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Diese Schönheit kann auch Biest: So leidenschaftlich meldet sich Aston Martin auf der linken Spur zurück

Published in motosound.de

Jams Bond. Den Namen kann Andy Palmer bald nicht mehr hören. Nicht dass der Chef von Aston Martin etwas gegen seinen wichtigsten Werbeträger hätte. Doch der Manager ist es langsam leid, dass alle Welt bei Aston Martin nur 007 assoziiert. „Das ist wie beim Cricket“, klagt der Engländer: „Jeder weiß, was es ist. Aber man muss Insider sein, um es auch spielen zu können.“ Damit mit dieser Oberflächlichkeit endlich mal Schluss ist, gehen die Briten zumindest bei den Produkten ein wenig auf Distanz zum Geheimagenten ihrer Majestät: Wenn sie im Oktober zu Preisen ab 204 900 Euro ihren neuen Gran Turismo in den Handel bringen, ist der zwar im gleichen Geist gezeichnet wie Daniel Craigs Dienstwagen aus Spectre. Doch statt DB 10 trägt er das Kürzel DB 11 und hat auch technisch keinerlei Gemeinsamkeiten mehr.

Denn wo das Filmauto noch eilig auf der alten Plattform zusammengeschustert wurde, nutzt der DB 11 als erstes von vielen kommenden Modellen eine komplett neue Architektur. Wieder aus Aluminium, aber diesmal anders aufgebaut, ist sie noch leichter und noch steifer und bietet ohne nennenswert gewachsene Abmessungen innen noch einmal spürbar mehr Platz: Im Vergleich zum DB9 sind die Verstellwege so weit sowie Kopf- und Beinfreiheit so groß, dass man mit dem Gand Turismo tatsächlich auf große Tour gehen kann.

Dabei gibt der DB11 den perfekten Allrounder für alle Wege – fährt rasend schnell und trotzdem ungeheuer komfortabel auf der Autobahn, cruist wunderbar casual auf weit geschwungenen Magistralen im Hinterland und verbeißt sich wütend in den Asphalt, wenn die Kurven enger und die Straßen schmaler werden. Natürlich kann er sein Gewicht von über 1,8 Tonnen nicht verhehlen und auch nicht seine gelassene Grundstimmung. Doch für einen 2+2-Sitzer mit V12-Motor überraschend zierlich und mit dem Getriebe im Heck perfekt ausbalanciert, wird der DB11 spätestens dann zur Präzisionswaffe, wenn man Fahrwerk und Antrieb mit den Lenkradtasten drei Stufen schärfer stellt. Dann wechselt der Modus von GT auf Sport+, im digitalen Cockpit flimmert alles rot und der Aston Martin spannt alle Muskeln an: Die Bielstein-Federn sind plötzlich bocksteif, die erstmals elektrisch unterstützte Lenkung kann auf einmal scharf und spitz, das Getriebe schaltet schneller und der Motor bläst nach Herzenslust. Heissa, was für ein heißer Ritt.

Dabei hilft dem DB11 natürlich vor allem ein nagelneuer V12-Motor, den die Briten wieder bei Ford in Köln bauen lassen. Diesmal nur noch 5,2 statt 6,0 Liter groß, dafür aber mit zwei Turbos bestückt, leistet er 608 PS und schüttelt mit imponierender Lässigkeit 700 Nm aus dem Ärmel. Das reicht für einen Sprint von 0 auf 100 in 3,9 Sekunden und ein Spitzentempo von 322 km/h. Und vor allem reicht es für den Superlativ: „Stärkstes Serienmodell in der bisherigen Aston Martin Geschichte.“ Diese Aufrüstung können auch Umweltbewegte fast ohne schlechtes Gewissen genießen: Dank Zylinderabschaltung und Start-Stopp-Automatik braucht der DB11 bis zu 20 Prozent weniger als sein Vorgänger DB9.

Neben dem Motor ist es vor allem die ausgeklügelte Aerodynamik, die den Wagen so schnell und in Kurven so stabil macht. Bevor er vorne leicht und labil wird, führen die Ingenieure die Luft deshalb mit einem schönen Trick aus dem Radhaus und profilieren die Kiemen dafür so, dass genau berechnete Verwirbelungen entstehen. Und hinten fangen sie den Luftstrom an den C-Säulen mit zwei konischen Düsen ein, die ein bisschen an die Finnen des BMW i8 erinnern. In den Röhren verdichtet, strömt diese Luft unter dem Kofferraudeckel nachhinten und dann genau so aus dem Auto, das sie wie ein Spoiler im Fahrtwind steht und massig Abtrieb erzeugt. So kommt der DB11 ganz ohne Flügel aus und leistet sich lediglich einen winzigen Windabweiser, der nur bei hohem Tempo und nur im sportlichen Fahrprogramm ausfährt. Der Rest des Designs ist pure Eleganz, die ohne Drama oder Blendwerk und Funktion in ihrer schönsten Form zeigt.

Das ist ohnehin die Devise der Briten. So biestig das Auto im Ernstfall auch fahren mag, so viel Wert legen sie auf Schönheit und Understatement. Das gilt für das Design, das gilt für den souveränen und bei Vollgas natürlich auch brüllenden Sound, im gemäßigten Betrieb aber überraschend verhaltenen Sound. Und es gilt auch für das Interieur, das damit seinen ganz eigenen Stil bekommt. Es riecht nach Lack und Leder und vielen Stunden Handarbeit, wirkt aber lange nicht so barock und opulent wie etwa beim Bentley Continental GT. Es ist nüchtern, aber keineswegs so sachlich und kühl wie bei einem McLaren. Und es ist einnehmend und engagiert, spart sich aber das fast schon peinlich imitierte Piloten-Gefühl eines Lamborghini.

Gadgets wie den Schleudersitz, die Startknöpfe für den Raketenantrieb oder wenigsten einen Defibrilator im Handschuhfach gibt es nicht. Und leider ist auch die wie ein Kristall geschliffene Emotion Control Unit auch verschwunden, die bei Aston Martin mal den Zündschlüssel ersetzt hat. Doch dafür gibt es jetzt endlich mal zeitgemäße Elektronik vom stilvoll digitalisierten Cockpit bis hin zum modernen Navigationssystem mit Touchpad und Rändelrad für die Zieleingabe, wundervollen Sensortasten in der Mittelkonsole und einer 360 Grad-Kamera-Überwachung auf dem großen Bildschirm. Wofür hat Aston Martin schließlich Daimler fünf Prozent der Aktien abgegeben, wenn nicht für de tiefen Griff ins Teilelager? Selbst automatisch einparken kann der DB11 jetzt. Das wäre wahrscheinlich sogar ein Feature für Mister Bond, James Bond. Womit wir dann doch wieder beim Thema wären.

Natürlich war der DB10 aus Spectre für Aston Martin eine riesige Werbung und deshalb ein wichtiges Auto. Doch gemessen am DB11 schrumpft der Filmwagen zur Fußnote. Weil es die erste echte Neuheit nach über vier Jahren ist, weil die neue Plattform in den nächsten sechs Jahren noch sechs weitere Neuheiten tragen soll und weil er den Aufbruch in eine neue Ära markiert, nennt Palmer den DB11 die wichtigste Neuheit in den letzten 103 Jahren seit der Gründung von Aston Martin und hofft, dass die Sanierungsarbeiten mit diesem Auto abgeschlossen sind. „Jetzt starten wir durch. Denn der DB11 markiert für uns das Ende des neuen Anfangs.“