Aufbruch nach der Abwrackprämie: die Retro Classics 2010
Am heutigen Sonntag ging die Retro Classics in Stuttgart zu Ende. Die mittlerweile größte Messe rund um das "Kulturgut klassisches Kraftfahrzeug" fand in diesem Jahr bereits zum zehnten Mal statt – größer und wohl auch besser besucht als je zuvor. Und sie begann für Marc "Dreikommanull" Christiansen und mich am vergangenen Samstag mit einem verblüffenden Deja Vu:
Foto links: 13. März 2010 – Foto rechts: 13. März 2009
Wir trafen erst gegen 13:30 Uhr am Messegelände ein. Der Rekordwinter 2009/2010 überzieht auch Mitte März noch das Stuttgarter Umland mit einer langsam dahinschmelzenden Schneedecke. Es ist naßkalt. Trotzdem lassen wir die Mäntel im Auto, denn wir haben ein schweißtreibendes Pensum vor uns: schon in etwa vier Stunden, um 18 Uhr, schließt die Messe ihre Pforten und es gibt mehr zu sehen denn je!
Vom Eingang West aus kommt man direkt in Halle 7, wo sich die Clubs präsentieren. Das sind im vorderen Drittel des Gebäudes fast ausschließlich Vereine rund um die Marke mit dem Stern (123er, 129er, G-Klasse, Pontons, Heckflossen). Dazwischen eingebettet feiert in diesem Jahr der S-Klasse-Club e.V. sein zehnjähriges Bestehen und präsentiert sich durchaus unkonventionell mit ausschließlich "sportlich" orientierten Varianten der Baureihen 116, 126, 140 und zeigt – nur knapp 5 Jahre nach Bandabgang – erstmals die Baureihe 220 als Klassiker der Zukunft.
Ralf Webers S 55 AMG der S-Klasse-Baureihe W220, in dem auch ich schon mitfahren und das wunderbare ABC-Fahrwerk in Aktion erleben durfte
Als der einstige "W126-Club" im Jahre 2000 gegründet wurde, mochte es noch kaum vorstellbar gewesen sein, daß das damals noch fabrikneue AMG-Modell der aktuellen S-Klasse wenige Jahre später schon zu den Exponaten des Clubs auf einer Klassikermesse zählen würde. Aber Zeiten, Moden und Geschmäcker ändern sich, ebenso die Demographie von Vereinen. Der S-Klasse-Club hat sich in den letzten Jahren personell wie inhaltlich immer wieder neu orientiert, und selbst wenn es mir als ehemaligem Clubmitglied und sturem "Originalo" schwer fällt (auch weil wir mit fünfkommasechs.de ein anderes Bild vom "S-Klassiker" zeichnen möchten), so gebe ich offen zu: ja, Tiefbettfelgen gehören wohl doch zum "Kulturgut S-Klasse" dazu. Wir gratulieren zum Jubiläum und staunen über den exotischen Messe-Auftritt!
Mit "V8" und Chromfelgen ins zweite Clubjahrzehnt: exotische Blickfänger auf dem Messestand des S-Klasse-Clubs
Ganz besonders hat mich der freundliche Empfang auf dem Stand gefreut. Neben vielen bekannten Gesichtern aus der 126er-Szene trafen wir dort –natürlich– auch den SKC-Vorstand und ich war angesichts einiger Zwistigkeiten der Vergangenheit auf alles gefaßt, nur nicht auf einen durchweg herzlichen Umgang mit mir.
Clubpräsident Thomas Sterl (Mitte) und Finanzvorstand Ralf Küsell (links) hatten in den vergangenen eineinhalb Jahren sicher nicht immer Anlaß zur Freude über fünfkommasechs.de und seinen eigenwilligen Betreiber (rechts), trotzdem wurde mir, dem ehemaligen Mitglied Nr. 1167, als Geste der Versöhnung ein Jubiläums-Kugelschreiber des Clubs überreicht. Zum Foto mit Aufnahmeantrag kam es nach kurzem Handgemenge dann aber doch nicht. ;-)
Wir drei hatten sichtlich unseren Spaß an diesem "historischen Moment" und das Kriegsbeil darf wohl als begraben gelten. Erst nach einer guten Stunde und vielen netten Gesprächen zogen Marc und ich weiter, um endlich auch einmal die benachbarten Stände zu bestaunen. Besonders hervorzuheben ist da sicher der Auftritt des VdH.
Der VdH (ehemals Verein der Heckflossenfreunde) ist schon berühmt für seine spektakulären Messestände. Im vergangenen Jahr war dies ein gigantisches Heckflossen-Armaturenbrett, das zugleich als einladende Sitzbank diente. Im Jahr 1 nach der "Abwrackprämie" läßt der Club einige der beliebtesten Mercedes-Klassiker auf einem publikumswirksamen Schrottplatz vor sich hin patinieren. Chapeau!
