisierungen entbehren jeglicher Vernunft, denn die Herstellungskosten sind nur unwesentlich höher als beim Basis-Modell. Aber die Industrie melkt, zu Recht, die Kuh, die da so freigiebig abdrückt.
©Petr Lovygin
Die grösste Gefahr droht diesem Gewinnmodell von den CO2-Vorgaben, und darüber macht man sich nicht nur in Wolfsburg bedeutend mehr Gedanken als über Tesla. Und auch deshalb drängt es die Hersteller hin zum immer autonomeren Fahren, nicht etwa, weil man das will oder braucht oder als wichtig sowie richtig erachten würde, sondern weil die Kundschaft gemäss Studien bereit sein wird, für diesen Unsinn wieder unverhältnismässig viel Geld auszugeben. Marge, Gewinnmaximierung, alles andere ist Beilage. Das lernt der Jung-BWLer und zukünftige Controller in der ersten Lektion, darum geht es, da draussen im richtigen Leben.

Und damit kommen wir wieder zurück zu Porsche und der Mission E, zu Audi und dem e-tron quattro Concept. Beide Firmen glänzen mit grossartigen Renditen, brutto wie netto, Porsche noch bedeutend mehr als Audi. Trotz gewaltigem Forschungs-, Werbe-, Motorsport- und Selbstdarstellungsaufwand bleibt in Stuttgart richtig viel Geld liegen - dank Panamera, Cayenne und 911. Ein E-Porsche wird, weit über 2018 hinaus, keinen schnöden Mammon einspielen - und doch muss man ihn haben. Aber sicher nicht weil: Tesla. Sondern ganz einfach deshalb, weil solche Projekte die Kompetenz beweisen - kaufen will sie ja niemand, dann nimmt man doch lieber den Cayenne. Als Turbo S. Und das wird auch 2018 noch so sein.

Und so ist das auch an der IAA heuer: man predigt Wasser, aber saufen tut man Wein. Beschworen wird, selbstverständlich, der Fortschritt - und auf den Markt kommt eine unfassbare Masse an energieineffizienten SUV und Crossover. Es ist ein Rückschritt, denn so ein Tiguan verbraucht, da draussen im richtigen Leben, mehr als ein Golf Variant mit gleichem Antrieb und grösserem Raumangebot; aber er, der schwere, weniger aerodynamische Tiguan, kostet halt, trotz absolut vergleicherbarem Aufwand in der Herstellung, trotzdem mehr, also ist da wieder diese Gewinnsteigerung. Dagegen ist gar nichts einzuwenden, es geht um Arbeitsplätze und fröhlich feierende Aktionäre, so muss das, und der Kunde will das ja auch so haben.

Störend dabei ist aber die gewaltige Diskrepanz zwischen den Worthülsen der Wirtschaftsführer und der Realität auf der Strasse - und die Gesinnung, die zwischen einem Audi e-tron quattro Concept und einem Bentley Bentayga liegt. Die Audi-Studie ist die warme Luft, die das Gewissen beruhigen soll und ablenkt von den wahren Problemen der Auto-Industrie - der Bentayga die in dieser Ausprägung unerträgliche Realität, die schon formal der pure Hohn ist auf alles, was so ein bisschen nach zeitgemässer Umweltverträglichkeit riechen möchte.

Der Bentley kann übrigens für 150'000 Pfund noch mit einer diamantbesetzten Tourbillon des bekannten Quartz-Uhren-Herstellers Breitling aufgerüstet werden. Damit kann der sich auf Haut von geschützten Tierarten fläzende Bentayga-Besitzer dann draussen in der Wüste wahrscheinlich messen, wie schnell so ein syrischer Flüchtling samt Familie die 100 Meter bis zur nächsten Deckung läuft.