Einstiges Flaggschiff der Marke: der 300 SEL 6.3 des S-Klasse-Vorläufers W108/109 als schaurig-schönes Altmetall
Einige Meter entfernt davon zeigt der R129-SL-Club, wie der erste offizielle Nachfolger des legendären Flügeltürers schon zwanzig Jahre vor dem heutigen SLS von AMG hätte aussehen können.
Nicht etwa die Styling Garage aus Hamburg, sondern die renommierte Firma Karmann aus Osnabrück, heute in schwierigen Fahrwassern, entwarf dereinst diesen Prototyp eines neuen Flügeltürers auf Basis des R129 SL-Roadsters, der aber bekanntlich nie in Serie ging. Eines von sehr sehr vielen interessanten Exponaten der Messe, die wir nur zu einem sehr kleinen Teil überhaupt aufsuchen konnten - und noch weniger davon gebührend abgelichtet haben.
Lohnenswert auf jeder Klassikermesse ist aber vor allem der Besuch der Teile- und Devotionalienmärkte. Dank des wandelnden Teilekatalogs Marc Christiansen gelangen mir und uns einige bemerkenswerte Schnäppchen, an denen ich alleine wohl schlafwandlerisch vorbeigelaufen wäre.
Zuvor hatte man uns den heißen Tipp gegeben, auf dem Stand des Gebrauchtteile-Centers von Mercedes nach den neuwertigen Teleskopantennen für läppische 10 Euro Ausschau zu halten.
Die gingen dort weg wie warme Semmeln, sind aber wohl weitgehend unbrauchbar, da die Teleskopseelen keine geeignete Zahnung am unteren Ende aufweisen. Das Schnäppchen erweist sich daher wohl nur als verbranntes Geld.
Den wahren Glücksgriff verortete Trüffelschwein Marc nur wenige Meter rechts daneben auf derselben Wühltheke: ein unscheinbarer Stapel mit grauen Kisten und der zunächst saftigen Preisangabe von 150 Euro das Stück. Darin zu finden waren nagelneue Luftmengenmesser für die V8-Modelle der zweiten Serie W126, also auch für meinen 560 SEL, dessen LMM-Potentiometer neuerdings falsche Daten an den Reiserechner sendet und den man bei nunmehr 240.000km durchaus einmal tauschen kann.
Große Ausbeute für kleines Geld dank Trüffelschwein Marc Christiansen
Insofern ein willkommener Schnapp, denn diese Kompletteinheit kostet laut offizieller Preisliste gesalzene EUR 972,73 netto! Und damit nicht genug: auf einem der unzähligen Zeitschriftenstände fanden wir neuwertige Einführungsschriften für den Kundendienst, die auf eBay üblicherweise zwischen 50 und 100 Euro das Stück erzielen, für kleine einstellige Europreise.
Mit über den Daumen gepeilt fast 900 Euro Sparvorteil beim Teile- und Fachliteraturkauf läßt sich's dann natürlich auch viel befreiter nach modischen Accessoires für den Herren shoppen. Hierbei wurde ich im breit gefächerten Automobilia-Kleidersortiment eines fliegenden Holländers schnell fündig und überlege seither, ob ich nicht grundsätzlich blau zur Arbeit kommen und dabei Bügelfalte tragen sollte.
Die Ausbeute war weißgott nicht schlecht, und das bei gerademal einer Stunde aktiver Suche. Den Rest unserer viel zu kurzen Zeit auf der Retro Classics verbrachten wir – wen wundert's – bei Benzingesprächen mit alten und neuen Bekannten und beim Essen (Maultäschle, Krustenschinken mit Kartoffelsalat). Gottseidank hab' ich den Blaukittel eine Nummer größer als nötig gekauft!
Der 126er war in diesem Jahr übrigens sehr stark vertreten. Vielleicht hat dies mit der jüngst erlangten Oldtimerreife der ersten Exemplare dieses Modells zu tun, daß die allgemeiner Anerkennung als Klassiker merklich gestiegen ist. Schade nur, daß wir kaum einem wirklich schön erhaltenen Exemplar begegnet sind. Wie auch im Alltag beherrschen "sportlich" verbastelte oder vordergründig geschönte Exemplare das Bild. Selbst der in Würde gealterte, aber bei aller Patina noch erfrischend originale Altmercedes ist äußerst selten geworden. Schade!
Oh, und just nach Messeschluß rennt mir dann noch dieser schlaksige Herr mittleren Alters in die vor Aufregung wackelnde Linse:
Bruno Sacco haben wir indes leider verpaßt :-( Umso mehr freuen wir uns auf die nächste "Retro". Diesmal mit mindestens einer Übernachtung - es lohnt sich sicher!
Alle Schnappschüsse des hastigen Samstagnachmittags findet Ihr hier: [KLICK]
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